Die Schuldenbremse kommt unter Druck. Schon Wolfgang Schäuble war mit seiner großartigen Leistung der „Schwarzen Null“ mit dem Vorwurf des „Kaputtsparens“ konfrontiert und jetzt hat das Bundesverfassungsgericht mit einem juristisch eigentlich selbstverständlichen Urteil die Diskussion auf ein neues Niveau gehoben. Dem wollte sich auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung nicht entziehen und er hat vor wenigen Tagen eigene Vorschläge zur Änderung der Verfassungsvorschrift gemacht.

In einer seriösen Debatte fühlen sich die Anhänger Karl Poppers und seines kritischen Rationalismus – zu denen ich mich zähle – immer schlecht, wenn man mit einer gewissen Sturheit an den einmal gefundenen Regelungen festhält. Wenn dann, wie in unserer Ludwig-Erhard-Stiftung, auch noch einige sehr geschätzte Mitglieder ebenfalls für Änderungen plädieren, lohnt sich Sorgfalt.

Der deutsche Wiederaufbau brauchte keine Schulden

Zunächst zur Erinnerung: Deutschland wurde beinahe schuldenfrei nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut. Manche denken jetzt an den Marshall-Plan, und ja, von den insgesamt etwa 14 Milliarden US-Dollar flossen 1,4 Milliarden nach Westdeutschland. Ab 1953 wurde etwa 1 Milliarde zurückgezahlt, Stichwort ERP (European Recovery Program). Aber es gab auch Verpflichtungen. So hat die Bundesrepublik Deutschland für die Opfer des Nationalsozialismus bis zum Ende des Jahres 2022 Entschädigungszahlungen in Höhe von rund 81,97 Milliarden Euro geleistet. Trotz alledem, die Haushalte des Bundes in Deutschland hatten in all den Jahren des Wiederaufbaus in der Regel Überschüsse. Erst im Jahr 1969 wurde erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ein Bundeshaushalt mit einem Defizit verabschiedet. Das ist der Startpunkt der neuen deutschen Staatsverschuldung. Dies war eine Folge der damaligen Wirtschafts- und Finanzpolitik und keine unabwendbare volkswirtschaftliche Bedingung für gute Lebensverhältnisse.

Die alte Schuldenbremse taugte nicht

Die Schuldenbremse des Grundgesetztes war die Antwort auf die nach 1969 außer Kontrolle geratenen Staatsverschuldung. Als Bürger eines Landes, das durch zwei Währungsreformen geschunden war, haben wir bis heute eine andere Sensibilität gegenüber Schulden und ihrer langfristigen Inflationswirkung, als es sie in Nachbarländern oder den USA gibt. Auch vor der Schuldenbremse verbot die Verfassung eine uferlose Staatsverschuldung. Die Schulden von 1969 bis 2010 wurden immer mit dem Etikett „Investitionen“ versehen. Dieses Kriterium hat sich als völlig untauglich zur Begrenzung herausgestellt. Der Grund ist einfach: Alle Steuereinnahmen wurden konsumiert und alle Investitionen wurden auf Rechnung der nächsten Generation gemacht. Hätten wir diesen Schuldenberg nicht, stünden im kommenden Jahr über 40 Milliarden Euro an nicht notwendigen Zinsen anderweitig zur Verfügung. Der drängende Finanzbedarf des Verteidigungshaushalts könnte so gedeckt werden.

Das Kernproblem der Staatsverschuldung ist die Disziplinierung des Wunsches, auf Kosten der kommenden Generation heute besser zu leben. Diese Disziplinierung überfordert in Demokratien die demokratischen Wettbewerber, wenn sie nicht als Schutzschild das Argument einer unüberwindlichen Begrenzung von Schulden haben. Wie auch sonst sollte man die Wünsche so vieler verschiedener Gruppen abschlagen. Die Schuldenbremse ist erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirksam geworden. Nichts daran konnte unerwartet sein und dennoch beginnt sofort das allgemeine Lamento und jeder hat Vorschläge, wie man doch wieder zu mehr Schulden kommen kann. Das klassische Verhalten eines Süchtigen.

