Niko Paech befasst sich mit der Frage, wie sich trotz Begrenzung des Konsums zur Schonung der Umwelt ein Maximum an Freiheiten erreichen lässt. Er stellt ein fünfstufiges Programm der Selbstbegrenzung vor.

Alle seit Jahrzehnten unternommenen Versuche, wachsenden Konsum-, Mobilitäts- und Digitalisierungswohlstand mittels technischer Innovationen von Umweltschäden zu entkoppeln, sind gescheitert. Es findet sich kein ökologisch relevantes Handlungsfeld, in dem die Summe bekannter und neuer Schadensaktivitäten nicht permanent zugenommen hätte. Vermeintliche Entlastungserfolge, die oft betont werden – „blauer Himmel über der Ruhr“, „sauberer Rhein“, duales System, Energiewende, Drei-Wege-Katalysator oder E-Mobilität – entpuppen sich als Täuschung, wenn alle räumlichen, zeitlichen, stofflichen und umweltmedialen Verlagerungseffekte der dabei zum Einsatz gelangten Innovationen berücksichtigt werden.

Dieser Befund bestätigt nur, was thermodynamische Gesetze beinhalten. Wenn der Planet also erstens physisch begrenzt ist, zweitens industrieller Wohlstand niemals ohne stofflichen und ökologischen Verschleiß zu haben ist, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze für die von einem Individuum in Anspruch genommene materielle Freiheit existieren.

Immanuel Kant hatte 1795 in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ für ein Weltbürgerrecht plädiert, dessen Übertragung auf essenzielle Knappheitsprobleme, beispielsweise den Klimaschutz, Folgendes bedeuten würde: Die Einhaltung des Zwei-Grad-Klimaschutzziels hieße für Mitteleuropa, dass die CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr von derzeit circa zwölf auf circa eine Tonne zu senken wären. Wie ließe sich erreichen, dass innerhalb des verbleibenden Entwicklungskorridors ein Maximum an Freiheiten erhalten bleibt?

Befreiung vom Überfluss

Grob vereinfacht lässt sich das notwendige Überlebensprogramm als Resultat eines fünfstufigen Programms der Reduktion beziehungsweise Selbstbegrenzung darstellen:

(1) Suffizienz: Reduktionspotenziale auf der Nachfrageseite zu erschließen, ist nicht mit Verzicht gleichzusetzen. Das Suffizienz-Prinzip konfrontiert konsumtive Selbstverwirklichungsexzesse mit einer schlichten Frage: Von welchen Energiesklaven und Komfortkrücken ließen sich überbordende Lebensweisen und die Gesellschaft als Ganzes zum eigenen Nutzen befreien? Welcher Wohlstandsschrott ließe sich ausmustern? Dafür liefert eine „zeitökonomische Theorie der Suffizienz“ Beweggründe jenseits moralischer Appelle. In einer Welt der Informations- und Optionenüberflutung werden Überschaubarkeit und Entschleunigung zum psychischen Selbstschutz. Die gnadenlose Jagd nach Glück schlägt immer häufiger in Überlastung um. Eine Befreiung vom Überfluss würde heißen, sich auf eine Auswahl an Konsumaktivitäten und -objekten zu beschränken, die eingedenk begrenzter Aufmerksamkeitsressourcen überhaupt bewältigt werden können.

(2) Subsistenz: Konsumenten könnten sich die Kompetenz wieder aneignen, manche Bedürfnisse manuell und aus eigener Kraft jenseits kommerzieller Märkte zu befriedigen. Würde die Industrieproduktion reduziert, könnte das verringerte Quantum an Lohnarbeitszeit dergestalt umverteilt werden, dass Vollbeschäftigung mit 20 Stunden Wochenarbeitszeit einherginge. Damit würden Zeitressourcen zur Eigenversorgung freigestellt. Gemeinschaftsgärten, Tauschringe, Netzwerke der Nachbarschaftshilfe, Verschenkmärkte, Einrichtungen zur Gemeinschaftsnutzung von Geräten/Werkzeugen, Reparatur-Cafés etc. würden nicht nur zu einer graduellen Deglobalisierung, sondern zu einem geringeren Bedarf an Technik, Kapital, Transportwegen und überdies zu mehr Autonomie verhelfen. Wenn Produkte länger genutzt und im Bedarfsfall möglichst gebraucht erworben werden, sinkt die Abhängigkeit von industrieller Versorgung. Ähnliches bewirkt die gemeinschaftliche Nutzung von Gebrauchsgegenständen. Eine verdoppelte Nutzungsdauer oder die verdoppelte Anzahl von Nutzern desselben Gegenstands senkt den Bedarf an Einkommen, um ein modernes Leben zu finanzieren.

