Die Bundesminister Hubertus Heil und Christian Lindner haben in dieser Woche eine aus dem aktuellen Koalitionsvertrag entwickelte Rentenstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Da begegnen sich in eindrucksvoller Weise zwei Minister und zwei Konzepte wie schwarz und weiß. Einerseits soll eine gesetzliche Mindesthöhe des Rentenniveaus von 48 Prozent festgeschrieben, andererseits erstmals ein Kapitalstock für eine kapitalgedeckte Teilfinanzierung der gesetzlichen Altersrente eingeführt werden. Leider ist das kein schlüssiges Konzept. Bitte folgen Sie mir ein wenig in eine komplexe Zahlenwelt.

Eine Rentengarantie ist nicht realistisch

Zunächst zu den Problemen. Seit vielen Jahren warnen alle Sachverständigen ohne Widerspruch davor, dass das gegenwärtige System ohne wesentliche Veränderungen auf Grund unserer Bevölkerungsentwicklung dauerhaft nicht finanzierbar ist. Zurzeit beträgt der gesetzliche Rentenbeitrag, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich jeweils zu Hälfte teilen, noch 18,6 Prozent. Das liegt auch daran, dass die große Koalition auf Druck der CDU zu Recht eine Begrenzung für alle Sozialausgaben von maximal 40 Prozent des Bruttolohns festgelegt hatte. Mit dem heute vorgelegten Plan wird diese Haltelinie auf Seiten der Beitragszahler im Jahr 2025 aufgehoben. Zugleich fällt damit der von Rot/ Grün (Kabinett Schröder) 2004 beschlossene „Nachhaltigkeitsfaktor“ weg, der die Dämpfung der Rentenanstiege zum Schutz der kommenden Generationen bewirkt hatte. Alleine das wird ab 2035 etwa 30 Milliarden Euro jährlich kosten. Nach den heutigen Berechnungen, so Heil, werde der Beitrag auf 22,3 Prozent im Jahr 2035 steigen. Betrachtet man die Kostendynamik in der Pflege und einer alternden Gesellschaft auch in der Krankenversicherung, dann werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber bald 50 Prozent des erarbeiteten Lohns (Bruttoarbeitskosten) an die Sozialkassen zahlen und dazu kommen noch die Steuern!

Falsch an dem Vorschlag ist die Annahme, man könne eine Rente für den „statistischen Eckrentner“ von 48 Prozent auf Dauer garantieren. Diese Zahl wäre zwar wünschenswert, ganz ohne Frage. Aber dafür hätte unsere Gesellschaft zwei Voraussetzungen erfüllen müssen: Zum einen hätten wir seit 40 Jahren mehr Kinder bekommen und zum anderen, so makaber es klingen mag, früher sterben müssen. Weil beide Optionen völlig unrealistisch sind, macht eine darauf basierende Rentenpolitik ebenfalls keinen Sinn.

Die Kapitaldeckung im Lindner-Fonds ist ein richtiger „kleiner“ Beitrag

Im eher richtigen Teil des Vorschlags präsentiert Bundesfinanzminister Lindner erstmals eine kapitalgedeckte Komponente zur Finanzierung des öffentlichen Rentenproblems. Das ist seit Jahrzehnten überfällig. Es ist ein Armutszeugnis, und gehört zu den Altlasten unserer Parteien, dass sie bisher nicht die Kraft hatten, das umzusetzen, obwohl es dafür gute Vorbilder wie zum Beispiel Schweden gibt. Dort wurde schon vor Jahrzehnten damit begonnen.

Warum ist dieser Ansatz richtig? Wir wissen seit einem Jahrhundert, dass die Einkünfte aus Kapital – ganz besonders aus Aktien – trotz allem Auf und Ab stärker steigen, als die Lohneinkommen. Der Verzicht auf Kapitaldeckung der Altersversorgung ist ein Ausschluss der Arbeitnehmer von Wohlstandsgewinnen und schwächt zugleich die Kapitalausstattung der Wirtschaft. Der von der FDP erzwungene Kompromiss hat aber zwei große Nachteile: Zum einen ist der bis 2035 erhoffte Gesamtbeitrag zu gering, die Erträge würden ab 2035 rechnerisch gerade für eine Woche Rentenzahlung reichen. Zum anderen wird eine Konstruktion gewählt, die vor dem Zugriff des Staates nicht sicher ist. Würde man am Kapitalstock ein Eigentumsrecht der einzelnen Rentner erlauben, wäre das Geld eine Ausgabe des Bundes, aber unterfiele eben auch der Schuldenbremse – da endet die Sache. Es ist also Staatsgeld, das jederzeit durch Gesetz rückholbar bleibt.

