Wettbewerb funktioniert immer – auch und gerade in Zeiten des digitalen Wandels. Die Digitalisierung ist nichts anderes als der Treibstoff, der den Wohlstand befeuert. Die Bürger sollten diese frohe Botschaft zur Kenntnis nehmen und freudig verkünden, fordert Berthold Barth, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Viele glauben, dass die Einführung der D-Mark im Zuge der Währungsreform 1948 ausgereicht habe, den Wirtschaftsaufschwung und den Wiederaufbau in Deutschland in Gang zu setzen. Dem ist nicht so: Ludwig Erhards große Leistung bestand darin, dies mit einer Wirtschaftsreform zu verknüpfen, die das Wettbewerbsprinzip in der zu gestaltenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik verankerte. Angebot und Nachfrage auf dem Markt und nicht mehr staatliche Planungsbehörden sollten von da an Preise, Mengen und Qualität der Produkte bestimmen.

Das Gesetz über „Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“ gab die Stoßrichtung vor: „Der Freigabe aus der Bewirtschaftung ist vor ihrer Beibehaltung der Vorrang zu geben“, heißt es darin. Die Formulierung als Leitlinie war klug gewählt: Wären alle Preise in einem Hauruck-Gesetz freigegeben worden, wäre die Reform vermutlich am Widerstand überforderter Bürger zerschellt.

Verankertes Wettbewerbsprinzip

Das Wettbewerbsprinzip blieb nicht nur eine lose Formulierung, sondern wurde in Gesetzen konkretisiert, etwa im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1958, das manche als „Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“ bezeichnen: „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten“, heißt es in § 1. Ausnahmen gibt es, aber im Grundsatz gilt das Verbot.

Auch in der Außenwirtschaftspolitik wurden die Weichen auf Wettbewerb und Freihandel gestellt. Das Ziel war „Deutschlands Rückkehr zum Weltmarkt“, wie ein Buch von Ludwig Erhard heißt. 1951 trat die Bundesrepublik dem GATT bei, das Zollsenkungen und Liberalisierung des internationalen Handels zum Ziel hatte; 1958 wurde die Konvertibilität der D-Mark erreicht. Und § 1 des Außenwirtschaftsgesetzes von 1961 legt fest, dass der Güter-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstiger Wirtschaftsverkehr mit dem Ausland sowie der Verkehr mit Auslandswerten und Gold zwischen Inländern grundsätzlich frei ist. Wieder steht die freiheitliche Programmatik am Beginn des Gesetzes.

Mit diesem Selbstbewusstsein hat die Bundesrepublik die Verhandlungen über die Gestaltung der Europäischen Gemeinschaft geführt. Sie hat sich bemüht, die eher marktskeptischen Nachbarstaaten von den Vorteilen des Wettbewerbs zu überzeugen. Mit Erfolg: Im Vertrag von Amsterdam wurde 1992 festgeschrieben, dass „die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (…) die Einführung einer Wirtschaftspolitik (umfasst), die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“.

Gescheiterte Globalsteuerung

Nach Erhards Rücktritt als Bundeskanzler hatte der konsequent auf marktwirtschaftliche Ordnungspolitik gerichtete Kurs ab 1967 eine gefährliche neue Zielrichtung bekommen, als die intellektuell überhöhte Idee der antizyklischen Globalsteuerung mit dem „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ politisch umgesetzt wurde. Damit wurde das Wettbewerbsprinzip nicht außer Kraft gesetzt, aber Wirtschaftswachstum und ein hoher Beschäftigungsstand waren nicht mehr Ergebnis der Marktprozesse, sondern bindender Auftrag an die staatlichen Instanzen. Der Staat wurde zum Mitspieler, der diese Ziele mit interventionistischem und auf Pump finanziertem Eifer umzusetzen suchte.

Erfolglos – aber leider nicht ohne Konsequenzen: Das Ergebnis waren ab Mitte der 1970er-Jahre ein ausgeufertes Sozialsystem, Anspruchsdenken der Bürger, hohe und verfestigte Arbeitslosigkeit, verkrustete Märkte und ein Berg öffentlicher Verschuldung. Eine Korrektur war unumgänglich. Mit der von den USA und Großbritannien ausgehenden angebotsorientierten Wirtschaftspolitik kehrte das Vertrauen in Marktprozesse zurück. 1988 wurde in Deutschland eine sogenannte Deregulierungskommission eingerichtet mit dem Auftrag, die volkswirtschaftlichen Kosten bestehender Marktregulierungen transparent zu machen und Vorschläge für den Abbau von Marktzutritts- und Marktaustrittsschranken zu unterbreiten.

