In diesen Tagen, das ganz genaue Datum kennt man nicht, jährt sich die Geburt von Adam Smith zum dreihundertsten Mal. Die Mehrheit der Deutschen kann mit diesem schottischen Philosophen, der besonders die Ökonomie geprägt hat, wenig anfangen. Das zeigt, wie wenig Wirtschaft und Geschichte in deutschen Klassenzimmern eine Rolle spielen. Mit der industriellen Revolution wurde die „unsichtbare Hand“ zum Symbol des optimistischen Verständnisses einer auf Freiheit gründenden Wohlstandsgesellschaft.

Die von Adam Smith entwickelte Frage nach der Beziehung zwischen persönlicher Freiheit und wirtschaftlicher Freiheit ist auch heute von entscheidender Bedeutung für unsere Gesellschaft. Persönliche Freiheit ist ein grundlegendes Prinzip einer Demokratie. Sie umfasst individuelle Rechte, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Schutz vor staatlicher Willkür. Die persönliche Freiheit ermöglicht es den Menschen, ihre Ziele zu verfolgen, ihre Talente zu entfalten und ihre Identität zu entwickeln. Im Sinne der wirtschaftlichen Freiheit war für Smith der Marktmechanismus das Instrument, das es den Menschen ermöglichte, ihre wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Durch wirtschaftliche Freiheit entsteht Wettbewerb, Innovation und effiziente Ressourcenallokation. Smith sah die Wirtschaft als einen Bereich, in dem Menschen ihre Fähigkeiten und Talente einsetzen können, um ihren eigenen Wohlstand zu schaffen. Eine Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit würde somit auch die persönliche Freiheit beeinträchtigen.

Die Wurzeln für Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft

Was häufig von Kritikern der Marktwirtschaft unterschlagen wird: Schon bei Smith gab es neben der „unsichtbaren“ auch die „fordernde Hand“, womit der Rechtsstaat gemeint war, ohne den fairer Wettbewerb und sozialer Frieden in einem Gemeinwesen nicht möglich sind. Er erkannte schon damals die potenziellen Risiken und Herausforderungen einer unregulierten Marktwirtschaft. Eine ausgewogene Regulierung sei erforderlich, um den Schutz der persönlichen Freiheit vor den negativen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten zu gewährleisten. Da liegen die Wurzeln für Ludwig Erhards „Soziale Marktwirtschaft“.

Professor Stefan Kolev, der wissenschaftliche Leiter unseres Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin hat am vergangenen Sonntag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter der Überschrift „Der Missverstandene“ eine grundlegende und aktuelle Würdigung der von Smith entwickelten Prinzipien veröffentlicht. Und natürlich sind wir in der Ludwig-Erhard-Stiftung stolz, dass „unser Mann in Berlin“ der Autor ist. Daher möchte ich Sie alle an einigen ausführlichen Zitaten teilhaben lassen.

Adam Smith – kein Revolutionär, sondern ein Reformer

Er schreibt: “Smith war kein Revolutionär, sondern vor allem Reformer. Und das sowohl im Hinblick auf das zeitgenössische wissenschaftliche Denken als auch auf die graduellen Reformen der Wirtschaft, die er seinen Lesern empfahl. Von dieser Smith’schen Skepsis gegenüber Revolutionen kann auch unsere Zeit profitieren.

In seiner „Theory of Moral Sentiments“, deren Erstauflage von 1759 Smith europaweit berühmt machte, findet sich eine Passage, wie gesellschaftlicher Wandel auf zwei verschiedenen Wegen erreicht werden kann. Darin kontrastiert Smith den in den eigenen Urteilen von Tugenden geprägten politischen Akteur mit dem „man of system“. Letzterer wähnt sich im Besitz einer vermeintlichen Weisheit, die er aber mit Anmaßung verwechselt. Die Grenze zur Anmaßung ist überschritten, weil der „man of system“ „oft so in die vermeintliche Schönheit seines eigenen idealen Regierungsplans verliebt ist“, dass er dabei nicht die geringste Abweichung von diesem Plan zu dulden bereit ist.

