Ludwig Erhard gibt es ganz klein â als 2-Zentimeter-Figur fĂŒr die Modelleisenbahn, MaĂstab HO. Es gibt ihn ganz groĂ, als vergoldete Figur. Kaum ein deutscher Politiker ist so populĂ€r wie Ludwig Erhard, BegrĂŒnder der stabilen D-Mark, Vater des Wirtschaftswunders, Erfinder der Sozialen Marktwirtschaft.
Er ist ein Mythos, der mit dem sagenhaften Aufstieg aus einem Land rauchender TrĂŒmmer zu nie geahntem Wohlstand verbunden ist. Weil er so populĂ€r ist, wird er vereinnahmt. Sich auf ihn zu berufen, hat den Rang einer Fast-Seligsprechung. Doch wer ist Ludwig Erhard wirklich?
Statt recherchiert, wird phantasiert
Die WirtschaftsWoche beispielsweise formuliert: âAls Ordoliberaler wĂŒrde Ludwig Erhard die Legalisierung von Hanf befĂŒrworten.â Nun kann die WirtschaftsWoche gern dafĂŒr eintreten, dass Jugendliche Hanf, Heroin und Ecstasy möglichst noch per Schulspeisung erhalten â sie kann sich dabei nur nicht auf Erhard berufen (lesen Sie hierzu den Beitrag in unserer Rubrik Medienkritik: âEtikettenschwindel mit Ludwig Erhard!â). Erhard war ein Gegner von Drogen; eine bekiffte, vernebelte Menschheit war nicht das, wovon er trĂ€umte. Er trat vielmehr fĂŒr Eigenverantwortung, PflichtgefĂŒhl, soziales Bewusstsein ein. FĂŒr Drogenfreigabe ist er nicht zu zitieren â die Zeitschrift hat nicht recherchiert, sondern phantasiert. HĂ€tte, mĂŒsste, könnte ist halt etwas anderes als Fakten. Deshalb bleibt die WirtschaftsWoche auch jeder BegrĂŒndung fern. Es ist eine erfundene Zeile, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Aber Tote können sich nicht wehren.
Aber die WirtschaftsWoche ist nicht allein.
Erhard als Zwangsmitglied der SPD
âDie Erhardâsche Idee der Sozialen Marktwirtschaft ist im Wirtschaftsforum der SPD heute sicher eher zu Hause als im WirtschaftsflĂŒgel der Unionâ, sagt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und zwangsvereinnahmt seinen VorgĂ€nger im Amt des Bundeswirtschaftsministers. âUnsere Wirtschaftspolitiker gerieren sich, anders als die der CDU, nicht als letzte Bastion des Marktradikalismusâ, sagte Gabriel der âWelt am Sonntagâ. Er fĂŒgte hinzu: âDer CDU-Wirtschaftsrat steht am Spielfeldrand, findet alles zu ökologisch, findet alles zu sozial â und wundert sich, warum er nicht mitspielen darf.â (Quelle: Welt.de)
Ludwig Erhard war kein Neoliberaler? Irrtum!
Schon seit einiger Zeit erwĂ€hnt Gabriel gelegentlich Erhard, manchmal lobend, meist aber eher distanziert. Als âder rote Erhardâ hat ihn der âSpiegelâ einmal tituliert. Was zeichnet ihn als einen Erhard-Nachfolger aus? Die Antwort lautet: âNichts!â Mit einer gehörigen Portion Chuzpe versucht er, Erhards Motto âWohlstand fĂŒr alleâ so hinzubiegen, dass es fĂŒr ein sozialdemokratisch-etatistisches Programm Pate stehen soll. Gabriel behauptet, er habe das Buch âWohlstand fĂŒr Alleâ gelesen, wogegen viele andere ânur den Klappentextâ kennen wĂŒrden. Dass Gabriel Erhard wirklich verstanden hat â diesen Eindruck hat man nicht, schreibt Philip Plickert, Redakteur im Ressort Wirtschaft bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in seiner Analyse der Gabrielâschen Ideen fĂŒr die Ludwig-Erhard-Stiftung. In einer Rede, die Gabriel kĂŒrzlich im Rahmen seines Besuchs in Erhards Geburtshaus in FĂŒrth hielt, fielen einige Halbwahrheiten und schrĂ€ge Behauptungen auf, die er jetzt immer wiederholt. Im Folgenden wird Plickerts Analyse zitiert:
âZu Recht sagte er, Erhards Politik habe nichts mit schrankenlosem Kapitalismus zu tun gehabt. Das stimmt. Erhard stand, beeinflusst von den Ordoliberalen, fĂŒr eine Soziale Marktwirtschaft durch Leitplanken, etwa das Gesetz gegen WettbewerbsbeschrĂ€nkungen. Marktbeherrschende Stellungen dĂŒrfen nicht zum Schaden der Konsumenten ausgenutzt werden, Monopole und Kartelle mĂŒsse der Staat verhindern.
