Die Digitalisierung eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten. Vernetzung und Beschleunigung lauten die Schlüsselbegriffe. Die Geschäftsmodelle der digitalen Welt lassen sich an vier volkswirtschaftlichen Schnittstellen verorten.

Die rein unternehmerische Schnittstelle (Business-to-Business) umfasst das Konzept „Industrie 4.0“, dessen Potenzial sich aus der starken Position der deutschen Industrie im globalen Wettbewerb ergibt. Deutsche Unternehmen sichern in einem Verbund aus Industrie und Dienstleistungen ihre Wettbewerbsfähigkeit. Es ist ihnen gelungen, sowohl kosteneffizient zu produzieren als auch innovative Leistungen zu kreieren. Sie sind verflochten in Vorleistungs-, Produktions- und Dienstleistungsnetze, was ihnen einen gewaltigen Spielraum für die flexible Bereitstellung von Leistungen verschafft, die auf die Kunden zugeschnitten sind.

Darauf kann die Industrie 4.0 aufsetzen: Durch die Verbindung der klassischen mechanisch-elektronischen Produktionsstrukturen mit Software und Informationstechnik (cyber-physische Systeme) sowie die Nutzung von Private-Cloud-Diensten wird die Wertschöpfungskette um eine Informationskette in Echtzeit ergänzt, die überdies die Nutzungsdaten der Kunden integriert. So wird es möglich, vollständig individualisierte Produkte (Losgröße 1) kosteneffizient bereitzustellen und künftige Störungen beim laufenden Betrieb dadurch zu antizipieren, dass die vielfältigen und umfangreichen Kundendaten entsprechende Wirkungszusammenhänge ermitteln lassen. Digitalisierung eröffnet hier ungeahnte Spezialisierungsvorteile.

Ein deutlich anderes Bild der Digitalisierung zeigt sich an der volkswirtschaftlichen Schnittstelle zwischen Unternehmen und Konsumenten (Business-to-Consumer). Dort dominieren die Internetfirmen aus dem Silicon Valley. Die vielen großen und kleinen Erleichterungen des täglichen Lebens, die von diesen Unternehmen bereitgestellt werden, sind weder raum- noch kulturgebunden. Ihre Marktdurchdringung beruht auf einer Standardisierung, die zwar Komplexität reduziert, den Kunden jedoch zwingt, sich an die Standards anzupassen. Eine maßgeschneiderte Differenzierung wäre beratungsintensiv und kostenträchtig, die betriebswirtschaftlichen Vorteile der Skalierung gingen verloren.

Unterschiedliche Wettbewerbsintensität

Es lohnt sich, die Unterschiede entlang dieser beiden volkswirtschaftlichen Schnittstellen zu würdigen. Die Wettbewerbsintensität der jeweiligen Märkte ist unterschiedlich. In der Industrie 4.0-Welt können sich durch die datenmäßige Integration der Kunden mit Blick auf Marktmacht problematische Abhängigkeiten ergeben. Sie entstehen beispielsweise, wenn die Übertragbarkeit der vom Kunden generierten Nutzungsdaten zu einem anderen Anbieter verhindert wird, weil bislang keine Eigentumsrechte an Maschinendaten existieren. Dafür lassen sich Verträge auf Branchenebene formulieren, die Dateneigentum und Datennutzung regeln.

Andere wettbewerbspolitische Fragen stellen sich bei den skalierungsfähigen konsumorientierten Geschäftsmodellen. Einerseits verschafft es einen Vorteil, große Datenmengen zu generieren, weil auf dieser Basis für die Kunden weitergehende Dienste oder neue Applikationen entstehen können. Andererseits herrscht in diesen häufig stark konzentrierten digitalen Märkten ein intensiver Wettbewerb schöpferischer Zerstörung, durch den die Position des Marktführers effektiv bestritten wird.

Die wettbewerbspolitische Herausforderung dieser intermediären Plattformen ergibt sich aus drei Aspekten: erstens aus der Auffächerung der Geschäftsmodelle durch die Verbindung der digitalen Dienstleistung mit Angeboten für Betriebssystem, Hardware oder Ähnliches, zweitens aus der damit einhergehenden Übertragung der Macht aus den ursprünglichen Märkten auf vor- oder nachgelagerte Märkte sowie drittens aus Regulierungsvorteilen gegenüber vergleichbaren traditionellen Anbietern (Telekommunikation, Fernsehen, Radio).

Sharing Economy als Motor gegen Abschottung

Intermediäre Plattformen spielen auch für die volkswirtschaftliche Schnittstelle in der Welt der Konsumenten (Consumer-to-Consumer) eine zentrale Rolle. Mittels der Digitalisierung lassen sich alte Ideen ökonomisch neuartig nutzen. Konsumenten arrangieren sich mit Konsumenten, indem sie temporär Nutzungsrechte übertragen oder Dienstleistungen anbieten. Aus lokalen Phänomenen wie Mitfahr- und Mitwohnzentralen wurden globale Märkte der Sharing oder Collaborative Economy.

