Die Kindergrundsicherung spaltet die Meinungen, auch und besonders in der Bundesregierung. Zwar gilt sie als eines der wichtigen Projekte des Koalitionsvertrages. Zugleich aber ergeben sich immer wieder neue Hindernisse und Unstimmigkeiten. Es liegt an Fehlern im Konzept und es lohnt sich, näher hinzusehen.

Kinder brauchen stabile wirtschaftliche Verhältnisse

Zunächst ist festzuhalten, dass alle Kinder in einigermaßen stabilen ökonomischen Verhältnissen aufwachsen sollten. Niemandem ist damit gedient, bei der finanziellen Unterstützung von Kindern, die in Haushalten mit sehr geringen Einkommen leben, alles beim Alten zu lassen. Unabhängig von der Höhe des Betrags ist es über viele Jahre zu einem Wirrwarr von Unterstützungen und Berechnungen gekommen, die niemand wollen kann. Das Motiv für diese komplizierten Regelungen ist zwar immer die Einzelfallgerechtigkeit. Das erreicht die Bürokratie aber auch mit noch so großem Aufwand nicht.

Diese Kindergrundsicherung ist zu kompliziert und zu teuer

Statt einfachere Behördenstrukturen zu schaffen, die Berechnung von Leistungen durch Pauschalierung und Zusammenfassung verschiedener Positionen zu erleichtern, hat man einen ideologisch geprägten Gesetzentwurf eingebracht. Dieser erfordert tausende zusätzliche Verwaltungsbeamte und überstrapaziert die finanziellen Möglichkeiten des Staates. Den Behördenwirrwarr beendet er nicht. Zu allem Überfluss wird neben dem Bürgergeld eine weitere Unterstützung so gestaltet, dass für erwachsene Familienmitglieder der Anreiz zur eigenen Erwerbsarbeit sinkt.

Nehmen wir die Bürokratie. Die Bundesfamilienministerin sieht die Gewährung des Kindergeldes durch die für das Bürgergeld zuständigen Stellen als Diskriminierung. Sie nennt es „stigmatisierend“, wenn die Behörde, die die Arbeitslosenunterstützung der Eltern auszahlt, sich auch um die Kinder dieser Betroffenen kümmert. Deshalb sollen etwa zwei Millionen Kinder aus Bürgergeldhaushalten in Zukunft die laufenden Geldleistungen für den Lebensunterhalt über eine andere Behörde, die Familienkasse, ausgezahlt bekommen. Wenn das Kind auf Grund der besonderen persönlichen Situation jedoch Regel-Zusatzleistungen erhält, sind diese auch künftig bei eben diesem Jobcenter zu beantragen. Es erklärt sich nicht, warum das dann keine „Stigmatisierung“ ist. Die gegenseitige Anrechnung von Leistungen würde noch schwieriger. Ein dafür notwendiges einheitliches und bundesweit zentrales Computersystem mit dem Datenaustausch aller Sozialverwaltungen bleibt aber auf sehr lange Zeit eine Illusion.

Arbeit muss sich mehr lohnen als Nichtarbeit

Mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage ist der gewählte Weg nicht vereinbar, denn die Summe der Erwerbsarbeit wird verringert. Neben den ohnehin schon negativen Effekten des zu hohen Bürgergeldes stellt sich für die Eltern der unterstützten Kinder jetzt die Frage, ob sich Arbeit noch lohnt. Das Münchener ifo Institut und das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim haben in diesen Tagen dazu eine Studie vorgelegt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass „die Reform in allen Varianten negative Arbeitsangebotswirkungen aufweist. Zwischen 392 Tausend und 449 Tausend Personen wechseln nach den Modellrechnungen von einem Beschäftigungsverhältnis zu Nichtarbeit.“ Das kommt daher, dass man durch eigene Erwerbseinkommen auf Staatszuschüsse verzichten müsste. In Zukunft würde es zudem Fälle geben, in denen Familien kraft Verwaltungsakt Zuschüsse erhalten, obwohl sie diese gar nicht beantragt haben. Diese “zugewiesene“ Unterstützung minimiert durch ihre Anrechnung den zusätzlichen Ertrag aus Erwerbsarbeit. Durch diese Maßnahmen werden die Zahlungen für Sozialabgaben und Steuern um einen Milliardenbetrag geringer. Der Abbau von Erwerbsarbeit treibt die Gesamtkosten der Reform nach dem Gutachten von eigentlich 17 bis 25 Mrd. Euro auf 27 bis zu 34 Mrd. Euro. Die bisherigen Debatten zwischen den Koalitionspartnern über einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag sind also nur der Anfang.

