Es werden immer mehr neue Regulierungsideen der aktuellen Bundesregierung bekannt, die das konkrete Verhalten der Bürger reglementieren sollen. Natürlich wird das immer damit begründet, dass es ja nur zu ihrem Besten und daher in deren Interesse sei. Vom Reduzieren des Fleischkonsums in der Kantine des Landwirtschaftsministeriums, über die Kennzeichnung von jedwedem Produkt nach Tierhaltung oder Zuckergehalt bis zum Verbot des Rauchens in privaten PKW im Beisein von Kindern – der gesunde Menschenverstand sollte ausreichen, um das Rauchen in Gegenwart von Kindern zu unterlassen – ist das Angebot der neuen Regulierungen wirklich vielfältig. Wahrscheinlich ist eine der einschneidendsten neuen Regulierungsabsichten das Werbeverbot für „ungesunde Lebensmittel“, besonders im Blick auf Kinder. Dabei geht es eigentlich immer um die Frage, wie weit der Staat der fürsorgliche Vormund freier Bürger sein darf.

Das „Kinderlebensmittel-Werbegesetz“ ist ein Beispiel für falschen staatlichen Paternalismus

Seit vielen Jahren kann man an den Verkaufsstellen für Zigaretten eine breite Palette von verstörenden Bildern sehen, die jedenfalls in einer Schule ohne Vorwarnung wegen des Grundsatzes des „Beschützens vor unbehaglichen Ideen“ gar nicht mehr gezeigt werden dürften. Die aktive Zigarettenwerbung ist schon lange eng begrenzt oder verboten. Die Wirkung auf den tatsächlichen Konsum von Zigaretten ist umstritten, jedenfalls raucht die junge Generation wieder mehr.

Was bei dem relativ eng begrenzten und mit offensichtlichen Suchtgefahren verbundenen Wirtschaftsbereich der Tabakwaren möglicherweise auch im Angesicht der so wichtigen Konsumentenfreiheit noch akzeptabel ist, soll jetzt die zentralen Bereiche der Ernährung, nämlich alle mit einem höheren Gehalt an Zucker, Fett oder Salz verbundenen Nahrungsmittel, umfassen. Die Regelungen im Entwurf des „Kinderlebensmittel-Werbegesetz“ verletzen nicht nur die Regeln einer marktwirtschaftlichen Ordnung, sie entspringen auch einem staatlichen Bevormundungsdenken, dass die heutige Politik prägt, ihr aber nicht zusteht.

Nach dem jetzigen Gesetzesentwurf geht es vordergründig um den Schutz der Kinder. Sie sollen etwa nicht zum Genuss von Süßigkeiten angeregt werden. Der Staat maßt sich damit an, sowohl über die räumliche Verbreitung von Produktwerbung – 100 Meter im Umkreis von Schulen, Werbung nur in den Nachtstunden – als auch die qualitative Einordnung von Produkten – natürlich Schokolade, aber auch Joghurt – zu entscheiden. Außerdem spricht er den Eltern jegliche Erziehungsqualität ab.

Inzwischen wird deutlich, wie manipulativ dies alles sein wird, denn auf Druck der Bauern wird wohl normale Milch trotz hohen Fettgehalts wieder aus dem Gesetzentwurf herausgenommen. Werbung für vom Staat mehr oder weniger willkürlich als ungesund definierte Lebensmittel soll in Medien wie Hörfunk, gedruckten Veröffentlichungen, Internetseiten, im Fernsehen, auf Video-Sharing-Plattformen und beim Influencer-Marketing reguliert werden. Im Fernsehen und Radio ist werktags gar ein Werbeverbot im Zeitraum von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr vorgesehen. Im ersten Entwurf war sogar ein Verbot von 6 bis 23 Uhr an jedem Wochentag geplant. Das ist in Wirklichkeit nicht der Schutz der Kinder, sondern ein allgemeiner Staatspaternalismus! Das Werbeverbot zu den Zeiten, in denen die meisten Menschen die Medien nutzen, ist zugleich ein bisher nie dagewesener Eingriff in die Gewerbefreiheit.

Nicht alle Fehler, die wir machen, rechtfertigen Gesetze

Um nicht missverstanden zu werden: Adiposität ist ein großes Problem. Information, ja sogar Warnung und Mahnung, kann man einer Regierung nicht verwehren. Selbstverständlich können Ärzte und Krankenkassen Programme zum Thema Zucker starten. Schulen sollten Ernährungskunde als Bestandteil ihres Unterrichts haben.

Aber wir sind ein freies Land. Wir haben das großartige Recht, selbst zu entscheiden, was wir tun. Wir dürfen uns auch gefährden, ohne dass der Staat die Verantwortung für unser Glück oder unsere Gesundheit an sich zieht. Man könnte jetzt einwenden, es gehe doch um die Kinder. Das ist richtig, aber da gibt es die Eltern mit ihrer Verantwortung und ihrem Erziehungsrecht. Unsere Verfassung ermächtigt den Staat nicht, in diese alleinige Verantwortung der Eltern wegen allgemeiner Ernährungsfragen einzugreifen. Das weiß der Minister, deshalb kein Schokoladenverbot sondern „nur“ ein Werbeverbot.

Glück und Lebensweise werden nicht durch Gesetz bestimmt

Aber es geht um mehr bei diesem Streit. Es geht um die Grenzen der staatlichen Bevormundung. Der Veggie-Day war ja eher eine überflüssige Schnapsidee. Aber jetzt muss man fragen, ob das so bleibt. Werbung für Fleisch, Werbung für Alkohol, Werbung für Video-Spiele; das alles kann man auch gefährlich und gesundheitsgefährdend nennen. Aber es geht den Staat nichts an. Das Glück und die Lebensweise werden nicht durch Gesetze geregelt, und der Staat ist weder schlauer noch moralischer als jeder Einzelne von uns. Vor allem ist er, auch wenn einige Politiker das meinen, für das Glück jedes Einzelnen nicht zuständig oder gar verantwortlich. Wenn wir, etwa mit dem Konsum eines Produktes wie Schokolade oder rotem Fleisch, unsere Gesundheit möglicherweise langfristig schaden, so muss es unsere eigene Entscheidung für oder wider den Konsum bleiben – es versteht sich von selbst, dass wir die Konsequenzen in jeden Fall tragen. Aber genau das macht Freiheit, Selbstbestimmung und vor allem Eigenverantwortung aus!

Staatliche Bevormundung stört auch den wirtschaftlichen Wettbewerb

Es bleibt zudem auch eine ökonomische Abwägung: Mit dem Werbeverbot wird ein beachtlicher Teil der Medien in Deutschland massive Existenzprobleme bekommen. Mittelständische Nahrungsmittelproduzenten werden praktisch keine Chance mehr haben, einen Markt gegen die alten Platzhirsche zu erobern. Das Quasi-Monopol der Etablierten verzerrt den Markt und ist eine Einladung zu Preiserhöhungen.

Und: Fragen Sie sich doch einmal selbst: Glauben Sie allen Ernstes, Kinder würden auf Schokolade verzichten, weil der Staat die Werbung verbietet?

Man muss es so hart formulieren: Die politischen „Glücklichmacher“ bedrohen die Freiheit und sie nehmen in unzulässiger Weise Einfluss auf uns alle. Einzelne vor Bedrohungen zu schützen, klingt so sensibel und verantwortlich. Aber der Staat muss uns – jedem Einzelnen – den Vortritt lassen.

Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Wenn Sie ERHARD HEUTE regelmäßig lesen möchten, können Sie die Kolumne hier abonnieren.

DRUCKEN
DRUCKEN