Wie sind die im Koalitionsvertrag formulierten Pläne der Großen Koalition nach den Erhard’schen Prinzipien von Freiheit und Verantwortung zu bewerten? Lesen Sie die Antwort von Linda Teuteberg MdB, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Der Koalitionsvertrag von SPD und Union ist vieles – aber sicher kein Dokument, auf das Ludwig Erhard stolz wäre. Zwar sprechen die Koalitionäre immer wieder von „Sozialer Marktwirtschaft“. Aber bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das als dreiste Falschetikettierung. Denn nicht Freiheit und Verantwortung, sondern staatliche Kontrolle und Umverteilung prägen das Papier. Die Marktwirtschaft wird sehr klein, das vermeintlich Soziale dagegen riesengroß geschrieben.

Von der SPD darf man eine entsprechende Ausrichtung erwarten. Ernüchternd ist aber, dass – wie schon bei den Jamaika-Sondierungen – die Union jeden Einsatz vermissen lässt, wenn es darum geht, die Bürger und die Wirtschaft zu entlasten und mehr Fortschritt und Wettbewerb zu wagen. Sie gibt aber zuverlässig ihren Segen, wenn es um mehr Umverteilung und mehr Macht und Einfluss für den Staat geht.

Das Ergebnis zeigt sich im schwarz-roten Koalitionsvertrag im Großen wie im Kleinen. Da wird in der Europapolitik zwar betont, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone verbessert werden muss. Es wird sogar eine „Renaissance“ der Sozialen Marktwirtschaft gefordert. Konkrete Vorschläge dazu sucht man jedoch vergebens. Stattdessen werden Subventions- und Strukturförderungsprogramme ausgebaut, zusätzliche Gelder für neue Transfers in Aussicht gestellt und eine „Harmonisierung“ von Mindestlohnregelungen und sozialen Sicherungssystemen gefordert. Kurz: Die komparativen Wettbewerbsvorteile verschiedener Mitgliedstaaten sollen eingeebnet, Wachstum stattdessen durch einen Ausbau der Umverteilungsmaschinerie staatlich angeschoben werden.

Dass dieser Koalition ein ordnungspolitischer Kompass fehlt, zeigt sich auch deutlich beim Thema Wohnungsbau und Eigentum. Zwar beklagen die Koalitionäre, dass viele Deutsche sich keine eigene Wohnung mehr leisten können. Aber eine Entlastung, zum Beispiel durch eine verlässliche Zusage von Freigrenzen bei den immer weiter steigenden Grunderwerbsteuern, gibt es nicht. Stattdessen wird mit dem Baukindergeld eine neue Subvention geschaffen, mit der – nüchtern betrachtet – Familien mit geringen Einkommen und ein oder zwei Kindern vom Bund bestenfalls lediglich das Geld zurückbekommen, das ihnen zuvor vom Land für die Grunderwerbsteuer abgenommen wurde. Und alle anderen dürfen weiter draufzahlen. Das ist eine Politik, die Menschen – in Erhards Worten – einmal mehr zu „sozialen Untertanen“ degradiert, statt zu Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung zu ermutigen.

Dieses Misstrauen gegenüber der Freiheit und Verantwortung des Einzelnen, das ist der schwarz-rote Faden in diesem Koalitionsvertrag. Von der Pflicht zur Altersvorsorge für Selbständige über die Privilegierung von Quersubventionen durch kommunale Unternehmen und die weitere Begrenzung des Wettbewerbs im Gesundheitssystem bis zur Deckelung von Mieterhöhungen bei drei Euro je Quadratmeter nach einer Sanierung – die Beispiele sind Legion. Mit diesem Koalitionsvertrag wird der Bürger kleiner und der Staat größer gemacht. Das kann man wollen. Aber mit einer Sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards hat das nichts zu tun.

DRUCKEN
DRUCKEN