Am Mittwoch, dem 10. Oktober 2018, wurde der diesjährige Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik im Rahmen einer Festveranstaltung in Berlin verliehen. Der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung Roland Tichy zog in seiner Einführung eine erste Bilanz der Regierungsarbeit der jetzigen Großen Koalition.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie ganz herzlich im Namen der Ludwig-Erhard-Stiftung begrüßen zur Verleihung des diesjährigen Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik. Ich begrüße ganz besonders unsere Preisträger: Zanny Minton Beddoes, Chefredakteurin des „Economist“ in London, Dr. Peter Rásonyi, Leiter der Auslandsredaktion der „Neuen Zürcher Zeitung“, sowie unsere Förderpreisträger Patricius Mayer, Daniel Sprenger und Christian Wermke.

Ich freue mich, dass Dr. Dorothea Siems, die Chefkorrespondentin für Wirtschaftspolitik der „Welt“, die Laudatio hält. Von der unabhängigen Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik darf ich des Weiteren Heike Göbel begrüßen sowie unser Ehrenmitglied der Stiftung Dr. Isabel Mühlfenzl. Ich freue mich besonders, dass heute Rainer Brüderle, unser Bundeswirtschaftsminister a. D. mit uns ist. Und ein herzliches Willkommen auch an Michael von Foerster vom Verband der Deutschen Rauchtabakindustrie.

Leider nicht begrüßen kann ich die Festrednerin: Landesministerin Ursula Heinen-Esser, die auch Mitglied der Vorstand unserer Stiftung ist, ist mit einer Grippe ans Bett gefesselt – unsere besten Grüße und Genesungswünsche gehen zu ihr.

Meine Damen und Herren, wir verleihen heute einen Preis für die Ausarbeitung ordnungspolitischer Leitlinien. Was immer die Politik macht, wir sind die mahnende Stimme und prüfen, ob Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik so ausgestaltet sind, dass sie Wohlstand und Freiheit schaffen. Da muss man – ein Jahr nach der Bundestagswahl – in diesem Jahr schon eine Art Zwischenbilanz ziehen. Wir wissen ja: Was bis jetzt nicht angepackt ist, wird auch bis zum Ende der Legislaturperiode nicht stattfinden – wann immer das Ende der Legislaturperiode sein wird.

Wo ist das Geld geblieben?

Und da haben wir so ein paar Punkte zusammengetragen: Der erste sind natürlich die öffentlichen Haushalte. Früher war der Finanzminister der unbeliebteste Mensch im Kabinett. Das war der, der immer alle Pläne kaputt gemacht hat, der die Kohle zusammengehalten hat, der gesagt hat: Es geht nicht! Sie erinnern sich vielleicht an die Sparschweine von Hans Eichel. Heute könnte man statt der Sparschweine eine Gans auf den Tisch stellen, nämlich die Gans, die goldene Eier legt. Das sind nämlich wir.

Wir haben natürlich einen grandiosen Haushalt ohne neue Schulden, aber es ist auch ein Etat, der sich seit der Zeit vor der Finanzkrise bis heute um 50 Prozent erhöht hat. Wir reden über ungeplante Überschüsse im Haushalt zwischen 30 und 50 Milliarden Euro im Jahr. Der Finanzminister ist jetzt ein feiner Kerl, und natürlich ist er auf einmal sehr beliebt. Die Frage ist jetzt: Was machen wir denn nun mit dem vielen Geld? – Ich stelle mir aber eigentlich immer die ganz simple Frage: Wo ist das Geld geblieben?

Wenn man genau hinschaut, haben wir ein Wirtschaftswachstum von unter zwei Prozent, aber die Abgaben und Steuereinnahmen steigen um über vier Prozent. Wir haben hier ein eklatantes Missverhältnis zwischen der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungskraft und den Staatseinnahmen. Nur eines findet nicht statt: Steuersenkungen.

