Bundeskanzler Olaf Scholz sagte auf dem SPD-Parteitag vor einer Woche zu den Verhandlungen über Kürzungen im Bundeshaushalt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: „Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben.“ Der Sozialstaat sei eine der größten Errungenschaften, die Deutschland zustande gebracht habe. Er gehöre zur DNA, zum Selbstverständnis des Landes. Das werde niemand aufgegeben, denn es sei die Grundlage des Wohlstands, so Scholz.

Bei den jetzt gefundenen, möglicherweise vorläufigen Kompromissen zum Bundeshaushalt 2024 ist das Thema „Bürgergeld und verstärkte Anreize zur Arbeitsaufnahme“ dennoch mit einigen wenig konkreten Ankündigungen und einer unsubstantiierten Kürzung um 1,5 Milliarden Euro erwähnt. Die Sorge vieler Wissenschaftler und Unternehmer, dass das Bürgergeld-Konzept das Lohnabstandsgebot verletzt und damit Anreize zur Arbeit entwertet werden, bleibt bestehen, und die Aussagen des Kanzlers machen weiterhin besorgt.

Der Wert der Arbeit

Wir dürfen uns vor der grundsätzlichen Diskussion nicht drücken Die Frage lautet: Warum arbeite ich? Die Antwort aus archaischer Sichtweise auf diese Frage ist einfach: Wer nicht täglich nach Nahrung suchte und Tiere jagte, der starb. Wer das Feuer erlöschen ließ, riskierte Hunger und Erfrierung. Erst langsam entstanden Gesellschaften aus sozialen Verbünden, entstanden gegenseitige Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen in Familien und Stämmen. Vergleichsweise neu in der bisherigen Weltgeschichte ist das Verständnis von persönlicher Würde und Freiheit und das Gebot der Rücksichtnahme auf die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft. Solidarität ist ein wichtiger, aber eben auch ein relativ neuer Begriff.

Es ist das historische Verdienst der sozialdemokratischen Parteienfamilie, die Institutionalisierung des Prinzips der Solidarität in rechtlichen und materiellen Normierungen zur gesellschaftlichen Normalität bei uns und in den meisten entwickelten Regionen der Welt gemacht zu haben. Dass auf SPD-Parteitagen daher im Zusammenhang mit solchen Errungenschaften der Begriff der „DNA“ fällt, zeigt den verständlichen Stolz. Doch der Bundeskanzler hat auf dem Parteitag und bereits mehrfach zuvor (zum Beispiel auf dem letzten Bundeskongress des DGB) den derzeitigen Stand der Sozialgesetzgebung zur „Grundlage des Wohlstands“ und für finanziell unantastbar erklärt.

Ludwig Erhard: „Aus eigener Kraft bewähren“

In der Sprache seiner Zeit hat sich auch Ludwig Erhard in „Wohlstand für Alle“ mit dieser Frage befasst: „Das mir vorschwebende Ideal beruht auf der Stärke, dass der einzelne sagen kann: „Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin.“ Der Ruf dürfte nicht lauten: „Du, Staat, komm mir zu Hilfe, schütze mich und helfe mir“, sondern umgekehrt: „Kümmere du, Staat, dich nicht um meine Angelegenheiten, sondern gib mir so viel Freiheit und laß mir von dem Ertrag meiner Arbeit so viel, dass ich meine Existenz, mein Schicksal und dasjenige meiner Familie selbst zu gestalten in der Lage bin.“ (WfA, S. 251f)

Das jetzt aus der früheren Arbeitslosen- und Sozialhilfe und dem späteren Arbeitslosengeld II entwickelte Bürgergeld widerspricht nicht nur den Prinzipien der Sozialpolitik Ludwig Erhards, es verstößt auch gegen ethische Regeln der Solidarität. Auch wenn es heute allgemein Mode geworden ist, Gesetze und Leistungen mit schwungvollen Werbebezeichnungen zu klassifizieren, so handelt es sich hier um eine ziemlich ehrliche Bezeichnung eines falschen Ansatzes. Die Wahrnehmung des Anspruchs auf Zahlung dieses Geldes aus der Staatskasse macht den Einzelnen eben nicht zu einem „Bürger“, sondern zu einem ausnahmslos „bedürftigen Bürger“. Unser aus dem christlichen Gottesbild abgeleitetes Verständnis von der Würde des Menschen schafft den Anspruch der existenziellen Sicherheit, wenn Hilfe nötig, der Mensch also bedürftig ist. Um in den archaischen Begriffen zu bleiben – (nur) wer nicht jagen kann, verhungert nicht und die Gemeinschaft bewacht das Feuer.

