Dieser Kommentar ist eine kleine Geschichtsstunde. Am heutigen Abend werde ich die Ludwig-Erhard-Stiftung in dem wenig bekannten Ort Fuldatal-Rothwesten im Norden Hessens vertreten. Nur sehr wenigen und vor allem älteren Lesern wird der Ort etwas sagen. Für die Geschichte des Neustarts der deutschen Wirtschaft nach 1948 und den Erfolg von Ludwig Erhards Strategie der Sozialen Marktwirtschaft ist er von großer Wichtigkeit. Hier ist die Wiege der D-Markt, im hermetisch abgeschlossenen „Konklave von Rothwesten“ erarbeiteten wenige amerikanische und deutsche Experten die Details der Währungsreform, damit diese am 20. Juni 1948 Wirklichkeit werden konnte.

Eine Währungsreform war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs notwendig, weil die Kriegsfinanzierung der Nationalsozialisten die öffentlichen Finanzen zutiefst zerrüttet hatte. Die zerstörte Wirtschaft produzierte nicht mehr in einem Volumen, das durch die Menge des umlaufenden Geldes abgebildet wurde. Die Siegermächte versuchten, mit einem Preisstopp für lebenswichtige Güter Schlimmeres zu verhindern. Aber damals wie heute ist ein Preisstopp keine Lösung, sondern er führt nur dazu, dass immer weniger Ware in den Markt kommt und der Schwarzmarkt zu blühen beginnt. Schon bei den Überlegungen zu einem Währungsschnitt zeigte sich schnell, dass zwischen der sowjetisch besetzten Zone und den West-Zonen kaum eine gemeinsame Basis zu finden war.

Die Währungsreform ohne Freigabe der Preise wäre kein Erfolg geworden

Ludwig Erhard und seine Mitstreiter hatten sich schon während der Kriegszeiten damit befasst, welche Schritte zur Wiedergewinnung wirtschaftlicher Selbständigkeit erforderlich wären und dass eine schnelle Währungsreform dafür unerlässlich sei. Erhard war dann als Leiter der „Sonderstelle für Geld und Kredit“ direkt für die deutsche Seite verantwortlich. Im Januar 1948 legte seine Behörde den „Homburger Plan“ vor. Frankfurt war noch zu zerstört, so dass die Sonderstelle im nahen Bad Homburg ihren Sitz hatte. Dieses Papier enthielt bereits Überlegungen zur Rückkehr zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung und auch zu einem Ausgleich der sozialen Lasten einer Währungsreform. Doch zunächst übernahmen die Amerikaner das Kommando. Sie prägten das Konklave von Rothwesten, hatten schon Monate zuvor die Geldnoten in Amerika gedruckt und heimlich nach Deutschland geschafft.

Die deutschen und amerikanischen Experten, ohne persönliche Beteiligung Erhards im Konklave, schafften das Meisterwerk einer reibungslosen Währungsreform. Am 21. April 1948 begann ihre Arbeit in Rothwesten, und die Pläne wurden ausgearbeitet. So kam es zur Währungsreform am 20. Juni 1948, dessen 75. Wiederkehr wir in diesem Jahr noch feiern werden.

Ludwig Erhard ging aufs Ganze und gewann den schwierigen Kampf

Aber Erhard war dies von Anfang an nicht genug. Er wusste, ohne Freigabe der Preise und damit den Start der neuen Sozialen Marktwirtschaft würde die Währungsreform Not und Armut nicht wirklich lindern. So schaffte er gegen die Bedenken der westlichen Alliierten am 20. Juni Fakten und ließ durch seinen Pressesprecher im Rundfunk die gleichzeitige Freigabe der Preise verkünden. Zwei Tage zuvor hatte der Wirtschaftsrat der amerikanisch-britischen Bizone das sogenannte „Leitsätzegesetz“ in abschließender Lesung gebilligt, das sich damit befasste, welche Güter weiterhin bewirtschaftet und welche aus der Bewirtschaftung herausgenommen werden sollten. Erhard kämpfte für eine weitgehende Beendigung der Bewirtschaftung, da er auf Markt und Leistungswettbewerb setzte und eine Preissenkung voraussagte – und gewann. Diese sehr persönliche und sehr mutige Entscheidung Erhards ist die Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft.

