In der kommenden Woche beschließt das Europäische Parlament nach langen Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten wahrscheinlich die „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen an nachhaltige Produkte” (Ökodesign-Richtlinie). Das klingt zwar langweilig, ist aber in Wirklichkeit ein bedeutender Schritt in eine staatlich gesteuerte und kontrollierte Volkswirtschaft. Mit dem Argument, es müsse in allen Wirtschaftsbereichen eine Kreislaufwirtschaft geschaffen werden, darf es nach den detaillierten Vorgaben der Gesetzgeber nur noch Produkte geben, die aus ökologisch erwünschten Bestandteilen bestehen und die Reparaturvorschriften und Lebensdauer-Vorgaben erfüllen. Der Europäische Markt wird damit von allen Importen abgeschottet, die diesen speziellen EU-Anforderungen nicht gerecht werden.

Ein dichtes Netz von Regeln überzieht den Markt

Da sich die meisten Leser mit diesem Thema nicht beschäftigen, werde ich Ihnen zunächst einige Zitate aus der aktuellen, 290 Seiten umfassenden, Vorlage präsentieren, um dann die aus meiner Sicht zu fürchtenden Konsequenzen zu nennen.

In Ziffer 20 der Einführung der neuen Richtlinie heißt es zur Frage, wie man sich die Regulierung vorstellt: “Die Leistungsanforderungen sollten sich auf einen ausgewählten Produktparameter beziehen, […] für den Potenzial zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit ermittelt wurde.“ Und: „In Bezug auf Mindest- oder Höchstgehalte können sie beispielsweise in Form einer Begrenzung des Energieverbrauchs in der Nutzungsphase oder der Mengen eines bestimmten Materials, die in das Produkt aufgenommen werden, einer Anforderung an Mindestmengen an recyceltem Material oder einer Begrenzung einer bestimmten Umweltwirkungskategorie oder einer Aggregation aller relevanten Umweltauswirkungen erfolgen.”

Zuvor wurde klargestellt, welche Macht die EU-Kommission in Zukunft haben soll: “Um einen wirksamen und zukunftssicheren harmonisierten Rechtsrahmen zu schaffen, ist es notwendig, die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für alle physischen Güter, die in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, einschließlich Komponenten wie Reifen und Zwischenprodukte, zu ermöglichen. Digitale Inhalte, die integraler Bestandteil eines physischen Produkts sind, sollten ebenfalls in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Dies sollte es den Kommissionen ermöglichen, bei der Festlegung von Ökodesign-Anforderungen eine möglichst breite Palette von Produkten zu berücksichtigen”.

Die Regelungen betreffen alle Wirtschaftsbereiche, aber die Gängelungstiefe bei Kleidung ist wahrscheinlich noch einmal besonders stark (Ziffer 47a). “Neu produzierte, aber nicht verkaufte Textilien und vor allem Kleidung gehören zu den Gegenständen, die Berichten zufolge vernichtet werden. Kleidung sollte höher bewertet, getragen und gepflegt werden, als das, was die heutige Fast-Fashion-Kultur mit sich bringt. Aus Sicht der Kreislaufwirtschaft steht eine solche Verschwendung wertvoller Ressourcen in klarem Widerspruch zu den Zielen dieser Verordnung, die ökologische Nachhaltigkeit zu verbessern. Es ist daher gerechtfertigt, die Vernichtung von unverkaufter Verbraucherbekleidung und Bekleidungszubehör sowie von Schuhen zu verbieten.”

