Junge Leute, die von den Alten in die Pflicht genommen werden, ihre Renten zu bezahlen, ihre Schulden abzutragen und für ihre Europapolitik finanziell einzustehen, während sie gleichzeitig Familien gründen und sich Vermögen erarbeiten wollen und dazu noch für ihr eigenes Alter vorsorgen müssen, haben bei uns keine Lobby.

In den USA weiß jedes Kind, dass die politischen Ansichten der obersten Richter einen großen Einfluss auf die Ausrichtung der Regierungspolitik haben. Deshalb kämpfen dort die Politiker bei jeder Neubesetzung eines Richterposten bis aufs Messer um ihren Kandidaten. Bei uns wird so getan, als ob das Bundesverfassungsgericht haushoch über der Politik stünde. Dabei haben es seine Urteile politisch in sich. Über die Jahre stützen sie eine Politik unter Kanzlerin Merkel, die mit hohem Aufwand wenig effektiv und recht ineffizient den globalen Klimawandel bekämpft und hohe finanzielle Belastungen für die Zukunft auftürmt. Zwar heben die Richter in ihren Urteilen zur Europapolitik immer mal wieder sprichwörtlich „die Augenbrauen“, aber der deutschen Duldung der monetären Finanzierung von Staatsschulden durch die Europäische Zentralbank (EZB) und der Vergemeinschaftung der Schuldenaufnahmen im Wiederaufbaufonds der Europäischen Union setzen sie ernsthaft nichts entgegen. Im Gegensatz dazu, treiben sie eine fragwürdige Klimapolitik geradezu an.

Wie ihr Beschluss vom 29. April zur Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz zeigt, sind die Richter bereit, sich dabei auch auf dünnes Eis zu begeben. Erstens haben sie sich in dem Beschluss auf Schätzungen eines „CO2-Restbudgets“ gestützt, die naturgemäß unsicher sind, aber von der Politik nun zur Begründung übereilter Maßnahmen genutzt werden. Zweitens verpflichten sie die Bundesregierung zu einschneidenden Maßnahmen, von denen angesichts der in Deutschland ausgestoßenen Menge an Kohlendioxid die Entwicklung des Weltklimas kaum abhängen dürfte. Drittens haben sie nur in Bezug auf den Klimaschutz die Grundrechte als „intertemporale Freiheitssicherung“ interpretiert. Freiheitssicherung kann aber nicht selektiv, sondern muss ganzheitlich sein.

Vor allem müsste sie für die Staatsfinanzen und die Geldwertstabilität gelten, die Freiheitsrechte junger Menschen in Deutschland stärker und direkter infrage stellen als das globale Phänomen des Klimawandels. Denn wenn aufgrund von politischen Maßnahmen in der Gegenwart der deutsche Staat in der Zukunft seine Bürger ausplündert oder gar bankrottgeht und das Geld seinen Wert verliert, dann werden die Freiheitsrechte der jüngeren Deutschen, die für diese Maßnahmen die Konsequenzen zu tragen haben, unmittelbar verletzt. Im Vergleich dazu wirkt die deutsche Klimapolitik auf das Klima sehr indirekt und das mit dem Klimawandel einhergehende Freiheitsrisiko ist in gemäßigten Klimazonen überschaubar.

Wie Ludwig Erhard nie müde wurde zu erklären, ist Geldwertstabilität eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit.

Der Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen und seine Kollegen erstellen für die Stiftung Marktwirtschaft regelmäßig Generationenbilanzen, die anzeigen, wie die gegenwärtige Fiskal- und Sozialpolitik die Bürger in der Zukunft belasten werden. Diese Generationenbilanzen sind mit erheblich geringeren Unsicherheiten belastet als die Vorhersagen aus Klimamodellen. Nach der im Januar dieses Jahres vorgestellten jüngsten Rechnung beläuft sich die „Nachhaltigkeitslücke“, die explizite und (meist über Zusagen der Sozialversicherung geschaffene) implizite Staatsschulden umfasst, auf 12,3 Billionen Euro oder 357 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Davon sind 4,2 Billionen oder 121,3 Prozent durch die Corona-Politik bedingt. Um diese Lücke zu schließen, die Staatsfinanzen also wieder auf soliden Grund zu stellen, müssten entweder alle Einnahmen um 16,3 Prozent erhöht oder alle Ausgaben um 13 Prozent gesenkt werden. Die wesentlichen Nutznießer der gegenwärtigen Fiskal- und Sozialpolitik ist die bald in Rente gehende Generation der „Babyboomer“; die Leidtragenden sind diejenigen, die den größeren Teil ihres Erwerbslebens noch vor sich haben.

Wie Ludwig Erhard nie müde wurde zu erklären, ist Geldwertstabilität eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit. Davon konnten die Älteren in den vergangenen vier Jahrzehnten ihres Erwerbslebens profitieren. Doch heute setzt die Europäische Zentralbank mit ihrer Politik der Geldvermehrung die Geldwertstabilität in der Zukunft aufs Spiel. Sie hat schon in und nach der Finanzkrise versucht, mit billigem Geld die Wirtschaft zu päppeln und in Reaktion auf die Corona-Krise massiv Anleihen aufgekauft. Seit 2006 ist ihre Bilanzsumme auf das Siebenfache des damaligen Umfangs gewachsen. Und seit 2019 ist die Geldmenge (M3) um 16 Prozent gestiegen, während das nominale Bruttoinlandsprodukt um drei Prozent geschrumpft ist.

Der Geldüberhang stellt ein Inflationspotenzial dar, das nur durch Zinserhöhungen oder Verkäufe der Anleihen entschärft werden könnte. Inzwischen hält die EZB aber Staatsanleihen im Wert von über drei Billionen Euro, was 27 Prozent der ausstehenden Schulden aller Eurostaaten entspricht. Würde die EZB diese Anleihen verkaufen und die Zinsen erhöhen, wenn die Inflation steigt, würde sie private Schuldner und die hoch verschuldeten Eurostaaten in große Finanzierungsschwierigkeiten bringen. Daher hüllt sich die EZB lieber in Schweigen darüber, wie sie den Anleihebestand jemals wieder reduzieren könnte, und hofft wohl, dass das damit verbundene Inflationspotenzial auf wundersame Weise verschwinden wird.

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts zeigen viel Sympathie für das Anliegen der Fridays-for-Future-Bewegung. Aber es ist nicht ersichtlich, dass sie sich gefragt hätten, ob diese Bewegung die wesentlichen Anliegen der jungen Generation wirklich vertritt. Protagonisten dieser Bewegung, wie die Cousinen Luisa Neubauer und Carla Reemtsma, deren Vorfahren Pioniere der Tabakindustrie waren, stammen meist aus wohlhabenden Familien und können sich für die Zukunft finanziell gut versorgt fühlen. Wer aber vertritt die Anliegen der jungen Leute aus den weniger wohlhabenden Kreisen, die von den Alten in die Pflicht genommen werden, ihre Renten zu bezahlen, ihre Schulden abzutragen und für ihre Europapolitik finanziell einzustehen, während sie gleichzeitig Familien gründen und sich Vermögen erarbeiten wollen und dazu noch für ihr eigenes Alter vorsorgen müssen? Um die „intertemporalen Freiheitsrechte“ der Mehrheit der jüngeren Generationen scheint sich weder das Gericht noch die Politik zu scheren.

Prof. Dr. Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Professor an der Universität Witten/Herdecke. Er ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung und Vorsitzender der Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik.


Der Beitrag ist zuerst in der WELT vom 21. Mai 2021 erschienen.

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