Aber insgesamt war Erhard fĂŒr eine freie Marktwirtschaft in einem Grade, bei dem Gabriel mit den Ohren schlackern wĂŒrde. âJe freier die Wirtschaft ist, desto sozialer ist sie auchâ, sagte Erhard einmal. FĂ€lschlicherweise behauptete Gabriel, Erhard sei kein Neoliberaler gewesen. Die Neoliberalen seien junge FDPler gewesen, die gegen die âdamals noch ziemlich rechte alte FDPâ aufbegehrten und das Freiburger Programm (von 1971) entworfen hĂ€tten, sagte Gabriel. Autsch! Woher hat Gabriel diesen Unsinn? Ein kurzer Blick ins Archiv oder ein Buch ĂŒber Ideengeschichte hĂ€tte gezeigt, dass die ersten neoliberalen Ăkonomen tatsĂ€chlich in den frĂŒhen 1930ern lebten und wirkten, vor allem die Freiburger um Walter Eucken, sowie der Soziologe und Ăkonom Alexander RĂŒstow.
Gabriel stellt Kollektivismus vor Eigenverantwortung
Gabriels sozialdemokratische Umdeutung der Erhardâschen Politik geht so: Statt der Eigenverantwortung, die der Marktwirtschaftler Erhard betonte, hebt Gabriel die âgemeinsame Verantwortungâ der Sozialpartner hervor. Dank der FlĂ€chentarifvertrĂ€ge hierzulande gebe es viel weniger Streiks und Konflikte als in Frankreich. Zu viele Streiks bezeichnete Gabriel als unnötige Wohlstandsvernichtung. Das stimmt wohl.
Doch mit der Tarifautonomie hat es Gabriel auch nicht so. Vehement verteidigte er, dass der Staat seit diesem Jahr einen gesetzlichen flĂ€chendeckenden Mindestlohn eingesetzt hat. Staatliche Mindestlöhne seien kein Fremdkörper in einer freiheitlichen Tarifordnung. Auch einige Ordoliberale hĂ€tten sie befĂŒrwortet. Zumindest in Erhards Buch âWohlstand fĂŒr Alleâ findet sich davon nichts.
Einige Ordoliberale wie Walter Eucken hatten â als Folge der Verwerfungen wĂ€hrend der GroĂen Depression â zwar geglaubt, eine Lohnuntergrenze könne helfen, weil am Arbeitsmarkt eine anomale Angebotsfunktion vorliege, die zu einem sich selbst verstĂ€rkenden Abrutschen der Löhne fĂŒhre, wenn keine Bremse nach unten vorliege. So schrieb es Eucken wĂ€hrend des Krieges in seinem Buch âGrundsĂ€tze der Wirtschaftspolitikâ, das postum erschien. Die BegrĂŒndung: Bei sinkendem Lohn wĂŒrden die Arbeiter ihr Arbeitsangebot erhöhen, um einen nötigen Mindestverdienst zu erreichen; dadurch könnte makroökonomisch das Lohnniveau immer tiefer rutschen. Aber schon kurz nach dem Krieg rĂŒckten die Ordoliberalen von dieser Sorge ab, schlieĂlich gingen die Löhne stetig nach oben.
Der Gedanke, dass der Staat in die Lohnsetzung eingreifen und ein Mindestniveau festlegen solle, wĂ€re ihnen fremd gewesen. Sie glaubten eher an Wirtschaftswachstum durch das Entfesseln der MarktkrĂ€fte â was dann auch steigende Löhne nach sich ziehen wĂŒrde. Erhard warnte vor Eingriffen, die BeschĂ€ftigung vernichten könnten. Wenn die Nettolöhne zu gering zum Leben erscheinen, hĂ€tten seine ordoliberalen Berater eher fĂŒr marktkonforme MaĂnahmen, beispielsweise eine steuerliche Entlastung der Geringverdiener oder fĂŒr EinkommenszuschĂŒsse, plĂ€diert. Diese wĂŒrden den Marktmechanismus im unteren Lohnbereich nicht so (zer-)stören wie die starre Lohnuntergrenze.
