Nach Hardy Bouillon hat es den Anschein, als ob die Umweltbewegung – zumindest in der Klimafrage – Anzeichen einer Sektenbildung zeigte. Mithilfe der Wissenschaftstheorie illustriert er, warum das so ist.

Wie definiert man Sekten? In der Regel verweist man auf dreierlei: erstens auf die Abspaltung, mit der sich Sektierer von jener Gruppe samt Anschauung trennen, der sie sich früher zurechneten, zweitens auf die Dogmatisierung der eigenen Anschauung und drittens auf Max Weber, der meinte, dass die Aufnahme neuer Mitglieder nicht – wie bei Religionen – durch Geburt, sondern durch Zustimmung der Sekte erfolge. Folgt man den genannten Kriterien hinsichtlich Abspaltungsverhalten, Anschauungsdogmatisierung und Aufnahmeverfahren, dann hat es den Anschein, als ob die Umweltbewegung – zumindest die in der Klimafrage – erkennbare Anzeichen einer Sektenbildung zeigte.

Folgt man dem Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper, dann tun Naturwissenschaftler gut daran, Fälle von Theorienkonkurrenz mithilfe von Falsifikationsversuchen zu entscheiden und – sofern der gewünschte Erfolg ausbleibt – für pendent zu erklären. In der Klimafrage scheint sich eine Abkehr von diesem Brauch abzuzeichnen, ein Rückfall in eine Zeit, in der man seine Lieblingstheorie zu dogmatisieren und ihre Konkurrentinnen zu dämonisieren pflegte. So gesehen scheint zumindest ein Großteil der Umweltbewegung zwei Merkmale von Sekten zu teilen: die Abspaltung (hier vom üblichen Falsifikationsverfahren der Wissenschaftsgemeinde) und die Dogmatisierung der präferierten Anschauung beziehungsweise Lehrmeinung. Nimmt man zudem den Trend mancher Fachjournale ernst, missliebige Theorien auszugrenzen und nur dogmenaffine Beiträge aufzunehmen, dann scheint auch das dritte Kriterium Einzug in die Klimatologie zu halten.

Gewiss, Sekten sind nicht per se ein Übel. Schließlich bilden sie zur herkömmlichen Sichtweise eine konkurrierende Alternative, die zumindest prinzipiell ebenso im Recht sein könnte wie die Konkurrenz; und Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Übel sind Sekten allerdings dann, wenn sie statt Konkurrenzbelebung Konkurrenzausgrenzung betreiben. Nicht nur diese Praktik selbst, sondern auch deren Folgen sind von Übel. Im Wissenschaftsbetrieb ist dies nicht immer unmittelbar zu erkennen. Ein Blick auf ein paar wissenschaftstheoretische Grundsätze einerseits und Besonderheiten in der Klimafrage andererseits schafft Abhilfe.

Drei Theorien zum Klimawandel

Theorienpräferenz setzt laut Popper voraus, dass die konkurrierenden Theorien kontradiktorische Vorhersagen erlauben, die mit einem unabhängigen Prüfsatz entweder verträglich sind oder nicht: Wenn eine Theorie A vorhersagt und eine (oder mehrere) andere Theorie(n) nicht A, und wenn ein unabhängiger Prüfsatz ergibt, dass die Vorhersage der ersten Theorie als wahr anzusehen ist, dann ist die erste Theorie ihren Konkurrentinnen vorzuziehen.

Es wird stets diejenige Konkurrentin ihren Rivalinnen vorgezogen, deren Vorhersage mit dem unabhängigen Prüfsatz vereinbar ist. Liegt ein Fall vor, in dem die konkurrierenden Theorien keine kontradiktorischen Vorhersagen erlauben, dann kann man keine Theorienpräferenz treffen. Die Sache ist unentschieden und bleibt es auch, bis ein passender Prüfsatz gefunden ist.

Übel sind Sekten allerdings dann, wenn sie statt Konkurrenzbelebung Konkurrenzausgrenzung betreiben.

Schaut man nun auf die Theorienlage in der Klimadebatte, dann fällt auf, dass sie nicht auf das Falsifikationsmodell passt. Teilt man die einschlägigen Theorien zur Erklärung der Erderwärmung auf, dann erhält man – vereinfacht – drei Gruppen: Zwei verweisen auf menscheninduzierte Faktoren, eine auf natürliche Veränderungen (beispielsweise solare Aktivitäten).