Nur Bedürftigkeit rechtfertigt Hilfe

Wer in einer freiheitlichen Gesellschaft diesen Maßstab verschiebt, schafft Ungerechtigkeit. Die Rechte des Leistungsfähigen und Leistungswilligen werden verletzt, wenn er nicht zur Finanzierung von Bedürftigkeit, sondern zur Finanzierung von bewusster Verweigerung der Erwerbsanstrengungen anderer herangezogen wird. Das Prinzip, dass alle im Rahmen ihrer Fähigkeiten arbeiten und im Rahmen ihrer Leistungen entlohnt werden, ist nicht nur grundlegend gerecht, sondern auch die unverzichtbare Grundlage des immer wieder zu erarbeitenden Wohlstandes.

Inzwischen gibt es keinen mittelständischen Unternehmer mehr, der nicht von Gesprächen mit Arbeitnehmern und Bewerbern berichten kann, die mit der nur geringen Differenz des Einkommens mit und ohne Arbeit den Schluss ziehen, dass sich die die Belastung durch regelmäßige Arbeit für sie nicht lohnt. Dabei ist Differenzierung geboten. Weniger der sogenannte Regelsatz für einen einzelnen Erwachsenen als die Kombination von Kinderzahl und Wohnraumförderung führen zu diesem wohlstandszersetzenden Ergebnis. Die Ausbildung der Betroffenen spielt keine Rolle, nicht einmal Sprachkenntnisse. Es spricht sehr viel dafür, dass das neue Regierungsprojekt Kindergrundsicherung tausende zusätzliche Beamte erfordert und so zu mehr Unübersichtlichkeit und mehr Ungerechtigkeit gegenüber den regulär beschäftigten Arbeitnehmern führt.

Der Grundsatz in einer gerechten Gesellschaft muss lauten, dass ein ohne Einschränkungen arbeitsfähiger Bürger grundsätzlich nicht bedürftig ist. Hier ist die Unterstützung ein Beitrag zum sozialen Frieden und kann keine Selbstverständlichkeit werden. Die gebotene Antwort auf die fehlende Bedürftigkeit muss am Ende die Reduzierung der Unterstützung auf ein unangenehmes Minimum sein. Zuvor aber werden Anreize zur Arbeitsaufnahme, attraktive Zuverdienstmöglichkeiten und attraktive Möglichkeiten des Aufstockens bei unzureichenden Erwerbseinkommen gebraucht. Alle Instrumente liegen ja seit langem auf dem Tisch. Ein Beispiel: die hohe sogenannte „Transferentzugsrate“, die dazu führt, dass alle Zuverdienste übergangslos und sofort gegen die Sozialleistungen verrechnet werden, macht die sich ehrlich um Arbeit bemühenden Hilfeempfänger schnell zu den „Dummen“ des Systems. Das darf nicht sein.

Die ethisch falsche Fiktion eines „Bürgeranspruchs“ auf staatliche Finanzierung in einer mit gering verdienenden Erwerbstätigen vergleichbaren Höhe, ist kein Teil des Wohlstandes, sie ist auch kein Teil der DNA der Sozialdemokraten. Im Gegenteil, es empört keine Wählergruppe mehr als die traditionellen SPD-Wähler. Wenn Bundeskanzler Scholz dies akzeptieren würde, könnten beachtliche Milliarden eingespart werden, das Gefühl einer gerechten Behandlung der erwerbstätigen Steuerzahler würde steigen und die Errungenschaft des Sozialstaates würde gefestigt.

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