Mitten in der Sommerpause möchte ich heute zu wesentlichen Teilen unseren Stiftungsgründer Ludwig Erhard sprechen lassen –zeigen doch die nachfolgenden Zitate, wie zeitlos manche Diskussion ist. Im letzten Bundestagswahlkampf sah Frau Baerbock in Verboten die schneller wirkende Alternative zu den Regeln der marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik und den daraus folgenden allgemeinen Grundsätzen. Wenn man in das Ministerium von Herrn Habeck schaut, trifft man auf ganze Stäbe, die die Entwicklung der kommenden Jahre möglichst genau planen wollen. Sie glauben zu wissen, welche Technik erfolgreich sein wird, zu welchem Preis welche Energie produziert werden kann und so weiter. All diese Gedanken sind nicht neu. Ludwig Erhard begegneten sie bei dem neu entstehenden Europa in Gestalt der französischen Gedanken der staatlichen Wirtschaftsplanung, genannt Planification. Das war dem Vater der Sozialen Marktwirtschaft zutiefst zuwider.

Erhards Widerstand gegen französische „Planification“

Erhard sprach darüber am 20. November 1962 vor dem Europäischen Parlament*. Es war eine Rede, die auch heute gehalten werden könnte. Ich verschone Sie von allzu vielen Kommentaren und bitte Sie um etwas Ausdauer. Lesen Sie selbst:

Zwei Ordnungssysteme kann man nicht nebeneinanderstellen

„Wichtig scheint mir – um es noch einmal zu sagen – die Erkenntnis zu sein, dass man nur schlecht zwei Ordnungssysteme nebeneinander stellen kann. Man kann nicht auf der einen Seite Wettbewerb und auf der anderen Seite Planung, Planifikation oder Programmierung haben wollen. Sie können rechnerische Vorstellungen so sachte und so gelinde umschreiben, wie Sie nur wollen – im letzten Grunde passt das nicht zusammen […].

Nun aber kommen wir zu den mittel- bzw. langfristigen Programmen – der Programmierung oder Planifikation, wie immer Sie es nennen wollen. Lassen Sie mich zuerst sagen, dass in der Sozialen Marktwirtschaft das Denken keineswegs verboten ist. Auch in der Bundesrepublik waren wir immer bestrebt, so gut es eben ein Mensch vermag, Vorsorge zu treffen und Vorausschau zu üben. Aber wir haben uns nie eingebildet, dass man auf längere Sicht das lebendige Leben in Zahlen einfangen könnte. Das Verhalten der Menschen – und das ist das Entscheidende – stellt eine »Qualität« dar, gleichgültig, ob Sie den Unternehmer oder den Händler und wen auch immer bis zum letzten Konsumenten betrachten. »Qualitäten« solcher Gattung sind aber naturgemäß nicht quantifizierbar, und darum ist jeder solche Versuch nach meiner festen Überzeugung von vornherein zum Scheitern verurteilt.“

Wettbewerb entfesselt alle Kräfte

„Sie werden es verstehen, dass ich mich gerade in den wirtschaftspolitischen Fragen besonders stark angesprochen fühle, denn ich habe ja schließlich ein Programm zu vertreten – das Programm nämlich, mit dem wir Deutschland aus Schutt und Trümmern aufgebaut haben. Ich bin gewiss nicht mit mittel- und langfristigen Programmen an diese Aufgabe herangetreten, sondern ich habe in der Konstituierung einer freien Ökonomie über das Instrument freier Preisbildung und besonders über die Belebung des Wettbewerbs alle Kräfte entfesselt und auf diese Weise Sorge getragen, dass sich die Wirtschaft den jeweiligen Gegebenheiten so schnell wie möglich anpassen konnte. Das allein hat die richtigen und raschen Reaktionen von seiten der in der Wirtschaft handelnden Menschen ausgelöst.