Die kleinteilige Regulierung ist eine Selbstüberschätzung

Zunächst darf man sich über die Anmaßung erregen, die Freiheit von Erfindern, Händlern und Konsumenten auf diese Weise zu beschränken. Man kann sicher sagen, dass in den Ordnungsvorstellungen Ludwig Erhards das Konzept schon wegen dieser unsäglichen Selbstüberschätzung niemals ernsthafte Chancen gehabt hätte. Darauf möchte ich zum Schluss noch einmal kommen. Zuvor geht es mir darum, darauf aufmerksam zu machen, welche Konsequenzen eine solche Regulierung in einem rechtsstaatlich organisierten Gemeinwesen hat. Das kann man schon im ersten der zitierten Sätze erkennen. „Ausgewählte Produktparameter, für den Potenzial zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit ermittelt wurde.” In welchem Verfahren werden diese Parameter denn ausgewählt? Wer trifft die Entscheidung, ob das “Potenzial” im Verhältnis zu Nachteilen relevant ist? Woher will die Verwaltung das eigentlich wissen? Wie groß muss eine Verwaltung sein, um alle Neuerungen bei allen “physischen Gütern” im Blick zu haben? Und selbst wenn tausende neue Beamte in Brüssel und den Hauptstädten eingestellt würden – wer stellt sicher, dass sie kompetent sind? Es scheint so, als ob, mit jeder „ungeplanten“ neuen Idee im Markt eine Rechtsverordnung gebraucht wird, die wiederum in ganz Europa abgestimmt werden muss. Damit das formal funktioniert, erhält die EU-Kommission das Recht, neue Verordnungen in eigener Kompetenz zu erlassen (delegierte Rechtsakte), um wirklich alle Produkte “im Griff zu haben”. Nun könnte man sich zurücklehnen und darauf warten, dass die Bürokratie an diesem weiteren Monstrum zusammenbricht. So einfach ist es aber nicht. Compliance bedeutet, sich entsprechend den nun einmal eingeführten Regeln zu verhalten. Wenn dann Regeln fehlen, zu spät kommen oder unerwartet geändert werden, sind Geschäftsmodelle und Ziele in Gefahr. Also warten viele auf die Regulierung. Schon das Wissen von diesem Mechanismus schreckt ab und kostet Wirtschaftswachstum und Wohlstand.

Die Ökodesign-Richtlinie atmet den Geist der Planwirtschaft

Jenseits der Tatsache, dass die Ökodesign-Richtlinie ein weiterer Beitrag zum immer offensichtlicher werdenden Regulierungsinfarkt sein wird, geht es aber auch um Grundsätzliches. Mit der moralisch hohen Motivation der Ökologie wird der Motor der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt und durch staatliche Planung ersetzt. Die Genialität der „unsichtbaren Hand“ des Marktes liegt aber darin, unüberschaubar viele Angebote und Wünsche so zu koordinieren, dass die Versorgung klappt. Genau das kann eine geplante Wirtschaft nicht. Auch die Kreislaufwirtschaft darf keine Legitimation dafür sein, in die Gestaltung der Details der Produkte einzugreifen. In der Marktwirtschaft gibt es genügend systemkonforme Instrumente, einen verantwortlichen Umgang mit Ressourcen zu organisieren. Die Industrie ist heute wieder sauber, weil es eine „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft)“ als Regulierung gibt. Ebenso ist es mit dem Abwasser. Und ebenso sind die Möglichkeiten beim Abfall. Auch moralische Appelle mögen ihren Platz haben, aber vor allem gilt es, die Kreativität der Freiheit zu mobilisieren und zuzulassen; die Freiheit des Konsums, auch wenn Kleider und Anzüge alle Jahre wechseln; die Freiheit, neue Produkte zu entwickeln, die mit Gewinn verkauft werden können, auch wenn sie keinen EU-Produktpass mit allen Genehmigungen haben. Und wir brauchen einen offenen europäischen Markt für neue, gute und preiswerte Produkte, auch wenn sie nicht nach dem Geschmack einer EU-Richtlinie sind.

Zur Erholung der Gedanken lohnt es sich, bei Ludwig Erhard nachzulesen: „Das ist ja gerade das Geheimnis der Marktwirtschaft, und das macht ihre Überlegenheit gegenüber jeder Art von Planwirtschaft aus, daß sich in ihr sozusagen täglich und stündlich die Anpassungsprozesse vollziehen, die Angebot und Nachfrage, Sozialprodukt und Volkseinkommen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Beziehung zu richtiger Entsprechung und so auch zum Ausgleich bringen. Wer also nicht Leistungswettbewerb und freien Marktpreis will, hat jedes Argument gegen die Planwirtschaft aus der Hand gegeben.“[1]


[1] Vgl. Karl Hohmann (Hrsg.), 1988, S. 348f

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