Zeitungen und Zeitschriften stecken in einer tiefen Krise, seit Auflagen und Anzeigenerlöse wegbrechen. Zu dieser wirtschaftlichen Krise tritt nun eine neue dazu: der Verlust an Glaubwürdigkeit. „Lügenpresse“ skandieren Demonstranten und weigern sich, überhaupt mit Journalisten zu reden – während noch vor wenigen Wochen jeder vor die TV-Kameras drängte, um den Daheimgebliebenen zu winken. Nach einer Umfrage des Medienmagazins ZAPP vom NDR haben 63 Prozent der Deutschen wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien. Davon empfindet fast jeder Dritte die Berichterstattung als einseitig, und 18 Prozent gehen gar von bewusster Fehlinformation durch die Medien aus. Haben im April 2012 noch 40 Prozent der Befragten angegeben, großes oder sehr großes Vertrauen zu den Medien zu haben, waren es im Dezember 2014 nur noch 29 Prozent. Andere Umfragen bestätigen diese Entwicklung.

Der Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, fasst die Stimmung zusammen: „Wir reden nicht mehr mit der Politik und den Medien“, so schilderte er die Überzeugung der Dresdner Pegida-Demonstranten, „ihr hört uns doch sowieso nicht zu.“ Damit sei der „Tiefpunkt für unser politisches System erreicht“. Tatsächlich: Ohne Kommunikation und Diskussion ist das Ende eines demokratischen Systems erreicht. Was sind die Ursachen für die Krise? Dazu 7 Thesen:

These 1: Journalisten pflegen oft eine Art „Hinrichtungsjournalismus“.

Um vorgeführt zu werden, werden Menschen von Journalisten bewusst missverstanden, werden ihre Aussagen verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Das schafft Schlagzeilen, denn die Meute greift auf, was andere ihr zuwerfen. Immer mehr Menschen, denen kein Presserechtler zur Verfügung steht, wehren sich durch Schweigen dagegen. Profis wiederum umgeben sich mit Pressesprechern, Anwälten und Aufpassern, lassen sich Interviews zur Autorisierung vorlegen und schwächen problematische Aussagen ab. Umso anstrengender werden die Jagd und die Suche nach „authentischen“ Aussagen, die sich skandalisieren lassen.

These 2: Eine erfolgversprechende journalistische Methode ist „Skandalisierung“.

Häufig wird nicht mehr über Sachverhalte berichtet, sondern Missstände werden aufgedeckt, Schufte vorgeführt, Verantwortliche gesucht und angeprangert. Dies ist sicherlich auch eine Aufgabe des Journalismus, aber eben nur eine. Die Technik und Vorgehensweise dabei haben sich verselbständigt. So wurden die Bewohner der Stadt Sebnitz der Ausländerfeindlichkeit bezichtigt, die sogar zum rassistisch motivierten Mord an einem kleinen Jungen geführt haben soll – bis sich die Wahrheit anders herausstellte: Der Junge starb an Herzversagen. „Die Stadt Sebnitz hat sich von diesem medialen Rufmord zu keinem Zeitpunkt erholt“, sagt der sächsische Politiker Arnold Vaatz. „Ich kenne Menschen, die seit dieser Zeit jegliche Kommunikation nicht nur mit den Medien, sondern auch mit der Politik als Ganzes abgebrochen haben.“ Auch der Fall des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff fällt in diese Kategorie: Die Vorwürfe, die monatelang in den Medien gegen ihn erhoben wurden, fielen später in sich zusammen – nachdem er aus dem Amt gedrängt worden war.

These 3: Meinung überdeckt die Fakten.

Die klassische Trennung von Meinung und Nachricht wurde praktisch aufgehoben. Storys erhalten von vornherein einen „Spin“, eine Zuspitzung auf ein Erklärungsmodell, das häufig einem einfachen Links-rechts-Schema folgt. So werden beispielsweise Demonstranten, die sich gegen ein Flüchtlingsheim in ihrem Wohnviertel aussprechen, pauschal als „Nazis“ beschimpft oder – wie vom nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger – als „Nazis in Nadelstreifen“. Das ist eine bösartige Form der Ausgrenzung, in der die betroffenen Menschen allerdings erfahren, dass sie selbst keine Nazis sind und ihre Nachbarn auch nicht. Wer sich aber so behandelt sieht, spürt das Unrecht und verliert den Glauben ans gesendete oder gedruckte Wort. Der „Spin“ wird häufig von Politikern oder aggressiven Minderheiten vorgegeben, denen wiederum die Journalisten folgen, weil die Sichtweise als fortschrittlich oder modern gilt. Das führt dazu, dass Konflikte nicht mehr benannt werden.