Das stand im Gegensatz zum Duktus des Stabilitätsgesetzes. Das Gutachten der Kommission mit dem Titel „Marktöffnung und Wettbewerb“ ist heute noch ein Leitfaden zur Stärkung des Bewusstseins, dass sich jede Regulierung vor dem Wettbewerbsprinzip zu rechtfertigen hat und nicht umgekehrt. Man möchte es jeder Regierung unter das Kopfkissen legen.

Digitalisierung stärkt Wettbewerb

Seit Ludwig Erhard ist keine Bundesregierung ins Amt gekommen, die sich nicht grundsätzlich zum Wettbewerb bekannt hat – auch wenn es teils Lippenbekenntnisse waren. Wenn man sich aber bei den Bürgern umhört, so gewinnt man bisweilen den Eindruck, es wäre wieder einmal Geisterstunde, da ein neues Gespenst umgeht. Diesmal heißt es Digitalisierung und verbreitet Angst und Schrecken vor Verlust des Arbeitsplatzes und Firmenpleiten. „Fürchtet euch nicht!“, will man rufen. „Habt Vertrauen in die euch bekannte Wirtschaftsordnung!“

Wenn heute plakativ von disruptiven Geschäftsmodellen die Rede ist, so ist das nichts anderes als die frohe Botschaft: Der Wettbewerb funktioniert! Altes vergeht, und Neues, das den Wünschen der Konsumenten mehr entspricht, kommt. Disruptiv nennt der Wiederentdecker dieser Schumpeter’schen Begrifflichkeit, Harvard-Professor Clayton Christensen, Innovationen, die bestehende Produkte nicht fortentwickeln (das wäre Evolution), sondern ersetzen. Der Prozess ist nicht neu, so wie die Erkenntnis, dass jedes noch so erfolgreiche Produkt auch bei erstklassigem Management durch neue Produkte angegriffen und verdrängt werden kann: Das Dampfschiff ersetzte das Segelschiff, das Auto die Pferdekutsche, die E-Mail den Brief und der Flash-Speicher die Festplatte.

Digitalisierung heißt, dass alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert werden wird. Was vorher noch physisch mit Zeit- und Kraftaufwand transportiert werden musste, kann nun zu einem Bruchteil der Kosten per Datentransfer zum Bestimmungsort gebracht werden. Das macht manchem Angst, dabei ist Digitalisierung nichts anderes als der Treibstoff, der Wettbewerb und Wohlstand befeuert.

Wettbewerb dient Konsumenten

Im Wettbewerb muss das Bestehende stets damit rechnen, abgelöst zu werden. Das ist das Wesen dieser dynamischen Ordnung, die auf einklagbaren Regeln basiert und deshalb fair ist. Irrig ist die Ansicht, der einmal verteilte Besitz müsse so verteilt bleiben. Richtig ist: Jeden Tag findet über den Markt eine neue Verteilung statt. Jeder hat die Möglichkeit, als Nachfrager oder als Anbieter in den Markt einzutreten, Konkurrenten im Preis zu unterbieten oder in der Qualität zu übertrumpfen – oder es sein zu lassen.

Ludwig Erhards Credo lautete, „dass im wirtschaftlichen Leben der echte, nicht manipulierte Wettbewerb das beste und auch wohltätigste Ausleseprinzip verkörpert“. Und der Jurist Franz Böhm nannte im Jahr 1961 Wettbewerb „das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“: Niemand ist vor Angriffen durch Konkurrenten sicher; Machtpositionen haben keinen dauerhaften Bestand – und das alles zum Wohle des Konsumenten.

Das ist keine Glaubenssache, sondern dafür gibt es Belege. Die Digitalisierung, deren Zeuge wir alle sind, ist einer davon. Ehemalige CD-Verkäufer können vermutlich ein Lied davon singen: ein Requiem. Doch der Tod der CD ist auch hier nicht das Ende – die Auferstehung erfolgt digital per Musik-Streaming.


Dieser Beitrag ist zuerst in der Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – 70 Jahre Währungsreform“ aus dem Jahr 2018 erschienen. Laden Sie das gesamte Heft hier als PDF herunter. Die Print-Ausgabe kann über info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden.

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