In unserem Gesundheitswesen passt offensichtlich kein Puzzle-Teil mehr zum anderen. Kurz vor Weihnachten ordnete der Bundesgesundheitsminister gigantische Preiserhöhungen für Kinder-Medikamente an, nachdem ihr Preis jahrelang auf staatliche Anordnung gedrückt worden war. Zuvor hatte Herr Lauterbach eine Reform der Gesundheitsfinanzierung vorgestellt, die unter der Überschrift „Abkehr von der Ökonomisierung“ eine wohlfeile Überschrift bekommen hatte.Zur Einordnung sollten wir kurz feststellen, wo wir stehen: Der schwedische Thinktank Health Consumer Powerhouse entwickelte ein Rankingsystem basierend auf 48 verschiedenen Indikatoren. Das Ergebnis ist der Euro Health Consumer Index (EHCI), in dem Deutschland auf einem Mittelplatz (12) hinter der Schweiz (1) und einigen nordeuropäischen Staaten steht. Frankreich steht direkt vor Deutschland (11). Die Index-Kriterien sind natürlich subjektiv und daher umstritten. Aber wahrscheinlich ist das Gesamtbild richtig. Wir haben ein sehr umfassendes Versicherungssystem, die Lebenserwartung eines Neugeborenen ist mit rund 82 Jahren sehr gut, und wer deutsche Krankenhäuser erlebt und international vergleicht, kann sich ihnen beruhigt anvertrauen.

Dennoch ist das System offensichtlich nicht in Ordnung. Wissenschaftlich fundierte Spitzenmedizin aus Deutschland ist in der weltweiten Konkurrenz nur selten ganz vorne. Niedergelassene Ärzte sind überfordert, viele Patienten fliehen in die Notaufnahmen der Krankenhäuser, die damit zu kollabieren drohen. Gleichzeitig ist die Zahl der Arztbesuche hoch, rund 10-mal im Jahr sucht jeder Deutsche einen Arzt auf, Zahnarztbesuche nicht mitgerechnet. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 6,6 Besuchen. Im internationalen Vergleich weist Deutschland eine hohe Krankenhaus- und Bettendichte bzw. überdurchschnittliche Fallzahlen und Verweildauern im Krankenhaus auf. Auch kleine Krankenhäuser versuchen sich an großen Operationen. Deutschland war einmal die Apotheke der Welt, jetzt haben wir Medikamentennotstand.

Seit Jahrzehnten steht die Gesundheitspolitik vor grundsätzlichen Fragen, die aus Rücksicht auf die unterschiedlichen Interessengruppen von der Politik nicht ausreichend beantwortet worden sind. Die wichtigste ist die allbekannte Gretchenfrage: Wer weiß eigentlich, was genau gebraucht wird, und was darf es kosten? Die Antworten darauf ermittelt man in einer marktwirtschaftlichen Ordnung durch den Preis und den gewinnorientierten Wettbewerb um die beste Versorgung. Da jedoch nach unseren Wertvorstellungen eine gute Medizin nicht vom sozialen Status abhängen darf, ist das Modell Marktwirtschaft ohne wesentliche Anpassungen nicht zu verwirklichen, auch wenn es viele der angesprochenen Probleme lösen wurde. Aber bei allen Rücksichtnahmen und Anpassungen dürfen wir nicht vergessen, das Gesundheitssystem muss besser werden, aber es darf insgesamt nicht teurer werden.

Der Kampfbegriff der „Ökonomisierung“ der Medizin will nun suggerieren, der Markt sei gänzlich ungeeignet für die Selbstregulierung der Versorgung. Dann allerdings bleibt es bei der einzig logisch denkbaren Alternative. Wenn nicht der Verbraucher mit seiner Zahlungsbereitschaft die Leistungsströme steuert, dann muss der Staat die Leistungen zuteilen und gegebenenfalls auch rationieren.

Es klingt ja attraktiv, wenn der Minister ankündigt, die Notaufnahmen erhalten in Zukunft keine Pauschale mehr pro Fall, sondern eine fallunabhängige Grundausstattung. Aber die einzig wirklich spannende Frage lautet dann: Wer legt mit welcher Kenntnis und welchen Motiven fest, wie hoch eine „Grundausstattung“ sein muss? Diese Antwort kennt die Bürokratie nicht, und alle wissenschaftlichen Annäherungen an den angemessenen Preis öffentlicher Güter sind Spekulationen.

Also ist die eigentliche Aufgabe, in eine öffentliche Versorgungsgarantie so viel marktwirtschaftliche Elemente wie möglich zu bringen. Hier einige Anregungen:

  • Eine gute Arzneimittelversorgung verträgt keine Preisdeckel und keinen Zwang zu Generika. Der Exodus der neuen Medikamente aus Deutschland begann mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) im Jahr 2011. Das am 1. Januar in Kraft tretende Zwangsrabattgesetz für Medikamente (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) wird die Lage noch verschlimmern. Deutschland muss raus aus den Preisdiktaten und wieder Referenzmarkt werden, dann ist die Versorgung gesichert.
  • Private und öffentliche Krankenhäuser sollen bei Betrieb und Investition gleichberechtigt im System ihren Platz haben, so kennt man realistische Kosten. Die zum Schutz niedergelassener Ärzte erfundene Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gehört aufgehoben, regionale Versorgungskonzepte müssen im Wettbewerb von öffentlichen und privaten Anbietern ausgeschrieben werden.
  • Der Lauterbach-Ansatz der Spezialisierung der Krankenhäuser ist richtig. Wer schwer erkrankt, muss den gewohnten Lebensraum für kurze Zeit verlassen, die Nachsorge kann wieder im eigenen Landkreis stattfinden, und die Gesamtzahl der Krankenhausbetten muss auf ein vernünftiges internationales Niveau sinken.
  • Krankenkassen müssen verpflichtet werden, wirksame Anreize für Ihre Kunden zu schaffen, um die überdurchschnittlichen Arztbesuche auf den europäischen Durchschnitt zu reduzieren.
  • Telemedizin und Versandapotheken müssen ihren Platz im System bekommen, und die Portabilität aller Krankenberichte in einer elektronischen Akte muss gegen Datenschützer und Ärzteschaft durchgesetzt werden.

Das ist sicher keine vollständige oder gar perfekte Lösung. Aber solche Signale würden viele aus ihrer Subventionsmentalität aufschrecken. Medizinische Dienstleistungen haben die gleiche ethische Qualität wie jede andere lebenswichtige Dienstleistung. Es gibt keinen moralischen Grund, mit dem Backen von Brot Geld verdienen zu dürfen, mit dem Behandeln eines Beinbruchs aber nicht. Wenn die Politiker glauben, sie könnten medizinische Versorgung zentral planen, dann landen sie im britischen System. Da warten aktuell 7 Millionen Patienten auf ihre Behandlung. Marktwirtschaftliche Elemente im Gesundheitswesen können uns vor einem solchen Zustand bewahren.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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