Nicht die Griechenland-Krise oder der Brexit bedrohen die Europäische Währungsunion. Die eigentliche Gefahr für den Euro ist die Haushaltspolitik Italiens, so Dirk Meyer. Zerreißt es am Ende die EU?

„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Dieser Satz aus der Regierungserklärung von Angela Merkel vom 10. März 2010 wurde zum Leitspruch für die Euro-Rettung von Beginn an. Doch nicht die Stabilität des Kreises der Mitglieder der Europäischen Währungsunion (EWU), sondern die Stabilität der Euro-Währung (Art. 127 AEUV) sowie das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) und das Bailout-Verbot (Art. 125 AEUV) sind der Auftrag.

Weder Griechenland als kleines Land mit 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Eurozone noch Großbritannien als Nicht-Euro-Mitglied (beziehungsweise der Brexit) stellen eine Bedrohung für diese Ziele dar. Die eigentliche Gefahr in zweierlei Hinsicht ist Italien: Mangelndes Können – geringes Produktivitätswachstum – und Wollen – die Infragestellung des Stabilitätspaktes – gefährden langfristig seine Mitgliedschaft und die Stabilität des Euro.

Wenig Vertrauen

Bei einem Anteil von 15 Prozent des Eurozonen-BIP hält Italien 23 Prozent der Euro-Staatsverschuldung. Eine Schuldenquote von 132 Prozent und ein laufendes Defizit von über zwei Prozent des BIP sind das Spiegelbild. Bereits bei Aufnahme in die EWU lag die Schuldenquote mit 110 Prozent etwa doppelt so hoch wie als Konvergenzkriterium vorgesehen. Die Aufnahme war ein politisches Zugeständnis. Seither hat das Land auch das Defizitkriterium von drei Prozent neunmal überschritten. Ein sehr geringes Wirtschaftswachstum um im Schnitt 0,5 Prozent (2000 bis 2009) und ein Rückgang von durchschnittlich minus 0,4 Prozent (2010 bis 2014) mit einem folgenden Anstieg auf 1,5 Prozent (2017) lassen Zweifel an der Schuldentragfähigkeit aufkommen. Zudem prägt den Bankensektor, bedingt durch den hohen Bestand an Staatspapieren, eine starke Abhängigkeit vom Staat. 250 Milliarden Euro (13 Prozent des BIP) aller Bankkredite gelten als ausfallgefährdet.

Zwei Indizien machen die Gefahren einer Staatsinsolvenz und einer umfassenden Bankenkrise offensichtlich. Zum einen sind die italienischen Target-Schulden seit 2011 auf rund 440 Milliarden Euro angestiegen. Generell ist das ein Zeichen, dass das Vertrauen in das italienische Bankensystem und den Staat gestört ist. So kann das Leistungsbilanzdefizit nicht durch Importkredite zwischen Geschäftsbanken finanziert werden, sondern muss über den Umweg der nationalen Notenbanken und der Europäischen Zentralbank (EZB) abgewickelt werden. Erlöse aus dem Verkauf italienischer Staatsanleihen an die EZB bleiben nicht im Land, sondern werden etwa in Deutschland investiert. So wird die Kapitalflucht finanziert. Zum anderen ermöglicht das sogenannte ANFA-Abkommen den Erwerb von Wertpapieren – beispielsweise Staatsanleihen – durch die nationalen Notenbanken. De facto ist dies eine autonome Geldschöpfung, die lange Zeit außer Acht blieb. Dieser „Geld-Eigendruck“ machte 2016 etwa 16 Prozent der Bilanzsumme der Banca d’Italia aus; bezogen auf das Eurosystem waren es zwei Drittel aller ANFA-Geschäfte der Euro-Mitglieder.

Scheint schon das Potenzial für einen Verbleib in der EWU als fragwürdig, so kommt mangelnde Motivation der italienischen Politik zur Einhaltung der Regeln hinzu. Von Beginn an waren die unterschiedlichen Regierungen gegen die strengen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und schließlich für eine Aufweichung des zwischenzeitlich verschärften fiskalischen Regelwerks. Die Parlamentswahl vom 4. März 2018 ergab eine Zweidrittelmehrheit der euroskeptischen beziehungsweise eurofeindlichen Parteien. Alle relevanten Parteien lehnen den Fiskalpakt ab, fordern seine Abschaffung, plädieren für eine institutionalisierte Schuldenvergemeinschaftung und bekunden ihre Absicht zu einer Parallelwährung oder zum Euro-Austritt. Eine Umsetzung ihrer teuren Wahlversprechen würde das Defizit weiter steigen lassen.

Drei Handlungsoptionen

Damit stehen die übrigen Mitglieder vor einem Trilemma. Zunächst „too big to fail“ versus „too big to bail“: Einerseits ist Italien zu groß, um ohne Gefahren für die EWU insolvent zu gehen; andererseits wäre eine Rettung ähnlich Griechenlands über die Rettungsfonds zu teuer. Schließlich würde Italien ein streng konditioniertes Hilfsprogramm (Art. 136 Abs. 3 AEUV) ablehnen. Aus deutscher Sicht entstehen drei Handlungsoptionen:

  • Option 1: Haftungs- und Transferunion. Ein supranationaler Europäischer Währungsfonds (EWF) könnte permanente Transfers leisten. Dieser würde gemäß dem Vorschlag der EU-Kommission vom Dezember 2017 einen Nothilfefonds im Sinne des ESM-Rettungsfonds, eine Letztsicherung für den Bankenabwicklungsfonds (SRF), einen Stabilisierungsfonds für den Fall asymmetrischer Schocks, einen Konvergenzfonds zur Finanzierung technischer und finanzieller Hilfen zugunsten beitrittswilliger Länder und einen Reform-Finanzierungsfonds zur Unterstützung von Strukturreformen umfassen. Neben der Sozialisierung von Kosten einer Bankenabwicklung auf EU-Ebene käme ein Europäischer Einlagensicherungsfonds hinzu. Die Konsequenz wäre Unzufriedenheit auf allen Seiten – es wird zu wenig gegeben und zu viel genommen.
  • Option 2: Re-Institutionalisierung von Subsidiarität, Fiskalpakt, No-Bailout und konditionierte Nothilfe. Italien würde eher unvorbereitet aus dem Euro ausscheiden, was mit erheblichen Turbulenzen und Gefahren für den Fortbestand der EWU einherginge. Ein Schuldenschnitt Italiens wäre wahrscheinlich, da die Euro-Schulden in Lira zu bedienen wären. Er würde jedoch zu knapp 70 Prozent inländische Gläubiger treffen.
  • Option 3: Kernwährungsunion und Zulassung einer italienischen Parallelwährung. In Kombination mit Option 2 wird der Euro-Austritt langfristig vorbereitet beziehungsweise erzwungen. Zeitgleich wären Schutzvorkehrungen für die Kernunion zu treffen. Target-Kredite müssten fortan mit werthaltigen Aktiva unterlegt werden. Außerdem müssten Kapitalverkehrskontrollen rechtzeitig erlassen werden.

In jedem Fall werden die Kosten für Deutschland als Gläubigerland immens. Sowohl die Stabilität des Euro wie auch der Zusammenhalt der Währungsunion und der EU stehen auf dem Spiel.

Prof. Dr. Dirk Meyer hat seit 1994 den Lehrstuhl für Ordnungsökonomik am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg inne.


Dieser Beitrag ist zuerst in der Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – 70 Jahre Währungsreform“ aus dem Jahr 2018 erschienen. Laden Sie das gesamte Heft hier als PDF herunter. Die Print-Ausgabe kann über info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden.

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