Auch in der sowjetisch besetzten Zone gab es nahezu zeitgleich eine Währungsumstellung. Auch hier stand ein Bargeldaustausch am Beginn, auf den die Umstellung der Spar- und Girokonten folgte. Allerdings war die Währungsreform weniger gut vorbereitet als im Westen. Beispielsweise gab es keine neuen Banknoten, sodass die alten Reichsmarkscheine mit Kupons (Kuponmark, in Berlin deswegen schnell als „Tapetenmark“ bezeichnet) überklebt werden mussten. Allerdings blieb die umfassende Bewirtschaftung auch nach der Währungsreform aufrechterhalten, und in den Jahren danach wurde daraus eine sozialistische Planwirtschaft. Da Geld- und Währungspolitik in einem solchen System einen deutlich geringeren Stellenwert als in einer Marktwirtschaft besitzen, war es folgerichtig, dass die Währungsreform den Bürgern der DDR kaum in Erinnerung geblieben ist.

Der Erfolg des Neustarts in Deutschland erforderte Opfer

Aber Erhards Mut und Durchhaltevermögen war gerade jetzt erst gefragt. Die Zeit von 1948 bis etwa 1952 war nicht einfach. Die Lebenshaltungskosten erhöhten sich im zweiten Halbjahr 1948 um 17 Prozent. Der Währungsschnitt fiel erheblich schärfer aus, als geplant war, und er traf die Sparer und verschonte die Sachwertbesitzer. Ein entsprechendes Lastenausgleichsgesetz kam erst 1952 zustande und zeigte die Schwierigkeit, hier eine angemessene Lösung zu finden. Insgesamt wich die erste Begeisterung über die Warenfülle in den Schaufenstern der Enttäuschung über die nun hohen Preise. Zwar verschwanden bald die schwarzen Märkte. Doch die Löhne der Arbeitnehmer blieben bis November 1948 eingefroren, und gleichzeitig waren die Sparrücklagen der arbeitenden Bevölkerung auf ein Minimum geschrumpft. Sogar der bizonale Länderrat stellte am 18. November 1948 fest, dass eine Änderung der Preispolitik unbedingt nötig sei: „Der Versuch, eine funktionierende Marktwirtschaft bei kritischen Mangelwaren einzuführen, ist gescheitert“. Ab Anfang 1949 begann sich jedoch die wirtschaftliche Lage generell zu stabilisieren, und das Durchhaltevermögen wurde belohnt.

Der Mut im Stile Ludwig Erhards wird auch heute gebraucht

Zum 60. Jahrestag der Währungsreform im Jahr 2008 schrieb der damalige Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung, Hans D. Barbier, über das Vermächtnis Erhards: „‘Die Freiheit! Die Freiheit vor allem!‘ ‘Freiheit!‘. Das wäre Ludwig Erhards Antwort, wenn man ihn heute, nach sechzig Jahren fragte, was die Botschaft der Währungs- und Wirtschaftsreform vom 20. Juni 1948 gewesen ist. Neues Geld in Kooperation mit den amerikanischen Besatzern. Preisfreigabe und Aufhebung der Bewirtschaftung als Draufgabe von Ludwig Erhard. Daraus entsteht kein ‘Wirtschaftswunder‘, das unerklärbar vom Himmel fällt. Aber so erklärt sich die von irdischer Energie getriebene, produktive Explosion einer Marktwirtschaft in einem zerstörten Land. Die Alliierten hatten an der Kraft dieser Initialzündung gezweifelt. Und sie hatten von so viel Mut zur Freiheit abgeraten. Aber Ludwig Erhard hatte daran geglaubt, ohne auf die Erfahrung mit einem konkreten Vorbild zurückgreifen zu können. Er hatte es geglaubt im Glauben an die Freiheit.“

Das Erinnern an die Tage vor 75 Jahren ist keine Romantik. Wir bräuchten diesen Mut und diesen Geist des Aufbruchs heute wieder. Zeitenwenden erfordern viel mehr als eine Rede und viel mehr als ein paar Monate. Daran werden wir uns erinnern müssen.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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