Eigentlich möchte man ja meinen, da ist jetzt Geld in der Tasche, aber davon spricht man nicht so gern. Selbst der Soli erhält nur einen neuen Anstrich, aber das Geld – der Bimbes, wie Helmut Kohl gesagt hätte – bleibt weg. Also keine Entlastung, und es ist natürlich eine Politik, die von staatlicher Ausdehnung lebt, von fiskalischer Verfettung und von der Lähmung wirtschaftlicher Aktivität und bürgerlicher Freiheit. Denn über das, was der Staat für sich in Anspruch nimmt, können wir Bürger nicht verfügen.

Wie Sie wissen, gibt es ein Rentenpaket I. Aber ich möchte Sie nicht mit Rentenbeitragspunkten, Bemessungsgrenzen in Ost und West sowie deren Entwicklung belasten. Jedenfalls wird der Beitrag bis Mitte des nächsten Jahrzehnts von 18,6 Prozent auf höchstens 20 Prozent steigen. Das ist doch eigentlich eine ungeheure Summe: Immerhin wird der Bund seinen Rentenzuschuss für vier Jahre lang jeweils um 500 Millionen Euro aufstocken. Wenn man diese Zahlen hört und weiß, dass heute bereits im Haushaltsplan 94 Milliarden Euro für die Rente vorgesehen sind, dann weiß man, dass diese 500 Millionen Euro angesichts der 94 Milliarden Euro nur der Rechenfehler hinterm Komma sind, der für die Zukunft zurückgelegt wird. Der Zuschuss von 94 Milliarden Euro wird steigen, und ich glaube, uns ist nicht klar, dass wir dabei sind, das System der sozialen Sicherung zu zerstören.

Höhere Renten gegen einen deutschen Trump?

Wir hatten mal eine Zeit, in der Beiträge die Alters- und Krankenversicherungssysteme finanzieren sollten – und nicht Steuern. Aber de facto steuern wir auf eine Staatsrente zu, und das ist ordnungspolitisch bedenklich. Besonders schlimm ist – und man mag es gar nicht mehr sagen –, dass die Aspekte der Demographie nicht berücksichtigt werden. Wir werden alle älter, was eine wunderbare Sache ist, wir beziehen vielleicht in Zukunft länger Rente als jemals unsere Arbeitszeit sein wird. Das ist schwierig zu rechnen, aber darüber reden wir nicht. Eine Politik, die von der Hand in den Mund lebt, will das gar nicht wissen, denn das stört ja nur den Frieden.

Kleiner Nebenaspekt: Es ist ja nicht nur so, dass die Rentner länger leben und mehr Geld bekommen, was mich übrigens freut. Und natürlich bin ich aus idealistischer Sicht kein Gegner der Mütterrente. Aber in Berlin ist es gefährlich, davon zu reden, dass wir von einem nicht reden, nämlich von Beamtenpensionen. Das ist zwar ein ganz anderes Kapitel, aber leider werden sich auch dafür die Aufwendungen in den nächsten Jahren auf weit über 100 Milliarden vervierfachen – nur haben wir das leider vergessen. Höhere Renten jedenfalls, so sagt uns der glückliche Finanzminister mit strahlendem Gesicht, sollen einen deutschen Trump verhindern. Das ist Politik.

Kommen wir zu einem weiteren Thema: Wohnungsbau. Da hat jetzt ein Gipfel stattgefunden. Politik lebt ja jetzt von Vertretern von Verbänden, Gewerkschaften, Mieterbund. Also macht man ein Eckpunktepapier – Wohnungen werden so natürlich nicht gebaut. Angekündigt ist ein Riesenpaket mit vielen, vielen Einzelpunkten. Ich kann sie mir gar nicht alle merken: Baukindergeld, Sonderabschreibungen, Mietwohnungsbau, Ankurbelung des sozialen Wohnungsbaus, Bauvorschriften und so weiter. Ziel: 1,5 Millionen Wohnungen bis 2021 sollen die Situation verbessern. Das ist ein Hoffnungswert. Aber dann wundert man sich und stellt fest: Die Wohnungen, die jetzt allmählich fertig und bezogen werden, wurden bereits 2013/2014 konzipiert und geplant, und die reagieren natürlich nicht auf die Tatsache, dass mit den Flüchtlingen und dem Familiennachzug mit Bleibeberechtigung sowie gewollter Zuwanderung aus Osteuropa im Rahmen der EU – dass mit diesen verschiedenen Zuwanderungsformen vermutlich so rund – mas o menos, Peanuts rechnen wir nicht – drei Millionen zusätzliche Menschen seit 2015 in Deutschland leben. Also eine Stadt ungefähr so groß wie Berlin. Die einzige Frage, die wir uns stellen müssen: Haben wir eigentlich seit 2015 Berlin neu gebaut? Nein, das haben wir nicht! Und dann wundern wir uns, dass Wohnungen knapp sind.