Die ersten beiden nehmen Bezug auf Standards in der industriellen Produktion (CO2-Ausstoß) bzw. in der Viehwirtschaft (Methanausstoß), die dritte hält natürliche Veränderungen für den Hauptgrund klimatischen Wandels. Dabei verweist Letztere auch auf bislang ungenügend untersuchte Wechselwirkungen, für deren Annahme vieles spreche, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht genügend gesagt werden könne. Aus ihrer Sicht sind temporäre Temperaturschwankungen nach unten und oben möglich.

Alle drei Theorien sind prinzipiell in der Lage, eine Klimaerwärmung zu erklären. Das heißt, dass sie jeweils ein Kausalverhältnis zwischen Ursache und Folge behaupten, das mit dem Kanon naturwissenschaftlicher Erkenntnis prinzipiell vereinbar ist. Mit dieser Klausel wird sichergestellt, dass keine absurden Theorien die Wissenschaft bevölkern. So wäre die Theorie, die Klimaerwärmung sei Resultat der Haartracht von Klimaaktivistinnen oder Klimaskeptikern, ein Beispiel für eine absurde Theorie und demnach aus dem Diskurs auszuschließen.

Direkte Überprüfung nutzlos

Indirekte Überprüfungen sind stets heikel, weil man bezweifeln kann, ob sie einen geeigneten Ersatz für direkte Überprüfungen darstellen. Ideal hingegen ist es, wenn man konkurrierende Theorien direkt überprüfen kann. Im Fall der Klimadebatte ist dies zumindest teilweise möglich: Man kann zwar solare Veränderungen nicht verhindern, aber die Produktion in Industrie und Landwirtschaft könnte man einstellen. Würde nun – diskussionshalber angenommen – eine direkte Überprüfung einer oder beider Theorien, die eine vorrangig menscheninduzierte Klimaerwärmung behaupten, vorgenommen und würde sich dabei zeigen, dass im Anschluss an eine (weitestgehende) Aufgabe von Viehwirtschaft oder Industrieproduktion eine signifikante Erdabkühlung (oder Abnahme der Erwärmungsquote) messbar wäre, dann könnte von diesem Effekt nicht rückgeschlossen werden, ob und, falls ja, welche der drei vorgenannten Theorien den Effekt erklärt.

Der Rückschluss wäre nicht möglich, weil die Konkurrenzsituation in der Klimadebatte keine ist, die nach dem oben skizzierten Falsifizierungsmodell zu lösen ist. Die Theorien treffen hinsichtlich der Klimaerwärmung keine kontradiktorischen Vorhersagen, die durch einen Prüfsatz entscheidbar wären. Alle drei Theorien wären mit dem einsetzenden Effekt vereinbar.

Die Situation des Wissenschaftstheoretikers in der Klimadebatte ist mit der eines Kriminalisten vergleichbar, der einen Serienmord aufzuklären hat und drei Verdächtige verhört, die allesamt für die Taten infrage kommen. Würde er einen verhaften und risse anschließend die Mordserie ab, dann läge die Vermutung nahe, dass der Verurteilte zu Recht inhaftiert worden sei, aber erwiesen wäre dies nicht. Es könnte durchaus sein, dass einer der beiden anderen Verdächtigen (oder gar eine bislang nicht ermittelte vierte Person) die Morde begangen hätte und nun – froh darüber, ungeschoren davongekommen zu sein – das Morden einstellte.

In der Klimadebatte liegen die Dinge ähnlich. Würde ein Rückgang der Erwärmung nach Einstellung (oder drastischer Einschränkung) anthropogener Faktoren eintreten, dann läge zwar nahe, auf diese Faktoren als Urheber der Erderwärmung zu schließen, aber erwiesen wäre diese Urheberschaft nicht. Es könnte nach wie vor möglich sein, dass Veränderungen der solaren Aktivitäten (eventuell in – bislang unzureichend untersuchter – Wechselwirkung mit anderen natürlichen Ursachen) die Erdabkühlung verursacht hätten. Entscheidend ist, dass es aus logischen Gründen nicht möglich ist, allein infolge des womöglich erzielbaren Effekts im Zuge einer (weitgehenden) Aufgabe von Viehwirtschaft oder industrieller Produktion auf die Richtigkeit oder Falschheit der konkurrierenden Theorien zu schließen.

Wer sich von der Weise, in der man die Klimafrage wissenschaftstheoretisch zu betrachten hat, abspaltet, die eigene Lieblingstheorie dogmatisiert und nur jene in die Wissenschaftsgemeinde aufnehmen will, die dogmenaffine Forschung betreiben, wird sich nur schwer dem Vorwurf entziehen können, in der Umweltfrage Sektiererei zu begünstigen.

Prof. Dr. Hardy Bouillon ist außerplanmäßiger Professor im Fach Philosophie an der Universität Trier. 1993 gründete er die Beratungsagentur Public Partners.

Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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