Statt Investitionen nur Konsum

Das Urteil fordert eigentlich eine schnelle Reduzierung der laufenden konsumtiven Kosten. Wer sich privat ein schönes Haus kauft, Schulden dauerhaft nicht verringert und dann auch noch das nächste Auto auf Pump kauft, bekommt Probleme. Er sollte weniger in den Urlaub fahren, weniger für Geschenke ausgeben, weniger teure Kleider kaufen und so weiter. Genau das gilt eben auch für den Staat. Bei etwa 360 Milliarden Euro Steuereinnahmen des Bundes (aktuelle Schätzung für 2023) kann man doch erwarten, dass wenigstens 100 Milliarden ohne Schuldenaufnahme jedes Jahr investiert werden. Aber was passiert? Polemisch könnte man darauf hinweisen, dass allein im Bund gerade jetzt 3000 Bedienstete zusätzlich durch diese Regierung eingestellt wurden. Die Sozialzuschüsse von Rente bis Bürgergeld steigen ungebremst. Neue Schuldenregeln, die hier den Druck zu zwar schmerzhaften, aber sinnvollen Einsparungen verringern, sind falsch. Wir können nicht auf Dauer über unsere Leistungsfähigkeit leben.

Wachsen und Sparen

Alle jetzt vorgetragenen Änderungsvorschläge für die Verfassung gehen davon aus, dass wir mehr Schulden brauchen. Dies scheint mir, bei allem Respekt vor manchen der Protagonisten, aus zwei Gründen falsch: Zum einen könnten wir durch die Abschaffung von Wirtschaftsregulierungen und eine attraktive Steuerpolitik sehr schnell einen ökonomischen Boom und somit hohen Staatseinnahmen bekommen. Man muss sich ja nur vorstellen, welchen Wohlstandsgewinn wir beispielsweise mit Kernkraft, Transrapid oder Gentechnik in den letzten Jahrzehnten verächtlich „weggeworfen“ haben. Verbrenner-Autos mit E-Fuels, Künstliche Intelligenz wie in den USA, Steuerfreiheit für Start-Ups, weg mit den starren Arbeitszeitgesetzen und abgabenfreie Arbeit für Rentner, keine Bürokratie à la Lieferkettengesetz und keine Öko-Designrichtlinie, etc. Es gibt doch genug Ideen!

Und zum anderen müssen wir sparen. Wir zahlen einen immensen Berg an Subventionen. Die aktuelle Regierung erzwingt wirtschaftlich unvertretbare Energiepreise, bevormundet bei innovativen Alternativen und will die ökonomischen Schäden durch Subventionen ersetzen. Kaum ein Bürger und nahezu kein Unternehmen plant sein Leben noch ohne Staatszuschüsse. Das schafft falsche Anreize, führt zu Neid und Missgunst und kostet wirtschaftlichen Erfolg.

Die Änderung des Artikel 115 des Grundgesetzes, die sogenannte Schuldenbremse, ist auch heute kein finanzielles „Korsett“. In diesem Jahr erlaubt die Verfassung 16,6 Milliarden neue Schulden (0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Wir sind ein Land mit sehr hohen Steuern. Und diese hohen Steuereinnahmen müssen reichen. Außerdem ist für Notfälle gesorgt. Wenn Putin weiter Krieg gegen den Westen führt und Trump in den USA gewinnt, kann der weitere Schritt der Zeitenwende hunderte von Milliarden in einem neuen Sondervermögen kosten, um Europa zur eigenen Verteidigung zu befähigen. Wir hätten diesen Spielraum heute, so wie wir ihn dank Helmut Kohl und Theo Waigel kurz vor der Deutschen Einheit hatten.

Aber das sind die Notfälle. Im Alltag können wir Brücken bauen, Klimaschutz fördern, unsere Kinder gut ausbilden, wenn uns genau das wichtig ist. Der Beweis, dass es uns wichtig ist, wäre der Verzicht auf anderes und nicht die Flucht in weitere Schulden. Die Schuldenbremse zu lockern, ist der falsche Weg.

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