Als ich mein Amt vor der Währungsreform antrat, lagen Stöße von Statistiken und Errechnungen vor, die sicherlich von tüchtigen Leuten angefertigt wurden und im einzelnen kaum zu widerlegen waren. Sie beschäftigten sich z. B. mit der deutschen Devisenbilanz, d. h. der mutmaßlichen Devisenverfügbarkeit, dem möglichen Rohstoffeinsatz, der Kapitaldarbietung unserer Volkswirtschaft, der Entwicklung des deutschen Außenhandels und dergleichen mehr. Der deutsche Wiederaufbau indessen hätte niemals vollzogen werden können, wenn entgegen dieser Zahlengläubigkeit nicht das Vertrauen in die dynamische Kraft der freien Entfaltung, des Arbeitswillens und die Initiative aller Menschen das Wirtschaftsleben beseelt hätte. Aber ich will hier kein Lob für Deutschland ernten; ich möchte nur deutlich machen, wie problematisch diese Dinge sind.“

Die „Long-Term-Pläne“ sind nie aufgegangen

„Erinnern Sie sich noch an die Eröffnung des Marshall-Plans, als wir innerhalb der OEEC zusammensaßen und uns drei bis vier Jahre lang vergeblich bemühten, sogenannte »long-term-Programme« aufzustellen? Jede einzelne Volkswirtschaft war damit beschäftigt, und aller Witz und Scharfsinn sind aufgewandt worden, um in diesem Bemühen so gut wie möglich zu bestehen. Tatsächlich aber ist nicht ein einziges long-term-Programm erfüllt worden; diese Rechnungen sind nie aufgegangen. Erst dann, als man eine völlig andere Methode anwandte – Liberalisierung des Außenhandels, Senkung der Zölle, wirtschafts- und finanzpolitische Ordnung -, konnte der Marshall-Plan fruchtbar werden.

Ich bin meiner Sache sicher – lassen Sie mich das ganz deutlich sagen -, dass diese planwirtschaftlichen oder rechenhaften Vorstellungen, auch wenn sie nur Orientierungspunkte setzen sollen, entweder dem Leben hinterherlaufen oder ihm Gewalt antun. Darum gilt es, den Anfängen zu wehren.“

Wir brauchen kein Planungsprogramm, sondern ein Ordnungsprogramm

„Was wir brauchen, ist meiner Ansicht nach nicht ein Planungsprogramm, sondern ein Ordnungsprogramm. Es macht übrigens einen großen Unterschied aus, ob ein einzelner Unternehmer glaubt, in einer spezifischen Form der Vorausschau die Entwicklung des Marktes besser beurteilen zu können, oder ob der Staat von sich aus über das Instrumentarium der Wirtschaftspolitik hinaus die Entscheidungen der Unternehmungen unmittelbar zu beeinflussen sucht. Das vollzieht sich auf völlig unterschiedlichen Ebenen mit ganz unterschiedlicher Folgewirkung. Jede Verwechslung kann hier nur Schaden stiften. Je mehr wir planwirtschaftliche Elemente in die Wirtschaftspolitik hineintragen, umso mehr werden wir zwangsläufig dahin kommen, dass nicht mehr die berufenen Organe der Gemeinschaft und nicht mehr die politisch verantwortlichen Regierungen bzw. der Ministerrat die eigentliche Wirtschaftspolitik bestimmen, sondern es wird dies immer von einer Behördenapparatur besorgt werden.“

Wer will ermessen, wohin sich die Sehnsucht der Menschen morgen richtet?

„Ich denke auch daran, dass die Menschen noch nicht zur inneren Ruhe und Zufriedenheit gefunden haben, so dass wir möglicherweise vor wesentlichen Änderungen menschlichen Verhaltens stehen. Das ist alles nicht abzusehen. Wer will denn ermessen können, wohin sich die Sehnsucht der Menschen morgen richten wird und welche wirtschaftlichen Auswirkungen sich daraus ergeben. In meinen Augen – und das ist der Inhalt meiner Politik – ist die Wirtschaft nicht Selbstzweck, sondern sie hat eine dienende Funktion für den Menschen, für ein Volk und auch für eine Völkerfamilie, die wir innerhalb unserer Gemeinschaft sein wollen.“

*Ludwig Erhard, Planification – kein Modell für Europa. Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg, 20. November 1962, in: Karl Hohmann (Hrsg.), Ludwig Erhard. Gedanken aus fünf Jahrzehnten, Düsseldorf/Wien/New York 1988, Seiten 770–780.

Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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