Politisch führt die neue Qualität dieser Lösungen zu der Frage, ob und inwieweit regulatorisch ein faires Verhältnis zu den klassischen Märkten gesichert werden soll und kann. Die Sharing Economy lässt sich als Motor dafür verstehen, geltende Regeln zu überprüfen und abgeschottete Märkte zu öffnen. Sicherheitsaspekte (wie beim Mitfahren), Haftungsaspekte bei der Störung von Dritten (wie beim Mitwohnen) oder Risikoaspekte (wie bei der privaten Kreditvergabe) verlangen eine angemessene regulatorische Begleitung.

Schließlich bleibt ein Blick auf jene volkswirtschaftliche Schnittstelle, an der die Konsumenten ihrerseits mit dem Unternehmenssektor (Consumer-to-Business) in einen neuen Austausch gelangen. Gemeint ist die freiwillige oder unfreiwillige Datengenerierung durch die Nutzung der digitalen Dienste: Big Data. Die Nutzer schaffen mit ihren Transaktionen oder durch ihr Mitspielen zugleich die Grundlage für die Optimierung bestehender oder die Entwicklung neuer Geschäftsmöglichkeiten, die sich aus der Verdichtung von Nutzerprofilen, der leichteren Ermittlung von Funktionsdefekten und Störanfälligkeiten oder der Verbesserung von Diagnosemethoden ergeben.

Sofern es sich bei den Daten um persönlichkeitsrelevante Informationen handelt, ist die Kehrseite offenkundig. Die Nutzung personenbezogener Daten kann zwar über Informationsgewinne die Steuerung marktwirtschaftlicher Prozesse effizienter machen, zugleich aber Persönlichkeitsrechte substanziell berühren und die Souveränität des Einzelnen gefährden. Das Dilemma ist noch nicht aufgelöst – trotz der grundsätzlichen Regelung zum „Recht auf Vergessenwerden“ (EU-Datenschutz-Grundverordnung). Selbst mündige Bürger müssen Transparenz über die Datennutzung voraussetzen können.

Digitale Ordnungspolitik für mehr Vertrauen

Jenseits der skizzierten unterschiedlichen wettbewerbspolitischen sowie regulierungspolitischen Handlungsbedarfe an den vier Schnittstellen gilt es, eine digitale Ordnungspolitik zu entwickeln. Damit können die ordnungspolitischen Grundprinzipien des Privateigentums, der Vertragsfreiheit und der Haftung in eine Welt überführt werden, in der Datensouveränität, Datenbesitz, Datentransfer sowie Plattformmärkte zentrale ökonomische Kategorien sind. Damit entsprechende Standards wirken können, braucht es eine europäische Agenda. Es sind der Rechtsstatus von maschinenbezogenen Daten prinzipiell zu klären, die marktübergreifende Hebelung von Marktmacht zu analysieren, die Schwächung der Marktposition durch potenziellen Wettbewerb umfassender als bislang zu betrachten und schließlich die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Sozialen Marktwirtschaft zu adressieren.

Digitale Ordnungspolitik ist von grundsätzlicher Bedeutung. Durch einen konsistenten und gesellschaftlich verankerten ökonomischen Ordnungsrahmen entsteht jenes Vertrauen, das als Produktionsfaktor wirkt. Soziale Marktwirtschaft verbindet so wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialem Ausgleich und gesellschaftlichem Fortschritt. Damit das künftig gelingt, müssen die unterschiedlichen Zeitmuster und Tempi in einen Wirkungszusammenhang gebracht werden. Digitalisierung ist durch globale Vernetzung in Echtzeit ein gewaltiges Beschleunigungsprogramm. Soziale Marktwirtschaft benötigt Zeit, sofern sozialer Ausgleich als Voraussetzung für einen dynamischen wirtschaftlichen Wandel wirken soll. Der ordnungspolitische Kern – die drei genannten Grundprinzipien – muss gestärkt, der Rand flexibilisiert werden. Beschleunigter Wandel verlangt Gewissheit. Die informationelle Selbstbestimmung ist dafür von herausragender Bedeutung.

Ebenso sind Gefährdungen des öffentlichen Raums durch selbstbezügliche Gemeinschaften in den sozialen Netzen und durch bewusst einseitige und verzerrte Information ernst zu nehmen. Soziale Marktwirtschaft benötigt die Öffentlichkeit als normativ wirksame Referenz ökonomischer Verantwortung. Wenn die Gesellschaft in vielfältige, sich im Sud selbstdefinierter Wahrheiten abschottende Gemeinschaften zerfällt, dann kann diese Voraussetzung immer weniger erfüllt werden. „Die Grenzen der Gemeinschaft“ (Helmuth Plessner) wären dann erreicht. Der öffentliche Raum des kritischen, aber respektvollen Gesprächs verlöre die Kraft, Konflikte auszuhandeln und der Sache angemessene Lösungen zu finden. Insofern erweitert die digitale Transformation nicht nur unsere Informations-, Entscheidungs- und Handlungsspielräume, sondern ebenso unsere Verantwortung für den öffentlichen Raum.

Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte und leicht abgeänderte Fassung eines am 9. September 2016 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Beitrags.

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