Die Einhaltung des Zwei-Grad-Klimaschutzziels hieße für Mitteleuropa, dass die CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr von derzeit circa zwölf auf circa eine Tonne zu senken wären.

(3) Regionalökonomie: Viele der Konsumbedarfe, die weder durch Suffizienz noch durch Subsistenz reduziert werden können, lassen sich auf regionalen Märkten, basierend auf verkürzten Wertschöpfungsketten, befriedigen. Regionalwährungen könnten Kaufkraft an die Region binden und damit von globalisierten Transaktionen abkoppeln. So würden die Effizienzvorteile einer geldbasierten Arbeitsteilung weiterhin genutzt, aber innerhalb eines kleinräumigen, ökologieverträglicheren und krisenresistenteren Rahmens.

(4) Umbau der Industrie: Der verbleibende Bedarf an industrieller Wertschöpfung würde sich auf die Optimierung bereits vorhandener Objekte konzentrieren, nämlich durch Aufarbeitung, Renovation, Konversion, Sanierung, Nutzungsintensivierung etc., um Versorgungsleistungen so produktionslos wie möglich zu gewährleisten. Hierzu tragen auch Märkte für gebrauchte und aufgearbeitete Güter sowie kommerzielle Sharing- und Verleihsysteme bei. Der Rest notwendiger Neuproduktion beschränkte sich darauf, einen konstanten Bestand an materiellen Gütern zu erhalten, also nur zu ersetzen, was selbst durch sinnvolle Nutzungsdauerverlängerung nicht erhalten werden kann. Zudem würde sich die Herstellung von Produkten und technischen Geräten an einem reparablen und sowohl physisch als auch ästhetisch langlebigen Design orientieren.

(5) Institutionelle Maßnahmen: Zu den politischen Rahmenbedingungen einer Postwachstumsökonomie, die hier nur unvollständig skizziert werden können, zählen Boden-, Geld- und Finanzmarktreformen, wobei die Finanztransaktions- sowie eine Vermögenssteuer hervorzuheben sind. Anknüpfend an die oben dargestellte Verteilungslogik hätte jede Person ein Anrecht auf dasselbe jährliche Emissionskontingent, das allerdings interpersonal und zeitlich übertragbar sein, gegebenenfalls auf Märkten gehandelt werden könnte. Veränderte Unternehmensformen wie Genossenschaften, Non-Profit-Organisationen oder Konzepte des solidarischen Wirtschaftens könnten Gewinnerwartungen dämpfen. Subventionen – vor allem in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr, Industrie, Bauen und Energie – müssten gestrichen werden, um sowohl die hierdurch beförderten ökologischen Schäden als auch die öffentliche Verschuldung zu reduzieren.

Dringend nötig wären ein Bodenversiegelungsmoratorium und Rückbauprogramme für Industrieareale, Autobahnen, Parkplätze und Flughäfen. Ansonsten könnten auf stillgelegten Autobahnen und Flughäfen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien errichtet werden. Weiterhin sind Vorkehrungen gegen geplante Obsoleszenz unerlässlich. Eine drastische Reform des Bildungssystems müsste zum Ziel haben, handwerkliche Kompetenzen zu vermitteln, nicht nur um durch Eigenproduktion und vor allem Instandhaltungs- sowie Reparaturmaßnahmen den Bedarf an Neuproduktion zu senken, sondern um geldunabhängiger zu werden.

Ein derart maßvoller „Wohlstand für alle“ schließt nicht die Parallelität zweier institutioneller Systeme aus: Die deutlich reduzierte Produktion langlebiger und teilweise gemeinsam genutzter Güter wird durch Märkte koordiniert; die ergänzenden Suffizienz- und Subsistenzleistungen basieren auf entkommerzialisierten und selbst organsierten Austauschprozessen. Davon würden nicht nur Freiheit und Demokratie profitieren, sondern auch die Krisenstabilität.

Prof. Dr. Niko Paech lehrt an der Universität Siegen als außerplanmäßiger Professor im Bereich der Pluralen Ökonomik. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Umweltökonomie, der Ökologischen Ökonomie und der Nachhaltigkeitsforschung.

Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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