Erhard kannte ökonomische ZusammenhÀnge
Reichlich arrogant klang es bei Gabriel, der sagte, wenn Betriebe weniger als den Mindestlohn zu zahlen imstande seien, âdann haben sie kein GeschĂ€ftsmodellâ. TatsĂ€chlich? In den neuen LĂ€ndern ist gut jeder vierte BeschĂ€ftigte in Unternehmen tĂ€tig, die bislang weniger als den nun geltenden Mindestlohn zahlen wollten oder konnten. Meint der Wirtschaftsminister, dass alle diese Unternehmen âkein GeschĂ€ftsmodellâ beziehungsweise keine Existenzberechtigung hĂ€tten und daher besser schlieĂen sollten?
FĂŒr Erhard waren die SchlĂŒsselworte seiner Wirtschaftsordnung freier Wettbewerb und freie Preise; WohlstandszuwĂ€chse kommen durch ProduktivitĂ€tsfortschritte, welche gĂŒnstigere Preise fĂŒr Konsumenten und damit höhere Reallöhne bewirken. Löhne oberhalb der ProduktivitĂ€t vernichteten ArbeitsplĂ€tze, warnte Erhard. Die Gewerkschaften forderte er zum MaĂhalten auf. Diese âMaĂhalte-Appelleâ hat Gabriel erst kĂŒrzlich in einem Interview kritisiert. Mit seinem âMaĂhalte-Appellâ habe Erhard âdie Kriseâ (1967) noch verschĂ€rft. TatsĂ€chlich gab es damals eine winzige Mini-Rezession. Es ist durch nichts erwiesen, dass diese durch zu geringe LohnabschlĂŒsse verursacht oder verschĂ€rft worden sei.
Gabriels âGleichberechtigungâ ist Gleichmacherei
Die Chancen, die Erhard in einer offenen Wettbewerbsgesellschaft gesehen hatte, will Gabriel zu Chancen einer staatlich abgesicherten âoffenen Einwanderungsgesellschaftâ umdeuten. Erhard erklĂ€rte er in seiner FĂŒrther Rede zum âVater der Einwanderung nach Westdeutschlandâ, weil er die ersten Anwerbeabkommen fĂŒr Gastarbeiter unterzeichnete. Toleranz und âoffene Gesellschaftâ nannte Gabriel als aktuelle Ziele. Zugleich warb er fĂŒr âGleichberechtigungâ. TatsĂ€chlich versucht die Politik eine Gleichmacherei zwischen den Geschlechtern und schrĂ€nkt durch Frauenquoten im Management die unternehmerische Freiheit ein.
Als das Ziel der Globalisierung nannte Gabriel âGerechtigkeit fĂŒr alleâ â so zitiert er einen Bischof. Das ist reichlich ambitioniert. Gabriel meinte wohl mehr Verteilungsgerechtigkeit. Die BĂŒrger der SPD-regierten Stadt FĂŒrth klatschen am Ende der Rede recht angetan. Zum Schluss bekam Gabriel Geschenke: eine Erhard-GlasbĂŒste und eine Zigarre aus jenem TabakgeschĂ€ft, in dem Erhard einst Stammkunde war. âVielleicht werde ich die gleich heute Abend rauchenâ, sagte Gabriel. Und vielleicht sollte er dann noch mal das Buch âWohlstand fĂŒr Alleâ zur Hand nehmen und nachlesen, wie Erhard die Sache mit dem âWirtschaftswunderâ damals wirklich erklĂ€rt hat.â Soweit Philip Plickert in seiner Analyse.
Warum wir die Debatte brauchen
Die Debatte aber ist hilfreich, auch wenn sie von Gabriel falsch gefĂŒhrt wird und die Wirtschaftswoche ihn gern fĂŒrs Kiffen vereinnahmen wĂŒrde. Sie kann Anlass sein, Erhards Denken wieder freizulegen. Und siehe: Er wĂ€re nicht amĂŒsiert gewesen ĂŒber Sigmar Gabriels Gerede. Erhard war ein entschiedener Marktwirtschaftler, AnhĂ€nger der Freiheit, Gegner von Schulden, Freund einer soliden WĂ€hrung. Er ist anspruchsvoller, als jeder Sozialdemokrat es sich je hat vorstellen können: Geld verteilen war ihm zu einfach. Die Wirtschaft so organisieren, dass jeder, der sich anstrengt, ein gutes Auskommen und wachsendes Einkommen erwerben kann, in Freiheit und Selbstverantwortung: Das war sein Ziel. Gabriel und anderen fĂ€llt nur eine einfache Lösung ein: Umverteilen â Geld raushauen, das dann woanders fehlt und das eigentliche Ziel zerstört.
Erhards BĂŒste steht ĂŒbrigens im Bundeswirtschaftsministerium, eine Leihgabe. Seine geliehenen Wörter werden wohl auch deshalb gern verfĂ€lscht.