Theoretische Klimasimulationen seien nicht in der Lage, die natürlichen Anteile des Klimawandels korrekt zu berücksichtigen, meint der vielfach angefeindete Sebastian Lüning. Er plädiert für mehr Klimarealismus und warnt vor einer „politisch motivierten Dramatisierung“ des Klimawandels.

Die Temperatur der Erde hat sich in den letzten 150 Jahren um knapp ein Grad erhöht. Der Anteil menschengemachter und natürlicher Klimafaktoren an der Erwärmung ist dabei unklar. In seinem 5. Klimazustandsbericht von 2013 ließ sich der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, „Weltklimarat“) noch Spielraum. In der Zusammenfassung für Politiker hieß es: „Es ist äußerst wahrscheinlich, dass mehr als die Hälfte des beobachteten Anstiegs der mittleren globalen Erdoberflächentemperatur von 1951 bis 2010 durch den anthropogenen Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen zusammen mit anderen anthropogenen Antrieben verursacht wurde.“ Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bis zu 50 Prozent der Erwärmung seit 1951 natürliche Ursachen haben könnte. Dazu käme noch ein Großteil der Erwärmung von 1850 bis 1950, als Treibhausgase eine untergeordnete Rolle spielten.

Leider hat der IPCC diese differenzierte Sichtweise mittlerweile aufgegeben und erklärte in seinem Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel von 2018, dass die Erwärmung zu 100 Prozent menschengemacht sei. Bedenklich ist dabei, dass der Weltklimarat diese Aussage an politische Entscheider und Gesellschaft sozusagen „amtlich“ herausgibt, denn sie reflektiert in keiner Weise den wissenschaftlichen Kenntnisstand.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bis zu 50 Prozent der Erwärmung seit 1951 natürliche Ursachen haben könnte.

In den vergangenen Jahren ist immer deutlicher geworden, dass das Klimageschehen signifikant von natürlichen Klimaprozessen mitgesteuert wird, die noch nicht ausreichend verstanden sind. So veröffentlichten Forscher der University of Washington in Seattle 2013 eine Studie, in der sie zeigen konnten, dass 40 bis 50 Prozent der Erwärmung der jüngsten Jahrzehnte auf Effekte der Ozeanzyklen zurückgehen, also nicht anthropogenen Ursprungs sind. Ein 2018 veröffentlichter Klimabericht der Schweiz geht davon aus, dass natürliche Faktoren bis zur Hälfte der im Land beobachteten Erwärmung der vergangenen 100 Jahre verursacht haben könnten.

Natürlicher Einfluss unterschätzt

Auf die Frage, wie die anthropogenen und natürlichen Anteile an der globalen Erwärmung in industrieller Zeit verteilt waren, antwortete der Kieler Klimaforscher Mojib Latif 2012: „Es ist ein Mix aus beidem. Klar ist, dass der Mensch über die Hälfte des Temperaturanstiegs seit Beginn der Industrialisierung zu verantworten hat.“ Eine internationale Wissenschaftlergruppe unter Beteiligung der Universität Gießen erklärte 2018, dass ein Drittel der modernen Temperaturentwicklung Ostasiens durch natürliche Antriebe verursacht wurde.

Der natürliche Anteil spielt auch bei anderen Klimaerscheinungen eine Rolle. So quantifizierte kürzlich eine Studie der Universität Innsbruck den menschenverursachten Anteil an der globalen Gletscherschmelze seit Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 mit einem Viertel. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass drei Viertel der Gletscherschmelze während der industriellen Zeit durch natürliche Klimaprozesse verursacht worden sein müssen.

Theoretische Klimasimulationen sind derzeit nicht in der Lage, die natürlichen Anteile des Klimawandels korrekt nachzuvollziehen. Nach Berücksichtigung neuer Erkenntnisse zur Klimawirkung von Schwebstoffen sind die Ergebnisse der überarbeiteten Klimamodelle mittlerweile so unrealistisch geworden, dass die Klimawissenschaftler selbst davon abraten, sie für politische Planungszwecke zu verwenden. Die Zeit ist reif für mehr Klimarealismus. Eine politisch motivierte Dramatisierung des Klimawandels hilft am Ende niemandem.

Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

Der Autor Dr. habil. Sebastian Lüning ist Geowissenschaftler und lebt in Lissabon. Zusammen mit Fritz Vahrenholt veröffentlichte er 2020 im Langen Müller Verlag das Buch „Unerwünschte Wahrheiten – Was Sie über den Klimawandel wissen sollten“, in dem die im Beitrag genannten Aussagen detailliert beschrieben und mit der entsprechenden Fachliteratur referenziert sind.

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