Dazu kommen noch andere Bewegungen, wie zum Beispiel Zuzüge in die Metropolen. Da will jeder hin, und keiner will mehr auf dem Land leben. Staatliche Wohnungsbaugesellschaften sagen: Der Bau einer Wohnung dauert mindestens drei Jahre – wenn man das Grundstück schon hat. Na dann: viel Vergnügen! Also ist doch die Frage: Warum reden wir über einen Mietstopp? Wäre es nicht besser, Baureformen durchzuführen, um Bauland leichter zu erschließen und billiger bauen zu können? Und das eben statt darüber zu weinen, dass die Mietpreisbremse nicht funktioniert, woraus bei uns die Schlussfolgerung gezogen wird, man müsse sie stärker anziehen. Ludwig Erhard – für den diese Art von Wohnungsnot 1948/1949/1950 Peanuts gewesen wäre – wäre vor Lachen vermutlich die Zigarre auf den Boden gefallen.

Investitionshemmnis fehlende Rechtssicherheit

Ähnlich ist es mit der Energiewende und der Umweltpolitik. Eine Kohlekommission soll den Ausstieg aus der Kohleindustrie vorbereiten. Spannend ist die zweite Aufgabenstellung für die 31-köpfige Beratungsgruppe: Sie soll Perspektiven für die Schaffung von Arbeitsplätzen für die betroffenen Regionen erarbeiten. Da sind wir aber gespannt, welche Arbeitsplätze die Politik in der Lausitz oder westlich von Köln schafft. Bis jetzt habe ich nur gehört, dass man dort ein paar Behörden gründen will. Das ist natürlich eine Maßnahme der Wirtschaftssteigerung und der Wohlstandsfabrikation: Behörden, ein paar Eisenbahnen dazu bauen und im Übrigen subventionierte Batteriefabriken errichten. Batterien zu bauen ist aber weder Kunst noch Hightech, und die Frage ist: Wenn Unternehmen sich weigern, Batterien zu bauen, warum muss es dann eigentlich der Staat machen?

Die frühere Steinkohlesubvention, für deren Abschaffung wir mindestens 20 Jahre gebraucht haben, bauen wir in der Braunkohleindustrie jetzt in Batteriesubventionen um. Das ist eine wunderbare Idee. Im Wirtschaftsministerium, da freue ich mich natürlich, hängen jetzt Bilder von Ludwig Erhard. Aber sein Geist weht dort wirklich nicht mehr.

Bei den erneuerbaren Energien kann man ohnehin nicht mehr viel von Marktwirtschaft sprechen. Der Netzausbau hält nicht mit, die Klimaziele 2020 werden verfehlt, obwohl wir doch eigentlich um die 25 Milliarden Euro jährlich da reinstecken. Und über dem Ganzen schwebt dann noch Diesel-Gate, wo wir auch nicht so richtig wissen, wie das weitergeht. Autohersteller werden jetzt staatlicherseits ermutigt, Rabatte auszuloben. Das ist eine schöne Sache, das haben wir bisher auch schon gemacht. Wer das Auto trotzdem nicht wechseln kann oder will, der darf Hardware nachrüsten. Wann das kommt, wie das geht, weiß kein Mensch, und die Autoindustrie wird es natürlich nicht bezahlen. Die Bundesregierung „erwartet, dass sie die Kosten dafür trägt“. Das ist in vielerlei Hinsicht ärgerlich. Da geht es nicht nur um Geld. Immerhin haben sich die Kunden Autos gekauft, die ordnungsgemäß waren und auch genehmigt wurden. Jetzt erleben sie, dass plötzlich früher bestehende Betriebsgenehmigungen nichts mehr wert sind.

