Zuwanderung und Marktwirtschaft – völlig getrennte Themen? Ich will Ihnen im heutigen Kommentar einen sicher etwas ungewöhnlichen Gedanken vorstellen, nämlich dass man die Prinzipien der Marktwirtschaft für eine erfolgreiche Einwanderungspolitik durchaus nutzen könnte.

Vorweg muss festgestellt werden, dass es zwei Phänomene von Zuwanderung gibt. Zum einen geht es um Zuwanderung aus Fluchtgründen, seien sie politisch oder wirtschaftlich motiviert. Hier helfen nur staatliche Anerkennungen und auch eine möglichst klare Politik, all diejenigen ab- und auszuweisen, die keinen nach unserer Rechtsordnung ausreichenden Grund zum Aufenthalt in Deutschland haben. In den letzten Jahren war diese Zuwanderung von Asylsuchenden besonders groß und verbrauchte viel Integrationskraft, so dass für den Gedanken an eine Einwanderung von hierzulande fehlenden Fachkräften kaum noch Raum war.

Gut ausgebildete junge Menschen werden gebraucht

Diese zweite Motivation zur Zuwanderung muss mehr Aufmerksamkeit erhalten. Eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung wird ärmer. Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir ein attraktiver Platz zum Arbeiten für gut ausgebildete Menschen aus allen Regionen der Welt werden. Dazu gehört die Offenheit für andere Kulturen, ganz sicher auch eine weniger arrogante Haltung zu ausländischen Berufsabschlüssen, aber ganz besonders ein geeignetes Verfahren, um die Zuwanderung zu organisieren.

Der Chicagoer Professor und Wirtschaftsnobelpreisträger Gary Becker (1930-2014) hat die Mechanismen einer marktwirtschaftlichen Ordnung auf zahlreiche andere Lebenssituationen angewandt und so auch eine Theorie der „Zuwanderung durch Versteigerung“ entwickelt.

In seinem Modell organisiert der Staat eine Auktion von Arbeits- bzw. Aufenthaltsvisa. Interessierte Zuwanderer bieten in einem Auktionsverfahren den Betrag, den sie für den Erwerb eines Visums zu zahlen bereit sind. In einem einfachen Verfahren werden die Gebote gesammelt und nach ihrer Höhe geordnet. Die angebotenen Visa werden den höchsten Geboten zugesprochen. Dabei bestimmt das letzte Gebot, dass noch einen der angebotenen Plätze erhält, den Preis für alle, so dass jedes Visum gleichviel Wert ist. Der Staat bestimmt mit der Zahl der Visa die jährliche Zuwanderung. Die Einnahmen, die daraus entstehen, kann der Staat etwa für die Integrationskosten der Einwanderer und ihrer Familien verwenden. (vgl. Meister, Urs, 2014)

Interessant sind die Kosten der Arbeitserlaubnis besonders für jüngere und gut qualifizierte Arbeitskräfte, denn dies sind die Berufsgruppen, die länger im Land verdienen oder einen höheren Lohn erwarten können. Wer den Weg des Bieterverfahrens gegangen ist, ist auch an seiner Integration interessiert, denn er (oder sie) will ja möglichst lange für die gezahlte Summe im Land bleiben, vielleicht nach einer Zeit der Integration auch Staatsbürger werden.

Arbeitgeber könnten Kredite für Einreisevisa vergeben

Aber, welcher junge Mensch kann das bezahlen, gerade bei einer Herkunft aus ärmeren Ländern? Hier kommt der Kredit ins Spiel. Arbeitgeber, die die Arbeitskräfte brauchen, werden den Bewerbern auch einen Kredit gewähren, damit diese bei der Auktion erfolgreich sind. Er kann dann nach Regeln über den Lohn wieder einbehalten werden und sorgt somit dafür, dass Arbeitnehmer genau dahin kommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Den Arbeitsplatz vermieten?

Alle Elemente eines solchen Models kennen wir schon. Australien etwa vergibt Langfristvisa gegen Investitionszusagen, Ausbildungskredite von Arbeitgebern gibt es auch bei uns schon lange. Wenn man Phantasie hat, kann man auch noch viel weiter denken. Weltbank-Ökonom Michael Lokshin und sein Kollege Martin Ravaillion haben sogar die Idee entwickelt, dass Staatsbürger eines Landes, die zurzeit nicht arbeiten (Studenten etwa, oder Arbeitnehmer mit dem Wunsch nach einer Auszeit) zeitlich befristet ihre Arbeitserlaubnis „vermieten“ könnten und so ihr eigenes Leben teilweise finanzieren, alles im Rahmen staatlicher Vorgaben natürlich. Das klingt für die meisten Leser sicher ungewöhnlich, aber es zeigt die Potentiale, wenn wirtschaftliche Mechanismen und Gemeinwohl durch die Gesetze des Marktes verbunden werden.

Erinnern wir uns bitte: Allein in einer Großstadt wie Frankfurt gibt es 15.000 unbeantwortete E-Mails in der Ausländerbehörde. Zu glauben, dass dort eine Steuerung der Arbeitsmigration im Interesse Deutschlands vorgenommen wird, wäre naiv. Mag sein, dass die Verbindung von Marktwirtschaft und Zuwanderung auch als Provokation empfunden wird. Dann ist es aber gerade wichtig zu wissen, dass es Alternativen gibt. Und es muss anders werden, bevor es besser werden kann.

Quellen:

Meister, Urs: Wie Auktionen den Nutzen der Zuwanderung erhöhen (2014), URL: https://www.avenir-suisse.ch/wie-auktionen-den-nutzen-der-zuwanderung-erhoehen/ (Stand: 25.01.2023)

Welter, Patrick: Auch so kann Migration gehen (2022), URL: https://blogs.faz.net/fazit/2022/10/10/auch-so-kann-migration-gehen-12912/ (Stand: 25.01.2023)

Literatur für Interessierte:

Gary S. Becker: The Challenge of Immigration – a Radical Solution. Institute of Economic Affairs, London 2011.

Michael Lokshin, Martin Ravallion: A Market for Work Permits. NBER Working Paper 26590, 2019.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Wenn Sie ERHARD HEUTE regelmäßig lesen möchten, können Sie die Kolumne hier abonnieren.

DRUCKEN
DRUCKEN