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Heute gibt es Anlass, einmal sehr grundsätzlich zu werden. Vor Kurzem war der Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, in einem Interview im Deutschlandfunk zu hören. Auf eine Frage, welche Themen denn in den Koalitionsverhandlungen besonders umstritten seien, antwortete er: „Es ruckelt vor allen Dingen da, wo einfach die unterschiedlichen Blickwinkel der Parteien, die da am Tisch sitzen, zusammenkommen. Das ist besonders zwischen den Fragen, die man mit ordnungspolitischen Lösungen beantworten kann oder möchte und denen, die man rein dem Markt überlässt.“

Diese Aussage hat mich doch arg erstaunt. Der Begriff der „Ordnungspolitik“ ist in letzter Zeit aus der Mode gekommen. Und wer in Schule, Lehre, Studium oder an anderer Stelle nie etwas über Ordnungspolitik und die Sinnhaftigkeit dieses Kerns unsere Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft gehört hat, dem kann man nicht vorwerfen, dass er nichts davon weiß. Aber der promovierte Volkswirt Walter-Borjans hatte noch im  Sommer in unserer Publikation „Wohlstand für Alle – Vorteil Marktwirtschaft“ ein eher überzeugendes Bekenntnis für die Marktwirtschaft abgegeben.

Da heißt es jetzt: aufpassen! Denn sonst setzt sich am Ende in der Öffentlichkeit noch der abwegige Gedanke fest, dass das Ordnungsamt für die Umsetzung von Ordnungspolitik zuständig sei – eine Vorstellung, die Ludwig Erhard erschaudern ließe. Gerade in den aktuellen Koalitionsverhandlungen zeigt sich ja, dass insbesondere der ökologische Bereich für viele nur gut geregelt ist, wenn alles bis ins Kleinste hinein vorgegeben wird. Ordnungsamt eben.

Ordnungspolitik aber darf nicht missverstanden werden als „ordnender“ Eingriff in Details der Marktprozesse, sondern ganz im Gegenteil: Ordnungspolitik in der Sozialen Marktwirtschaft meint die Gesamtordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, in der durch staatliche Rahmensetzung so viel Wettbewerb wie möglich und zum Nutzen aller ermöglicht wird. Das setzt einen starken Staat voraus, der seine Stärke gerade dadurch gewinnt, sich zurückzuhalten und nicht in die individuelle Lebensgestaltung einzugreifen und die Bürger gängeln zu wollen.

Ludwig Erhard wurde auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik nicht müde, dieses Verständnis von staatlicher Aufgabe und Ordnungspolitik zu verdeutlichen. So etwa im Jahr 1971: „Es muss daher immer wieder betont werden, dass es die eigentliche und vornehmste Aufgabe des Staates ist, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich der Staatsbürger frei bewegen dürfen soll. Und das wieder erfordert die Handhabung einer Wirtschaftspolitik, in der die wirtschaftenden Menschen aller sozialen Schichten dessen gewiss sein dürfen, nicht ständig unvorhersehbaren politischen Entscheidungen ausgesetzt zu sein. Es geht hier darum, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen unserer Lebensordnung nicht einem täglich auswechselbaren Instrumentarium der Politik zu überantworten.“

Wenn Norbert Walter-Borjans fälschlicherweise „Ordnungspolitik“ als Gegensatz von Marktwirtschaft ansieht, so kann er nur das im Sinn gehabt haben, was wir „Ordnungsrecht“ oder auch „Polizeirecht“ nennen: Also ein Geflecht aus staatlichen Eingriffen in Form von Geboten, Verboten, Auflagen, Mindest- und Höchstwerten, die stets die Beschneidung der individuellen Handlungsfreiheit bedeuten und dem Bürger die Fähigkeit und den Willen zu eigenverantwortlichem Handeln abspricht. Das ist aus der gleichen Philosophie geboren, wie die Idee, dass Verbote Arbeitsplätze schaffen könnten. Doch der Staat ist eben nicht allwissend. Und so besteht die Gefahr, dass ordnungsrechtliche Lösungen über das vielleicht wünschenswerte Ziel hinausschießen, die Bürger zu unerwünschten Ausweichreaktionen veranlassen oder einfach genau dort die Kräfte des Marktes verhindern, wo die besten Lösungen liegen könnten.

Das Missverständnis des SPD-Vorsitzenden ist eine die größten Gefahren der aktuellen Koalitionsverhandlungen. Ein System der Verbote verlangsamt Innovationen. Ohne diese Innovationen sind ökologische Verbesserungen bei Erhaltung des allgemeinen Wohlstands aber nicht möglich. Wer Marktvertrauen durch Staatsvertrauen ersetzt, weil er den Unterschied zwischen Ordnungspolitik und Ordnungsrecht verwischt, geht den Weg der Planwirtschaft. Das ist noch nie gut gegangen.

Wir – die Ludwig-Erhard-Stiftung, ihre Freunde und Förderer – haben uns qua Auftrag unseres Stifters Ludwig Erhard der Aufgabe verschrieben, dem Begriffswirrwarr Einhalt zu gebieten und für Aufklärung über die Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards zu sorgen.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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