Von allen Stellen kommen neue Anforderungen auf die öffentlichen Haushalte zu. In dieser Woche haben wir die Debatte um den ersten Bundeshaushalt der neuen Regierung erlebt. Die ganze Debatte muss sehr besorgt machen. Die großen Herausforderungen in den Bereichen Verteidigung, Katastrophenschutz, Hilfen für Bürger aus der Ukraine, die wie auch immer geartete Abfederung der Energiepreis-Explosion oder aber die Folgen der fast schon trabenden Inflation mit den Folgen für Personal und Beschaffung sind allesamt nicht abgebildet. Rechnerisch will der Bund im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten. Das wäre nicht nur rechtlich korrekt, es ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber unseren Kindern und Enkeln.

Umso mehr müsste die Politik jedoch drauf achten, gerade die Kosten in Schach und Proporz zu halten, die dauerhaft unauflösbare Verpflichtungen in den Haushalten der kommenden Jahrzehnte auslösen und zugleich große Gefahren für das gesamtwirtschaftliche Wachstum und für unseren Wohlstand begründen.

In der Corona-Krise floss 2020 erstmals mehr als ein Drittel der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung in Sozialausgaben. Mit 1,19 Billionen Euro waren es 33,6 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Im Jahr zuvor hatte dieser Wert noch bei 31 Prozent gelegen. Die Obergrenze einer Belastung für Arbeitnehmer und Unternehmer mit Sozialabgaben in Höhe von 40 Prozent vom Bruttoarbeitslohn ist von der neuen Regierung bewusst aufgegeben worden. Der Gesundheitsminister schaut der Explosion der Gesundheitskosten tatenlos zu: „Ich habe mich festgelegt: Ich werde nichts streichen“. Die Gesundheitskosten stiegen von 281 Milliarden im Jahr 2009 auf 410 Milliarden im Jahr 2019. Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt stieg allein von 2019 bis 2021 von 14,5 Milliarden Euro auf 19,5 Milliarden Euro.

Der Bundesarbeitsminister ist stolz, in diesen Tagen eine überdurchschnittliche Steigerung der gesetzlichen Rente bekannt zu geben. Diese Steigerung ist zu fast einem Drittel auf das ausgezahlte Kurzarbeitergeld zurückzuführen (Zuschuss an die Bundesagentur aus dem Bundeshaushalt 2021: 18 Milliarden). Gleichzeitig beschließt die Bundesregierung ohne Rücksicht auf die Tarifparteien Mindestlohnbedingungen für die Pflegeeinrichtungen, die kein älterer Mensch bezahlen kann. Also landen sie ebenfalls bei den Sozialbeiträgen und dem Bundeshaushalt, der schon im letzten Jahr erstmals auch die Pflegekasse mit einer Milliarde Euro subventionieren musste.

Jede Kritik an diesen Ausgaben gibt einem ein schlechtes Gefühl. Ich jedenfalls möchte niemandem Unzumutbares antun. Aber die Rechnung geht nicht auf. Zusätzlich zu alledem wird die – wiederum ohne Beteiligung der Tarifparteien entschiedene – Erhöhung des allgemeinen Mindestlohns die Preise ebenso nach oben treiben wie die sogenannte „grüne Inflation“ der Klimawende. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wird darunter leiden, und damit wird der Staat trotz seiner Rolle als Inflations-Gewinner an Leistungsfähigkeit verlieren. Die Bevölkerung verliert in jedem Fall einen Teil des Realeinkommens. Die Rechnung geht schon bald nicht mehr auf.

Es scheint in diesen Tagen so, dass diese Welle der künftigen Belastungen niemanden interessiert. Die FDP hat sogar ihren richtigen Ansatz zu ersten Schritten einer kapitalgedeckten Altersversorgung, die langfristig viel helfen könnte, wieder zur Seite gelegt. Ironie der Wirklichkeit: Diese Entscheidung wird mit „mangelnden Mitteln“ begründet.

Sozialausgaben kann man nicht spontan reduzieren. Verantwortungsvolle Politik schafft Rahmenbedingungen, damit der Anstieg im Gleichgewicht mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit der Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen und des Staates bleibt. Dieser Aufgabe wurde schon die Vorgängerregierung nicht gerecht, jetzt aber sehen wir nur noch Arbeitsverweigerung. Ob Gesundheit, Rente oder Pflege, die Dynamik hat sich verselbständigt. Und es sind ja keineswegs nur diese Finanzen der klassischen Systeme der sozialen Sicherung: Immer mehr neue populäre Ideen kommen hinzu. Die vorzeitige Rente, die Mütterrente, die Grundsicherung und jetzt aktuell ein Kinderbonus.

Ludwig Erhard war ein Skeptiker kollektiver sozialer Sicherungssysteme. Manches erscheint heute sogar etwas aus der Zeit gefallen. Aber sein Misstrauen gegenüber dem Staat, angesichts der Wünsche der Wähler die Fähigkeit zur Solidität zu behalten, war offensichtlich berechtigt. Er hatte auch dazu eine klare Sprache: „Wenn ich den Raum, den die Haushaltslage der kommenden Jahre für soziale Leistungsverbesserungen offenlässt, in Beziehung zu den Vorstellungen setze, die in dieser Richtung gehegt werden, zwingt das Gebot der Stabilität zu der Feststellung, dass wir, wie schon gesagt, nach Wertigkeit, Dringlichkeit und Nützlichkeit im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten ein Bezugssystem und einen längerfristigen Zeitplan aufstellen müssen. Lassen Sie mich ein offenes Wort sprechen: Wir müssen uns entweder bescheiden oder mehr arbeiten.“

Generationengerechtigkeit, Schuldenbremse und das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit lassen sich unter einen Hut bringen. Davon bin ich überzeugt! Ludwig Erhard hat auch das auf den Punkt gebracht: „Soziale Sicherheit ist gewiss gut und in hohem Maße wünschenswert, aber soziale Sicherheit muss zuerst aus eigener Leistung und aus eigenem Streben erwachsen.“


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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