Da kann ich nur sagen: Willkommen! Die Industriebetriebe erleben das schon lange: Unter dem Druck der Straße oder wegen einer Fledermaus werden Betriebsgenehmigungen widerrufen. Bei den Industrieunternehmen handelt es sich jeweils um Hunderte, manchmal sogar um Milliardenbeträge. Ein Auto, das verbilligt nach Süd- oder Osteuropa exportiert werden muss, richtet beim privaten Haushalt ähnlichen Schaden an und bleibt in Italien oder in Spanien oder in Polen genauso stinkig wie hier. Das ist also eine wunderbare Methode. Der Staat wird zum Investitionshemmnis, weil es stabile, rechtliche Rahmenbedingungen, die Voraussetzung für langfristige Investitionen und Wohlstand sind, wohl nicht mehr gibt.

Viel Bürokratie mit wenig Effekt

Und so stolpern wir so vor uns hin. Aber ich möchte natürlich nicht nur pessimistisch sein. Neben den großen Politikfeldern gibt es sehr erfolgreiche, die ich unbedingt benennen muss: das gute Kita-Gesetz, durch das die Betreuung von Kindern besser und kostengünstiger werden soll. Teilzeitkräfte haben einen Anspruch auf Rückkehr in Vollzeit. Die Bundeswehr wird modernisiert. Sie kann zwar nicht fliegen, sie kann nicht tauchen, sie kann nicht fahren und schon gar nicht schießen – aber wir werden das schon irgendwie hinkriegen. Natürlich weiß die Regierung mittlerweile, dass wir bei der Digitalisierung hinterherhinken, und wir werden das ändern: Wenn Sie in Zukunft einen Arzt besuchen wollen und Terminvergabeprobleme haben – keine Sorge! Die Bundesregierung kümmert sich um die Terminvergabe beim Arzt. Und wenn die Trockenheit die Ernteerträge schrumpfen lässt – der Staat wird helfen.

So entwickelt sich der Staat zu einer Agentur für Ernte, für Terminvergabe – und natürlich haben wir eine Milliarde Euro übrig für eine „Agentur für Sprunginnovation“. Da sollen künftig deutsche Supererfinder, also Menschen wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg, in einer Bürokratie antanzen und sich Mittel besorgen, die dann von dieser „Sprungagentur“ ausgeteilt werden. Und natürlich – ich habe mir die Vorschriften angeschaut – müssen diese Zukunftsinvestitionen schon im Stadium vor ihrer Zeugung nachweisen, dass sie absolut nachhaltig sind, gendergerecht, nicht mit Atom und Genen hantieren, sozialverträglich sind, Arbeitsplätze schaffen und das Weltklima positiv beeinflussen.

Man weiß, das wird sehr viel Bürokratie mit sehr wenig Effekt sein. Ich warte noch und bestehe darauf, diese Botschaft dem Wirtschaftsministerium zurufen: Wir erwarten jetzt auch die Gründung eines Bundesamtes für Soziale Marktwirtschaft!

Es ist die Kleinteiligkeit, in der wir uns verfangen. Es sind die Kommissionen, die wir einrichten. Aber wenn natürlich diese Kommissionen auf die Idee kommen, einer Mietpreisbremse zu widersprechen, dann meiern wir sie ab. Wirtschaftspolitik im Sinne Ludwig Erhards ist das natürlich nicht. Aber wir leben ja in einer Welt, in der wir uns dynamisch entwickeln, ohne Blick auf die Zukunft. Es geht uns gut, und so soll es bleiben. In der Präambel des Koalitionsvertrages heißt es, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit der Politik sei wieder zu stärken, den Glauben an die Handlungsfähigkeit der Politik. Da kann ich nur sagen: Da warten wir jetzt drauf. Fangt endlich an!

Hier geht es zur Dokumentation der Preisverleihung mit Redebeiträgen und Fotos.

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