Soziale Hilfe ist keine staatliche Bringschuld

Die Bundesfamilienministerin sieht in dem Gesetzentwurf einen Paradigmenwechsel. Und sie hat Recht. Aber da liegt wahrscheinlich zugleich das bedeutendste Problem. Der Anspruch von Mitbürgern – gerade auch von Kindern – auf eine finanziell ausreichende Unterstützung zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist im Grundgesetz verbrieft. Aber wenn die Ministerin sagt, dabei handele es sich um eine Bringschuld des Staates, dann irrt sie. Die Unterstützung wird nicht zugewiesen, sie muss vielmehr gewollt sein und beantragt werden. Wenn das in Behörden aktuell zu kompliziert ist, dann muss es einfacher werden. Da hilft der Gesetzentwurf aber wenig. Das Recht, auf staatliche Unterstützung zu verzichten, ist ein Bürgerrecht und Eltern haben das Recht, dies auch für ihre Kinder zu entscheiden. Manche Betroffene arbeiten unter schweren Bedingungen, bis an ihre Leistungsgrenze, um den Gang zum Sozialamt zu vermeiden. Dass der Staat ihnen das Geld unaufgefordert „bringt“, ist Ideologie, nicht aber das Bild einer freiheitlichen Leistungsgesellschaft.

Der vor wenigen Wochen ausgeschiedene Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, hat uns zu Recht auf die besonders großen Leistungen des Sozialsystems hingewiesen und gemahnt: „Mit den Erträgen, die unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft erarbeitet haben, konnte man sich das leisten. Wir haben uns an ein hohes Sozialstaatsniveau gewöhnt. Vieles ist für die Bürger selbstverständlich geworden, was andernorts überhaupt nicht selbstverständlich ist.“ Wenn man sich die kumulativen Effekte von Bürgergeld und Kindergrundsicherung genauer ansieht, dann muss man die hier jetzt geplanten Erhöhungen in das Gesamtbild stellen. Die Schwelle, ab wann jemand bedürftig ist, wurde im Bürgergeldgesetz sehr deutlich abgesenkt. In der Bedarfsgemeinschaft darf nun jeder Erwachsene ein Auto haben. Das Eigenheim mit bis 140 Quadratmetern zählt zum Schonvermögen, ebenso weiteres Vermögen bis zu 40.000 Euro plus 15.000 Euro für jede weitere Person. Der Kreis der Bürgergeldberechtigten wurde damit stark ausgeweitet. Aber die Leistungsfähigkeit des Staates hat Grenzen und die müssen berücksichtigt werden. Noch einmal Schlegel: „Karlsruhe gibt vor, dass das Bürgergeld ein soziokulturelles Existenzminimum sichern muss. Die Beträge darf der Gesetzgeber nicht ins Blaue hinein festsetzen, er muss sich an den realen Verhältnissen orientieren. Dazu gehört auch, wie es dem Gemeinwesen insgesamt finanziell geht. Karlsruhe gibt aber keine bestimmte Höhe des Bürgergeldes vor. Die Politik hätte auch bei den Sanktionen nicht so stark zurückrudern müssen, wie das nach dem Karlsruher Urteil zu Leistungskürzungen geschehen ist.“ Das gilt in gleicher Weise für die Kindergrundsicherung.

Mehr Effizienz, gezielte Hilfe, weniger Ideologie werden gebraucht

Das vorliegende Modell ist ein Bürokratiemodell und keine Sozialreform. Es ist ein untauglicher Ansatz, die bestehenden Verhältnisse zu verbessern. Dabei könnten die bestehenden Behörden viel effizienter zusammenarbeiten und so den Betroffenen helfen. Die Ämter brauchen einen vollständigen Datenabgleich, automatisierte Berechnungen auf Grund der zusammengeführten Informationen und einheitliche Regeln. Verbesserte Leistungen müssen gezielt auf die tatsächlichen Herausforderungen konzentriert werden. Das Familienministerium drängt sich mit einer eigenen Behörde in eine funktionierende Zuständigkeit des Arbeitsministeriums. Die einheitliche soziale Unterstützung der Kinder in den Familien, die Bürgergeld beziehen, ist aber in der Sache logisch. Alles andere ist komplizierte Bürokratie aus ideologischen Gründen.

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