Wenn das Etikett etwas anderes verspricht als der Inhalt, muss man wohl von einem Etikettenschwindel sprechen. Die WirtschaftsWoche vom 20. April 2015 zeigt auf ihrem Titelblatt Ludwig Erhard und die Überschrift „Haschisch für alle! Ein ökonomisches Plädoyer für die Cannabisfreigabe“. Man erkennt es erst auf den zweiten Blick: An der Stelle der bekannten Zigarre findet sich ein Joint. Ein kiffender Ludwig Erhard in Pop-Art-Anmutung: Was wollen die Redakteure der WirtschaftsWoche damit zum Ausdruck bringen? Gibt es Dokumentenfunde, die beweisen, dass Erhard für die Freigabe von Drogen war? War Erhard gar selbst Konsument von Marihuana oder Haschisch? (Wer im Übrigen den Unterschied zwischen Marihuana und Haschisch nicht kennt, kann sich dazu in dieser Ausgabe der WirtschaftsWoche ebenfalls schlau machen.)

Nein, Ludwig Erhard muss schlicht als Etikett herhalten. Mal wieder, möchte man sagen. Denn es vergeht kaum ein Monat, in dem der „Vater des Wirtschaftswunders“ nicht herhalten muss für irgendeine politische Idee oder für einen zu Höherem berufenen Politiker. In diesem Fall muss er also für die Freigabe von Cannabis herhalten. Ebenfalls auf dem Titelblatt wird der Bogen von der Cannabisfreigabe zu Erhard geschlagen: „Als Ordoliberaler würde Ludwig Erhard die Legalisierung von Hanf befürworten.“ Und dann kommt rein gar nichts mehr: kein Erhard weit und breit. Nicht ein einziges Mal in der sechsseitigen Titelstory mit Bildern und Info-Grafiken wird Ludwig Erhard erwähnt. Das könnte daran liegen, dass niemand wissen kann, wie Erhard zu diesem Thema stand oder stehen würde. Stattdessen werden – mit dem üblichen Rückgriff auf „Freiheit und Verantwortung“ – sieben ökonomische Argumente für das Ende des Cannabisverbots durchdekliniert.

Diesen Argumenten kann man folgen – oder auch nicht. Auf gar keinen Fall lässt sich aber Ludwig Erhard damit vereinnahmen! Eher im Gegenteil: Einige Argumente atmen einen Geist, der sich nicht mit den Grundsätzen der Erhard’schen Sozialen Marktwirtschaft in Einklang bringen lässt. Beispiele gefällig? Schon beim ersten Punkt – „Mafia bekommt legale Konkurrenz“ – kann man lesen: „Zudem kann der Staat den Verkaufspreis des legalen Cannabis über die Höhe der Steuer flexibel und konkurrenzfähig halten.“ Auch wenn es hier um die Konkurrenzfähigkeit gegenüber illegalen Anbietern geht, handelt es sich wohl kaum um ein marktwirtschaftliches Argument, wenn der Staat Preise manipuliert und letztlich festsetzt.

Ähnlich weit weg von Erhard führen die Zahlenspiele zu den Effekten der Legalisierung von Hanf auf die öffentlichen Finanzen durch Steuern und Abgaben, aber auch durch die Lizenzierung von Anbau und Handel. Mal abgesehen davon, dass Legalisierung und Verstaatlichung hierbei scheinbar Hand in Hand gehen, wird eine Rechenhaftigkeit des zukünftigen Wirtschaftslebens angenommen, die Erhard durch die „Neo- oder Ordoliberalen“ eigentlich überwunden sah: „Sie haben der Wirtschaftspolitik immer mehr gesellschaftspolitische Akzente verliehen und sie aus der Isolierung eines mechanistisch-rechenhaften Denkens gelöst; sie haben die Nationalökonomen wieder in Funktionen zu denken gelehrt und deutlich gemacht, dass das wirtschaftliche Leben der Menschen und Völker nicht losgelöst von ihren anderen Seinsbereichen begriffen und darum auch nicht isoliert geordnet werden darf.“

Man merke: Wenn sie sich nicht dazu geäußert haben, kann man von Ordoliberalen nicht grundsätzlich annehmen, dass sie die Legalisierung von Hanf befürworten. Allerdings darf man ganz sicher annehmen, dass sie sich – vor allem die grundsatztreuen unter ihnen – gegen jeglichen Etikettenschwindel aussprechen würden.

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