Es ist wahrscheinlich tief in den menschlichen Hoffnungen verankert: Irgendwer wird schon das Geld bereitstellen, das für die „notwendigen“ öffentlichen Ziele gebraucht wird. Schon Bundeskanzler Willy Brandt sprach vor 50 Jahren von der Befriedigung der Bedürfnisse als staatliches Ziel. Dem einzelnen Bürger eine „Vollkaskomentalität“ vorzuwerfen, ist dennoch nicht gerechtfertigt, wenn immer weitere Belastungen der Privathaushalte, vor allem der mit geringem Einkommen, ohne Hilfe kaum zu schultern sind. Aber die mittels Staatsverschuldung vermeintlich unbegrenzte Zahlungsfähigkeit des Staates ist tatsächlich zu einer Art finanziellem Freibrief für politisch gewollte Leistungen geworden, obwohl das Geld in Wahrheit fehlt. Der in unserer Verfassung festgehaltenen Schuldenbremse gelingt es hoffentlich, diese ungestüme Fehlentwicklung zu bremsen.

Auch weiterhin wird es in einigen Bereichen Investitionen geben, die noch von unseren Kindern und Enkeln genutzt werden und die zu einem gewissen Teil auch noch von Ihnen bezahlt werden. Staatsschulden sind, solange sie tragbar sind, grundsätzlich nicht verboten. Wir haben uns jedoch in eine Situation gebracht, in der auch unser öffentlicher Konsum, also Personalausgaben, Sozialausgaben und Subventionen, ohne Inanspruchnahme der Kinder in Form von neuen Schulden nicht bezahlbar ist. Das ist unverantwortlich und ebenso wenig mit dem Nachhaltigkeitsprinzip vereinbar, wie ein übermäßiger Verbrauch natürlicher Ressourcen.

Was wir verbrauchen, müssen wir uns leisten können

Daraus folgt ein eigentlich sehr einfacher Grundsatz: Was wir heute wollen, sollten wir auch heute bezahlen. Jeder Einzelne muss bei seiner Lebensgestaltung spüren, was es kostet. Deshalb muss der Preis ehrlich sein. Jeder unehrliche Preis bedeutet nicht, dass die gewünschte Leistung billiger ist, sondern lediglich, dass sie von anderen oder einer anderen Generation bezahlt wird. In der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie sehen wir, dass diese direkte Kopplung von „bestellen“ und „bezahlen“ erhebliche Wirkung hat. Zum Wesen einer Sozialen Marktwirtschaft gehört es, in einer zweiten Stufe, und eben nur in einer zweiten Stufe, denen zu helfen, die trotz der Anstrengungen, die man vom jedem erwarten muss, einen fairen Ausgleich benötigen.

Gerade bei CO2 fehlt der richtige Preis

Die europäische und deutsche Politik des 21. Jahrhunderts verstößt ununterbrochen gegen diese Grundregel. Einmal muss der Begriff der „Notwendigkeit“, ein anderes Mal der Begriff der „Gerechtigkeit“ dafür herhalten. Wenn mit vermeintlich moralisch guten Gründen alles gerechtfertigt werden kann, ist der disziplinierende Effekt der Kosten zerstört. Genau das ist bereits geschehen. Der Bundeshaushalt zahlt rund ein Drittel seiner Mittel allein an die Rentenversicherung. Wenn dann kein Geld mehr für die Verteidigung oder für Familien in Not vorhanden ist, dann müssen eben Schulden gemacht werden. Erst ein 9-Euro-, jetzt das 49-Euro-Ticket zerstören jeden Zusammenhang zwischen Preis, Leistung und tatsächlichen Kosten, den man dann durch Schulden kompensieren muss. Sogenannte Klima-Kontrakte suggerieren eine Wirtschaftlichkeit grüner Produktionsmethoden, indem sie nicht marktfähige Produktionsbedingungen über lange 15 Jahre finanzieren sollen. Die gesetzliche Garantie günstigen Industriestroms wird durch die Schulden in sogenannten Sondervermögen vermeintlich schmerzfrei finanziert. Rund 10 Milliarden Euro an einen US-Konzern zu zahlen, damit er eine Halbleiter-Produktion in Sachsen-Anhalt etabliert (aus ebenfalls als Sondervermögen getarnten Schulden) wird gar nicht mehr als die unerhörte Frivolität empfunden, die es ist.