Das Vergehen des anmaßenden Planers besteht darin, die Komplexität der anonymen Großgesellschaft zu verkennen. Er sieht die Mitglieder dieser Gesellschaft bloß als Schachfiguren im Griff seiner Hand, als wenn „die Figuren auf dem Schachbrett kein anderes Bewegungsprinzip haben als das, was die Hand ihnen aufdrückt“. Er denkt aber nicht daran, „dass auf dem großen Schachbrett der menschlichen Gesellschaft jede einzelne Figur ein eigenes Bewegungsprinzip hat.“

Ist der Kapitalismus ersetzbar?

In den zwei Jahrhunderten nach Smiths Tod kehrte die Frage nach der Ersetzbarkeit dessen, was seit dem 19. Jahrhundert „Kapitalismus“ genannt wird, ständig wieder. Die deutsche Politikerin Rosa Luxemburg brachte es kurz vor der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert auf die berühmte Formel: „Sozialreform oder Revolution“ und kämpfte leidenschaftlich für Letzteres.

Das radikalste Experiment zur Ersetzbarkeit der modernen Großgesellschaft begann nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und bezog wesentliche Inspirationen aus der Kriegswirtschaft. Der planerische Elan, der bei Lenin kurz stockte und während dessen „Neuer Ökonomischer Politik“ durch marktwirtschaftliche Elemente korrigiert wurde, entfaltete unter Stalin seine Blüte – mit den bekannten Folgen für Millionen von Menschen in der Sowjetunion und später auch in anderen Ländern Osteuropas.

Aus diesem historischen Überblick ergeben sich Lehren für heute. Der reformerische Ansatz der liberalen Politischen Ökonomie seit Smith unterstreicht, dass wir durch die graduelle Änderung einzelner Regeln ständig lernen können, wie ein besseres Miteinander möglich ist. Ein anderer Reformer des Kapitalismus, Friedrich August von Hayek, beschrieb den Ordnungsrahmen als Speicher von Wissen, der durch Lernerfahrungen ständig erneuert wird. Wie alles Menschengemachte ist auch dieser Speicher unvollkommen, aber zu wertvoll, als dass man auf die Löschtaste drücken und ihn entsorgen dürfte, wie es Revolutionen tun.

Neue Feindseligkeit von links gegen die Demokratie

Die Klimakrise hat einen Sturm gegen den Kapitalismus ausgelöst. Die Autorin Ulrike Herrmann scheut in ihrem aktuellen Bestseller nicht davor zurück, die Kriegswirtschaft als Alternative zu preisen. Dass im Krieg ein einziges Ziel gilt, nämlich den Gegner zu besiegen, während im Frieden Millionen von Menschen ihre eigenen Ziele wählen, stört dabei nicht – ebenso wenig wie die ökologische und ökonomische Bilanz der Planwirtschaft im 20. Jahrhundert. Das Verstörende daran ist nicht der Angriff auf den Kapitalismus, sondern die neue Feindseligkeit von links gegen die Demokratie, die in ihrer Abwägung verschiedener Ziele zu langsam bei der Bewältigung des Klimawandels sein könne.

Bei aller Krisenhaftigkeit unserer Zeit: Aus der Sicht der liberalen Politischen Ökonomie leben wir in der besten aller gewesenen Welten – zumal mit Smiths besonderem Fokus auf die Lage der Armen. Nie war der globale Anteil der in Armut Lebenden so niedrig. Natürlich leben wir nicht in der besten aller möglichen Welten. Aber Revolutionen werden uns dieser nicht näherbringen. Aus den letzten Jahrhunderten sollten wir gelernt haben, dass die Marktwirtschaft – eingehegt im ständig reformierten Rahmen von Rechtsstaat und Demokratie – der beste Problemlösungsmechanismus ist. Sie befähigt gewöhnliche Menschen, für sich und ihre Mitmenschen Ungewöhnliches zu vollbringen. Auch für unsere Zeit liegt hier die vielversprechendste Energiequelle.“

Gerade in der aktuellen Situation bedeutet das für uns: Nutzen wir diese Energiequelle auch in unserem Land wieder gezielter und richten wir die Rahmenbedingungen wieder stärker aus! Tun wir das im Sinne von Ludwig Erhard und seinen Mitstreitern vor 75 Jahren – mit Mut, Konsequenz und nach den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft! So kann Deutschland in einer Zeit großer Herausforderungen wieder eine Vorbildfunktion für andere übernehmen.

Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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