Die Regierung sieht den Charme dieses Rentenpakets darin, dass es keine Widerstände auslöst. Die staatliche Rentenversicherung zahlt in den Kapitalstock nicht ein, das vermeidet ideologische Polemik gegen Aktien von Seiten der Gewerkschaften. Es wird eine Stabilität der Rente vorgegaukelt, die die über 40-jährigen beruhigen soll. Es wird zudem keine Arbeitszeitverlängerung angegangen, weil auch das den Volkszorn weckt. Da der Preis für das Zugeständnis des neuen Fonds an die FDP die Verschlechterung einer ohnehin nicht nachhaltigen Rentenpolitik ist, ist dieser Preis zu hoch.

Wir waren schon weiter

Wir waren vor 20 Jahren schon weiter. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre war ein Schritt in die richtige Richtung. Anstatt die Lebensarbeitszeit in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Lebenserwartung mit ruhiger Hand auch in Zukunft steigen zu lassen, wurden immer wieder populistische „Zuckerstücken“ wie eine „Rente mit 63“ verteilt. Die vorsichtigen Ansätze der Kapitaldeckung durch die „Riester-Rente“, die immerhin zu fast 16 Millionen Verträgen führte, wurde durch irrsinnige Garantiebedingungen unattraktiv gemacht. Auch die jenseits des Rentensystems eingeführte Mütterrente macht die Last groß.

Jede künftige Regierung wird mit einer großen Hypothek starten. Sie wird mit den Bürgern über Lasten reden müssen. Der Vorschlag dieser Woche ist ja auch eine gewaltige Last für die heute junge Generation. Diese Generation wird wahrscheinlich nicht mit dem zufrieden sein, was wir bisher zur Lösung der Rentenproblematik beigetragen haben. Die nächste Regierung kommt nicht darum herum, den Menschen zu vermitteln, dass sie den vollen Rentenanspruch erst nahe des 70sten Lebensjahres haben werden. Eine künftige Rentenreform wird wegen der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf eine Deckelung der Sozialabgaben zurückkommen müssen, was Rentenerhöhungen der kommenden Jahre geringer ausfallen lassen wird. Die ebenfalls in dieser Woche in Aussicht gestellten Rentensteigerungen in 2024 und 2025 sind in dieser Höhe ein Fehler.

Wir haben immer noch Chancen

Die Lage wird schwierig, Ludwig Erhard hatte das schon 1956 befürchtet und der umlagefinanzierten Rente nur schweren Herzens zugestimmt. Langfristig reicht diese gesetzliche Rente nicht für einen dritten Lebensabschnitt. Die betriebliche Altersversorgung muss deshalb gestärkt werden. Hier liegt eine große Verantwortung bei den Gewerkschaften, die trotz mutiger Gesetzgebung zu Zeiten von Andrea Nahles bisher die großen Schritte blockieren, bei der IG Metall im Gegensatz zur IG Chemie sogar rigoros ablehnen. Und zum Dritten muss jeder selbst sparen. Den untersten Einkommensgruppen muss der Staat helfen, alle übrigen müssen einen Teil ihres Einkommens verantwortlich nutzen, die auf dem Markt verfügbaren Angebote kann jeder frei wählen und die Besteuerung muss das begünstigen. In einer solchen Konzeption gibt es drei Elemente der Kapitaldeckung, nämlich den jetzt startenden Lindner-Fonds, die betriebliche Altersversorgung und die private Eigenvorsorge. In der Kombination könnte die Chance liegen.

Schaut man auf die vergangenen Tage, wird nach meiner Überzeugung nur der Lindner-Fonds, auch wenn sein Beitrag fast symbolisch (eine Woche) sein wird, bleiben. Er ist richtig. Es ist zu hoffen, dass das laute und einhellige Urteil aller Fachleute die Bürger aufweckt und das falsche Versprechen der 48 Prozent Rentengarantie entlarvt. Das ist der Punkt, an dem eine demokratische Mehrheit für eine unbequeme, aber realistische Lösung gewonnen werden muss.

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