Diese flächendeckende Entkopplung der privaten Budgets und ihrer Leistungsfähigkeit von den jetzt wirksamen Kosten kann nur katastrophal enden. Der so handelnde Staat übernimmt in den Augen der Beobachter die Garantie der Machbarkeit ohne zusätzliche Belastung seiner Staatsbürger. Er verstrickt sich in maßlose Ansprüche und eine nicht beherrschbare Gerechtigkeitsdebatte. Wenn alle zu den willkürlich subventionierten 49 Euro den Nahverkehr nutzen, dann muss es doch für einkommenslose Studenten noch billiger sein. Wenn energieintensive Stahlhütten einen billigen Stromtarif bekommen, warum nicht auch die Automobilindustrie oder der Bäcker? Von Pandemie bis Energiekrise beginnt eine zunehmende Zahl von Bürgern aller Schichten nur noch zu fragen, wo man den Entschädigungs-/Ausgleichsantrag abgeben muss und wann der Staat – möglichst unbürokratisch – auszahlt.

Die richtige Antwort heißt Ordnungspolitik

Ludwig Erhard ahnte solche Entwicklungen und musste auch zu seiner Zeit gegen solche politischen und gesellschaftlichen Versuchungen kämpfen. Die Antwort lautet: Ordnungspolitik – ein auf Regeln basierender Umgang mit ökonomischen Zusammenhängen und möglichst wenigen Verzerrungen durch staatliche Subventionen und Umverteilungen, die jedenfalls immer wieder auf den Prüfstand müssen.

Die Versuchungen unserer Zeit spielen sich besonders im Bereich der Umweltpolitik ab. Gebäudeheizung, Verbrennerverbot und Industriestrom sind Stichworte. Fast glaubt man, dass der Wissenschaft, der ja in den Klimafragen so sensibel zugehört wird, in Fragen der Wirtschaftsordnung nur Taubheit entgegenschlägt. Die ordnungspolitische Antwort lautet, wenn der Klimawandel Geld kostet, dann müssen klimaschädliche Emissionen teuer werden. Dazu muss der Preis von CO2 sehr spürbar steigen. Nicht klimaneutrale Energie wird dann sehr teuer, mit dem Trennen und Speichern von CO2 kann man dann aber auch Geld verdienen. Das wird nicht für alle Einkommensschichten verkraftbar sein, deshalb muss aus der Abgabe ein angemessenes Klimageld gezahlt werden. Dazu hat die Wissenschaft schon vor Jahren detaillierte Pläne vorgelegt.

Natürlich kann es für wichtige Investitionen bei der Chip-Produktion auch hohe Sonderabschreibungen geben, aber bitte aus deren Gewinnen und nicht als Begrüßungsgeld. Zur Ehrlichkeit hinsichtlich der Preise gehört im Übrigen, dass tatsächlich zehn Prozent unserer Wirtschaft sehr von Energiepreisen bestimmt sind und wir einen Teil dieser Industrien verlieren werden. Dass sind dann (leider) die wahren Kosten.

In diesen Tagen versuchen einige, ordnungspolitische Ehrlichkeit weiter zu vermeiden und die Einnahmen für Subventionen dadurch zu erhöhen, dass die hohen Einkommen noch höher besteuert werden sollen. Begründung ist, sie verursachten mit ihrem Lebensstil überproportional viel CO2. Man kann schon diese These anzweifeln, aber mit einem ehrlichen CO2-Preis wäre das Argument schnell erledigt, denn dann würden ja gerade diese Gruppen besonders belastet. Ordnungspolitik wirkt, auch heute.

Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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