Täglich erreichen uns erschreckende Nachrichten und Bilder aus der Ukraine von zerstörten Wohnsiedlungen, endlosen Flüchtlingsströmen und unzähligen Opfern. Aber wir sehen auch ein mutiges Volk, das mit seinem Freiheitswillen uns alle – vor allem aber den Aggressor – überrascht.

Die westliche Welt ist geschlossen wie lange nicht mehr. Auch das ist eine Überraschung. Aber die Herausforderungen jenseits des Militärischen kristallisieren sich erst jetzt heraus. Die Blockade der russischen Zentralbankgelder war ein effektiver Schlag. Aber an den konditionierten Einschränkungen des Zahlungssystems SWIFT sehen wir schon, wie vorsichtig und halbherzig manche Maßnahmen getroffen werden. Niemand registriert das mehr als Putin.

Die nüchterne Wahrheit lautet: Wir in Europa sind die maßgeblichen Finanzierer des Kriegstreibers Putin und seines blutigen Überfalls. Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS) hat Deutschland allein im Januar 2022 aus Russland Güter im Wert von 3,9 Milliarden Euro importiert. Schon im Gesamtjahr 2021 legten die Importe aus Russland im Vergleich zum Vorjahr um 54,2 Prozent zu und betrugen 33,1 Milliarden Euro. Davon entfielen 59 Prozent allein auf Gas- und Öllieferungen. Hinzu kommen noch die Importe von Kohle mit einem Anteil von über 6 Prozent. Insgesamt hat Deutschland zuletzt im Januar 2022 rund 2,6 Milliarden Euro für Energie aus Russland gezahlt. Und die Preise steigen.

Uns in diese Abhängigkeit zu begeben, war fahrlässig und stellt uns vor schwer beantwortbare Alternativen. Sollen wir Putins Krieg finanzieren oder die deutsche Energieversorgung aufs Äußerste gefährden? Die Bundesregierung scheint sich im Ergebnis, unter Schmerzen, dafür zu entscheiden, das System Putin weiter zu finanzieren.

In Stunden der Krise muss die Politik den Kurs bestimmen. In der Verteidigungspolitik hat der Bundeskanzler das mit dem klaren Ziel der Verteidigung unserer Freiheit getan. Aber wenn man nicht gezwungen werden will, am Ende Waffengewalt einsetzen zu müssen, muss man das System des Aggressors wirtschaftlich entscheidend schwächen. Wir sollten nicht vergessen, dass der Fall der Mauer und der Zerfall des sowjetischen Machtbereichs ökonomisch erzwungen worden war. Die Kraft der kommunistischen Diktatoren war 1989 am Ende. Es muss das alles überragende Ziel der freien Welt sein, ebenso den Diktator Putin und sein System zu einem Ende zu bringen.

Rund 35 Milliarden Euro allein aus Deutschland für Öl und Gas – mit steigender Tendenz – sind da ein bedeutender Faktor. Die gemeinsame Einkaufsumme der EU und der USA ist mehrfach höher.  Trotz der großen Wirkung der Beschlagnahme des Zentralbankvermögens sichern die Energiezahlungen der freien Welt derzeit noch die Existenz des Putin-Regimes. Deutschland allein finanziert mit seinen Energieeinkäufen mindestens 2 Prozent des gesamten Volkseinkommens Russlands. Welche „Waffe“ in der Hand des Westens! Wenn die deutsche Politik sich gegen den Einsatz dieser „Waffe“ entschieden hat, bleibt die Frage, ob diese Entscheidung wirklich Bestand haben kann. Die USA haben sich anders entschieden; die Mehrheit der Deutschen ist anderer Meinung und die uns wohl noch bevorstehenden Bilder eines kühl kalkulierten Völkermords werden uns noch die Verzweiflung über unsere eigene Hilflosigkeit spüren lassen.

Der Staat scheint sich vorsichtshalber schon einmal als Energie-Einkäufer zu positionieren. Das kann er ebenso wenig, wie Impfstoff oder Masken kaufen. Unter klaren Rahmenbedingungen, wie Mindestreserven, muss der Markt sich auf den Weg machen, die Rohstoffe zu besorgen, ohne Garantiepreise und andere hinderliche Vorgaben. Der Energiemarkt muss die Freiheit bekommen, Energiesicherheit mit allen konventionellen Mitteln sicherzustellen. Da werden ältere Kraftwerke eben einige Jahre länger laufen. Der Markt der Erneuerbaren Energien kann durch die für Verbraucher bedauerlicherweise deutlich höheren Preise in Schwung gebracht werden, manche Grüne hatten ja von dieser Wettbewerbssituation immer geträumt.

Die Bundesregierung glaubt, dass der Markt die Aufgabe der Versorgung Deutschlands mit ausreichender Energie bei Beendigung der Finanzierung des Regimes Putin nicht leisten könne. Diese Ängstlichkeit unterschätzt die Kräfte der Markwirtschaft und macht Putin am Ende möglichweise zum lächelnden Sieger.

Schon vor zwei Wochen habe ich auf die Untersuchungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel hingewiesen, dass der Verzicht auf russisches Gas sogar zu einem kleinen Wachstum der deutschen Wirtschaft führen könnte, jedenfalls nicht zu einer Katastrophe. Die Wissenschaftler unserer in Corona-Zeiten erprobten Leopoldina sehen zwar die Risiken einer Rezession, jedoch nur halb so stark wie vor zwei Jahren bei Covid. Dem Bonner Wirtschaftswissenschaftler Moritz Schularick ist in seiner Einschätzung zuzustimmen, die Regierung überschätze mit ihrer statischen Betrachtungsweise die Risiken „bei weitem“. Und die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagt in einem eindrucksvollen Handelsblatt-Interview treffend: „Wir müssen sofort damit beginnen, die Vorbereitungen zu treffen. Mit Gasimporten aus anderen Ländern, dem Einsatz von Kohlekraftwerken und einem geringeren Verbrauch ist das aber machbar. Es wird herausfordernd und teuer, aber nicht kalt.“ Und dann kommt Grimm zu dem sehr politischen Schluss: „Lange anhaltende kriegerische Auseinandersetzungen in Europa hätten deutlich schwerwiegendere Folgen als der Stopp der Energielieferungen.“

Da schließt sich wieder der Kreis zwischen unvermeidlichen Grundentscheidungen der Politik und dem Vertrauen, dass freie Märkte immer auch mit größten Herausforderungen fertig geworden sind. Ich fürchte, dass unsere Regierung, im Gegensatz zu den verteidigungspolitischen Entscheidungen, bei der Nutzung der „friedlichen Waffe“ Rohstoffe nicht entschlossen genug ist.

P.S.: Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Woche sich wenig besorgt über einen Lieferstopp für Rohstoffe durch Putin geäußert. Er begründete dies mit der Einschätzung Russland würde „sich der Grundlage für einen starken russischen Staat selbst berauben“. Wenn das wahr ist, müssen wir handeln.

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