Peter Altmaiers „Nationale Industriestrategie 2030“ wird nach hinten losgehen: Innovationen lassen sich nicht politisch verordnen. Wettbewerbsfähigkeit zeigt sich nur im Wettbewerb, nicht aber hinter dem Schutzzaun der Ministerialbürokratie. Altmaier beruft sich auf Ludwig Erhard – der mit der genau gegenteiligen Politik Deutschland zu wirtschaftlichem Wohlstand geführt hat.

Wer Schlüsselbranchen und nationale oder europäische Champions züchten will, produziert mit Steuergeld nur Rückständigkeit und Arbeitslosigkeit. Dass die politische Planung der Wirtschaftsstruktur einer freien Marktwirtschaft unterlegen ist, haben bereits die DDR und der „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW), der im sozialistischen Ostblock Spezialisierung und Arbeitsteilung koordinieren sollte, aber auch die „planification“ in Frankreich bewiesen. Dass der Staat kein guter Unternehmer ist, beweist die Deutsche Bahn, zeigt das Desaster um den Bau des Berliner Flughafens. Offenkundig ist die Berliner Politik auch nicht in der Lage, eine flächendeckende Versorgung mit schnellen Kommunikationsleitungen zu organisieren.

Nun hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am 5. Februar seine „Nationale Industriestrategie 2030“ mit „Strategischen Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik“ vorgestellt und sich für die bereits im Vorfeld losgetretene Debatte bedankt. Damit sei Wirtschaftspolitik da, wo sie hingehört: im Zentrum der Debatte. Dieser Anspruch ist lobenswert, hat das Wirtschaftsministerium doch über die Jahrzehnte an Bedeutung verloren. Kaum jemand spricht heute noch vom „ordnungspolitischen Gewissen der Bundesregierung“. Das aber gerade ist die Aufgabe des Wirtschaftsministers: für die Freiheit von Märkten und Handlungsmöglichkeiten einzutreten und deren Beschränkungen entgegenzutreten, wie sie häufig von anderen Ressorts kurzfristig eingefordert werden.

Peter Altmaier fühlt sich „verantwortlich für Deutschland und Europa“, was zu begrüßen ist. Aber wenn er Industriepolitik, Lenkung und Leitung der Wirtschaft darunter versteht, verstößt er gegen die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft und gefährdet Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand. So offen hat sich noch kein Wirtschaftsminister vom Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft abgewendet, während er sich im gleichen Atemzug als Anhänger der Marktwirtschaft und Ludwig Erhards präsentiert.

Zerstörung der Marktwirtschaft

Tragendes Argument Altmaiers bei der Vorstellung seines Vorschlags: Staat und Wirtschaft seien gemeinsam in Verantwortung und Haftung. Das ist in seiner Pauschalität nicht zu leugnen. Beide sind aber für unterschiedliche Sphären verantwortlich:

  • Der Staat – gemeint sind wohl Politik, Administration und Bürokratie – verantwortet die politischen Rahmenbedingungen. Dazu gehören zahlreiche Staatsaufgaben von Infrastruktur bis zum Bildungssystem und die damit verbundenen Ausgaben, finanziert aus Steuern und Abgaben.
  • Die Wirtschaft – hier sind sicher die Unternehmen gemeint – produzieren Waren und Dienstleistungen, die sich im Urteil der Verbraucher bewähren müssen. Grundsätzlich obliegt es in einer Marktwirtschaft dem Produzenten, was er auf den Markt bringt; genauso muss er die Konsequenzen seines Handelns oder Nichthandelns tragen, positiv wie negativ.

Unternehmen haften also für ihr unternehmerisches Risiko. Nationale und europäische Champions aber, wie sie Altmaier schützen oder schaffen will, minimieren Risiken zulasten der Zukunftsfähigkeit, treiben Kosten zulasten der Wettbewerbsfähigkeit und erhöhen die Preise zu ihrem eigenen Vorteil und zum Nachteil der Verbraucher. Erinnern wir uns an die Ursache der Finanzkrise: Banken mussten mit Milliarden und Abermilliarden gerettet werden, weil sie „too big to fail“ seien, also allein wegen ihrer Größe künstlich am Leben erhalten werden mussten, mit enormen Kosten für Wirtschaft und Steuerzahler.

Will Altmaier die Giganten auf tönernen Füßen der Zukunft jetzt selbst bauen? Das widerspräche allen Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft. Wenn er vorschlägt, einerseits grundsätzlich mit „mehr, nicht weniger Marktwirtschaft“ die deutsche und europäische Wirtschaft zukunftsfest machen zu wollen, aber andererseits industrielle Schlüsselindustrien und -unternehmen der staatlichen Lenkung unterwirft, zerstört er die Marktwirtschaft.

Innovation durch Wettbewerb!

China hat enorme wirtschaftliche Erfolge. Es aber zum Vorbild für die industriepolitische Strategie-Bildung zu nehmen heißt, die eigenen, gewaltigen Erfolge der freiheitlichen und demokratisch geprägten Sozialen Marktwirtschaft durch das brutale System einer kommunistischen Partei zu ersetzen. Ordnungspolitik im Erhard’schen Sinne und Industriepolitik nach chinesischem Staatswirtschaftsmuster können nicht miteinander in Einklang gebracht werden.

Die Zielsetzung von Peter Altmaiers Vorschlag – Wettbewerbsfähigkeit durch Innovationsfähigkeit – ist richtig. Wer aber mit lenkender Industriepolitik die „Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft bewahren“ will, verzichtet auf die innovativen Kräfte von freiem Wettbewerb und Marktwirtschaft und macht das angestrebte Ziel unerreichbar. Stattdessen zieht er einen Schutzzaun um etablierte, gefräßige Platzhirsche. Das zeigen die ersten Pressemeldungen einiger Verbände und Unternehmen, die ihr Themengebiet im Strategiepapier unterrepräsentiert sehen und ebenfalls an die Futterkrippe des Staates drängen, statt sich dem Wettbewerb zu stellen.

Die wirtschaftspolitische Auseinandersetzung mit dem Innovationsstandort Deutschland ist wichtig und dringend notwendig. Innovationen lassen sich nicht politisch verordnen; sie sind Ergebnis von findigen Unternehmen, die sich in der Marktwirtschaft bewähren müssen. Die Ludwig-Erhard-Stiftung hat an der Übersetzung von Erhards Buch „Wohlstand für Alle“ ins Chinesische mitgewirkt und die Verbreitung unterstützt. Wenn China Altmaiers Vorbild ist, dann wird die Stiftung Peter Altmaier das Werk von Ludwig Erhard überreichen, im deutschen Originaltext und chinesischer Übersetzung.

Roland Tichy ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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