Gestern sollte das sogenannte „Lieferkettengesetz“, das den Schutz von Menschenrechten und Umwelt in der globalen Wirtschaft zum Ziel hat, im Deutschen Bundestag beschlossen werden. In letzter Minute wurde es gestoppt. Was auch immer der genaue Grund war, diese Entscheidung war richtig: Das Gesetz sollte auf keinen Fall beschlossen werden! Es ist ein neues nationales bürokratisches Monstrum, es bringt unterentwickelten Ländern mehr Nachteile als Vorteile, und es ist ein neuer Wettlauf europäischer Kleinstaaterei.

Vielleicht sind die Verantwortlichen im Deutschen Bundestag in letzter Sekunde vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages aufgeweckt worden. Dieser hatte vor wenigen Tagen in einer Stellungnahme zum „Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ darauf hingewiesen, dass die Volkswagen-Produktion im chinesischen Urumqi, mitten im Siedlungsgebiet der Uiguren, wegen der an dieser Volksgruppe durch chinesische Politik begangenen Menschenrechtsverletzungen wahrscheinlich stillgelegt werden müsse. Geschieht das nicht, muss Volkswagen mit einer Strafe in Höhe von 2 Prozent seines Weltumsatzes rechnen, also 5 Milliarden Euro.

Diese Angst der großen weltweit agierenden Unternehmen ist die eine Seite, der ungeheure bürokratische Aufwand für alle größeren mittelständischen Unternehmen die andere. Schließlich müsste für jedes Einzelteil eines Produktes in Zukunft geprüft werden, wo es herkommt, welche Rücksicht auf die Menschenrechte dort genommen wird und was der einzelne Geschäftspartner tut, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen erhielten ein Klagerecht gegen jedes einzelne Unternehmen, wie wir es von den Umweltverbänden bei Bauprojekten kennen. Die Geldbußen würden dann zwar nicht 5 Milliarden Euro betragen, aber bis zu 800.000 Euro pro Vorfall könnten es leicht werden.

Wenn man sich wünscht, dass dieses Gesetz niemals den Weg ins Bundesgesetzblatt findet, dann ist man kein Feind der Menschenrechte. Das Lieferkettengesetz ist jedoch ein typisches Beispiel einer immer populärer werdenden staatlichen Allmachtsattitüde, in der in jeder Nation jeder Einzelne zum Mitkämpfer an der Weltrettung rekrutiert wird. Daran wird der Staat sich verheben.

Dennoch können und müssen wir alle in einer freien Gesellschaft die Augen aufmachen. Wir sollten beim Kauf der Produkte auf die Situation der Menschen, die an der Herstellung beteiligt waren, achten. Als 2013 der achtgeschossige Fabrikkomplex Rana Plaza in Bangladesch einstürzte und die ganze Welt das Elend sah, veränderte sich der Markt für preiswerte Kleidung in Deutschland. Die Anbieter wurden achtsamer und verließen besonders schlechte Standorte – und die Kunden honorierten es am Markt. Nigerianische Bauern haben Shell vor Kurzem erfolgreich wegen Umweltzerstörung in ihrem Land vor einem Gericht der Niederlande verklagt. Menschenrechte sind ein Maßstab.

„Nicht der Staat hat darüber zu entscheiden, wer im Markt obsiegen soll (…), sondern ausschließlich der Verbraucher. Quali­tät und Preis bestimmen Art und Richtung der Produk­tion, und nur nach diesen Kriterien vollzieht sich auf der privatwirtschaftlichen Ebene die Auslese. In dieser Sicht ist die Freiheit ein staatsbürgerliches Recht, das von nie­mandem außer Kraft gesetzt werden darf.“ (Ludwig Erhard 1957)

Politiker in Europa vertrauen dem Markt in einer global immer transparenteren Welt jedoch nicht. Sie ersetzen „Fair-Trade-Kampagnen“ durch Dokumentationslisten, Berichtspflichten, Bußgelder und Gerichtsprozesse. Es sind wohlfeile Überschriften, die ein gutes Gefühl geben sollen, aber nichts bewirken. Die deutschen Online-Händler werden durch das Gesetz gebunden, Amazon und andere ausländische Anbieter bleiben dagegen verschont. Wir zahlen Entwicklungshilfe in Länder, deren Produkte wir nicht mehr kaufen dürfen, aber beim oben genannten Beispiel Volkswagen werden wir am Ende trotz Millionen eingesperrter Zwangsarbeiter wegen der guten Geschäfte wegschauen.

Menschenrechte sind Verfassungsrecht. Sie werden von souveränen Staaten gewährt und leider zu oft auch verweigert. Es ist Aufgabe der freiheitlichen Staaten, daran etwas zu ändern. Es sind Themen für die UN, die internationale Arbeitsorganisation ILO, die Welthandelsorganisation und für Abkommen zwischen einzelnen Staaten. Wenn diese Institutionen versagen, können nicht Tausende von großen und mittleren Unternehmen das Problem auf die Schultern geladen bekommen. Eine freie Wirtschaftsordnung leistet ihren Beitrag zu einer humanen Welt durch Wettbewerb, Garantie des Privateigentums, Risiko und Leistungsbereitschaft. Die Welt retten kann sie nicht. Das Lieferkettengesetz stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Das ist nicht sozial, es ist falsch!

P.S.: Schon im Juni will die EU-Kommission ein eigenes Lieferkettengesetz vorstellen. Das Gesetz des Deutschen Bundestages wird also in keinem Fall gebraucht. Wir sollten es vergessen und mit den gleichen Argumenten versuchen, auch Brüssel zu überzeugen.


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