Am vergangenen Montag hatte Bundeskanzler Scholz nach Jahrzehnten das alte Modell der „konzertierten Aktion“ neu belebt und die Vertreter von Unternehmen und Gewerkschaften an einen Tisch gerufen. Er nannte als Grund „lang andauernde Herausforderungen“. In der Tat steht Deutschland mit Coronavirus, Gaskrise, Inflation und höchstwahrscheinlich auch einer Rezession vor einer schwierigen Zeit.

Zur Vertrauensbildung muss jetzt eine zwar einfühlsame, aber auch klare Darstellung der Konsequenzen erfolgen. Fast alle derzeit diskutierten Maßnahmen erwecken noch immer den Eindruck, die Summe dieser Krisen sei zwar sehr herausfordernd, aber der Staat werde schon dafür sorgen, dass der Einzelne von wesentlichen Beeinträchtigungen verschont bleibt. Man kann sehen, wie Stimmung gegen jede potenzielle Beeinträchtigung geschürt wird. „Spart doch bei Euch selbst“, schleudert die BILD-Zeitung den Politikern der Bundesregierung entgegen. Selbst wenn Derartiges nur von genanntem Blatt stammt, darf sich die Politik an populistischen Äußerungen wie dieser keinesfalls orientieren.

Nur wenige Patienten mögen es, wenn der Arzt vor einer Behandlung etwaige Schmerzen verschweigt, und die meisten werden ihm bei der nächsten Therapie nicht mehr vertrauen. Das hat dann zur Folge, dass man keiner Therapie mehr zustimmen mag. Wenn es um das Risiko des eigenen Wohlstands geht, ist dies nicht anders.

In dieser Stimmung gerät die Politik in die Versuchung, die Macht der freien Preisbildung außer Kraft zu setzen. Da kommt es zu Forderungen nach einem Mieten- und Gaspreisdeckel, da soll die Senkung bestimmter Steuern die Preiserhöhungen ausgleichen und mühsam beschlossene Lenkungsabgaben wie die CO2-Abgabe werden schnell auf Eis gelegt. Ansonsten sollen staatliche Sonderzuschüsse so bemessen sein, dass die Schäden im Budget der Bürger möglichst vermieden werden. Dafür gibt es ja im Moment viele Ideen.

Sollte die Politik mit all diesen Schritten die Absicht haben, Vertrauen aufzubauen, indem sie allen vermittelt, Ihnen werde nichts abverlangt, dann ist das ein Fehler. Und dieser Fehler kostet vielmehr Vertrauen. Zugleich verhindert eine solche Strategie alle Schritte, die es den Instrumenten des Marktes ermöglichen würden, schnell mehr Wachstum und höhere Einkommen zu generieren. Der Markt wird ausgeschaltet. Zugleich steigen die Schulden eines überforderten Staates und die Inflation bleibt im Auftrieb.

Diese Krise ist in der Tat eine lang andauernde Herausforderung. Horrende Energiepreise treiben die ohnehin schon hohe Inflation. Das trifft natürlich jeden einzelnen, jede Familie. Konsumverzicht, zur Verschiebung größerer Anschaffungen, zu geringeren Ersparnissen, und viele Urlaube stehen in Frage.  Erst wenn dies ausgesprochen ist, kann über die Notwendigkeit von Unterstützung und die Grenzen staatlicher Hilfe gesprochen werden, ohne weiteren Verlust des Vertrauens zu riskieren. Das wird Verteilungskämpfe provozieren, die in freien Gesellschaften legitim sind und ausgehalten werden müssen.

Leider stehen zur Erreichung der Ziele keine bequemen und leicht verdaulichen Optionen zur Verfügung. Wenn der Gaspreis künstlich niedrig gehalten würde, verzerrt das den Markt – es wird mehr Gas konsumiert, als eigentlich vorhanden ist. Dann muss Gas zwangsbewirtschaftet und rationiert werden. Der beschwerlichere, aber richtige, Weg ist bei einem marktgerechten Preis Angebot und Nachfrage sich annähern zu lassen, weil einerseits gespart wird und andererseits alternative Energieangebote konkurrenzfähig werden. Diese Alternativen werden, je mehr sie nachgefragt werden, durch Skaleneffekte umso billiger und Märkte und Preise können sich wieder stabilisieren.

Wer will, dass die Wirtschaftskraft wieder wächst, muss auch die Kreditvergabe der privaten Unternehmen überlassen und darf nicht über Staatsschulden finanzierte Ausgaben tätigen, die private Investitionen behindern. Zugleich müssen die Steuern sinken, damit den privaten Haushalten und Unternehmen mehr für die Krisenbewältigung zur Verfügung steht. Dies erfordert eine Kürzung von öffentlichen Ausgaben.

Selten kommen Krisen so zusammen, wie es bei uns gerade geschieht. Deshalb haben die Bürger jedes Recht, einen behutsamen Umgang durch den Staat einzufordern. Behutsamkeit bedeutet aber nicht, alles so auszugleichen, als sei die Krise nicht gewesen. Das mag am Anfang der Corona-Krise und bei einer Flutkatastrophe zu Recht gefordert werden. In der heutigen Lage kann die Hilfe nur den Schwächsten unter den Betroffenen und den für die Infrastruktur unverzichtbaren Unternehmen in der Wirtschaft zugutekommen. Diese Reduzierung auf das Nötigste ist die Voraussetzung für die schnelle Wiedergewinnung der Kraft für alle Beteiligten. Das bedeutet keinesfalls eine Untätigkeit des Staates. Einige der verantwortungsvollen Optionen habe ich im Kommentar der vergangenen Woche schon benannt.

Je länger der Eindruck entsteht, die Politik könne und wolle trotz Krise Einkommensausfälle verhindern, umso mehr Vertrauen geht verloren, wenn die Mehrheit der Bürger die Unmöglichkeit dieser Absicht erkennt. Zugleich wird dem Markt wesentliche Zeit zur Verarbeitung der Krisensymptome genommen und das Leiden verlängert sich.

Der vom Bundeskanzler verwendete Begriff „Herausforderungen“ ist Politiker-Sprache, die besänftigen und Widerspruch reduzieren soll. Doch dazu ist die besorgniserregende Summe der Probleme zu groß. Eine Konzertierte Aktion darf keine Beruhigungspille sein.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Wenn Sie ERHARD HEUTE regelmäßig lesen möchten, können Sie die Kolumne hier abonnieren.

DRUCKEN
DRUCKEN