Kürzlich kam in Köln folgende Durchsage in der S-Bahn: „Wenn ihnen Kinder einer ….äh, wie darf man das sagen? Wenn ihnen Kinder einer Volksgruppe Zeitungen anbieten, bitte denken sie daran: Es sind Taschendiebe.“ So weit hat „Newspeak“ schon Platz gegriffen, dass ein Lokführer nicht mehr ausspricht, was jeder weiß: Es sind minderjährige Kinder eines großen Zigeuner-Clans, die zum Klauen angestiftet werden, weil sie strafunmündig sind. Und es ist nicht Fremdenfeindlichkeit, sich dagegen zu wehren, sondern Selbstschutz. Aber die Polizei in NRW darf ja auf die ethnische Herkunft von Tätern hinweisende Merkmale nicht mehr zur Fahndung einsetzen. Das hat die Aufklärungsquoten gesenkt, das gute Gefühl der Gutmenschen optimiert und die Opfer allein gelassen. Diese gutgemeinte, aber die Wirklichkeit verschleiernde Berichterstattung nimmt zu, wenn es um gesellschaftsverändernde Themen gibt. So häufen sich Berichte, wonach von Frauen geführte Unternehmen wirtschaftlich erfolgreicher seien als von Männern geführte, wofür es allerdings keine soliden Belege gibt. Aber für die Absicht, nämlich Frauenquoten einzuführen, erscheint jede Behauptung gerechtfertigt. Der gewollte „Spin“ rechtfertigt den manipulativen Umgang mit Fakten.

These 4: Journalisten laufen Gefahr, sich zum Handlanger zu machen.

Die Droge heißt Nähe: Journalisten möchten gern den Mächtigen nahe sein, um Informationen zu erhalten. Nähe setzt aber ein Mindestmaß an Zustimmung voraus. Also teilen Journalisten den „Spin“, den Politiker den Ereignissen geben. Gerade in Berlin ist diese Nähe zu eng geworden, weil Politiker und Journalisten im Regierungsviertel tagaus, tagein aufeinander hocken. Politiker und PR-Agenturen haben gelernt, sich diese Neigung von Journalisten zunutze zu machen. So werden diese mit „Spins“ programmiert, die sie dann immer wieder aufs Neue reproduzieren.

These 5: Journalisten teilen bestimmte Werte und versuchen, diese zu transportieren – dabei entsteht ausgeprägte Einseitigkeit.

Journalisten in Deutschland verstehen sich mehrheitlich als dem linken oder grünen Spektrum zugehörig, was an sich nicht verwerflich ist. Allerdings besteht ihr Berufsethos darin, sich als „Meinungslenker“ zu verstehen; während etwa angelsächsische Journalisten sich als „Nachrichten-Geber“ sehen. Darin ähnelten unmittelbar nach der Wende westdeutsche den stalinistisch ausgebildeten ostdeutschen Kollegen, wie die Meinungsforscherin Renate Köcher empirisch belegt hat. Dies ist vermutlich eine lange Tradition, die in der lange autoritären Struktur Deutschlands begründet liegt und in der Journalisten gezwungen waren, unkritisch vorgegebene Meinungen zu transportieren. Im Ergebnis wird versucht, die Sichtweise des rot-grünen Milieus medial durchzusetzen.

These 6: Journalisten wollen in der Gruppe geachtet und geschätzt werden.

Journalisten orientieren sich an Vorbildern, denen sie nacheifern. Dadurch entsteht Gruppendruck, der verschärft wird durch die derzeitige Medienkrise. Im Schwarm fühlt sich der einzelne Fisch sicher; je näher man aufeinander rückt, umso homogener, mächtiger und einheitlicher wirkt der Schwarm – und umso bedrohlicher. Das reduziert die Gefahr für den Einzelnen, abseits zu stehen oder gar Kritik einstecken zu müssen.

These 7: Der Gruppendruck führt zum „Wolfsrudel“.

Der frühere SPD-Vorsitzende Kurt Beck fühlte sich vom „Wolfsrudel“ gejagt. Der frühere britische Premierminister Tony Blair hat den Mechanismus kurz vor seinem Rücktritt beschrieben: „Aus der Sorge, etwas zu verpassen, jagen die Medien heute, mehr als je zuvor, in einem Rudel. In diesem Modus sind sie wie ein wildes Biest, das Menschen und Reputationen einfach in Stücke reißt.“ Sicherlich gibt es weitere Gründe für den „Konformitätsdruck“ in den Köpfen der Medienmacher, wie ihn Frank-Walter Steinmeier beschrieben hat. Dazu zählt auch die Zentralisierung auf Berlin als Medienstandort. Das redaktionelle Herz vieler Regionalzeitungen schlägt nicht mehr vor Ort, also zum Beispiel in München, Hannover oder Düsseldorf, sondern in Berlin, und gleicht sich somit den Sichtweisen an, die in Berlin-Mitte zwischen Restaurant Borchardt und Café Einstein vorgefertigt werden. Evelyn Roll, langjährige Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, spricht von „freiwilliger Gleichschaltung“.

In den 1980er Jahren tauchte der Begriff von der „neuen Unübersichtlichkeit“ auf, womit die immer komplexer werdende Wirklichkeit beschrieben wurde. Es ist seither alles noch unübersichtlicher geworden – doch das wird auf eine Schwarz-weiß-Ordnung reduziert: Dafür oder dagegen? Viele Medien maßen sich die Rolle von Gesellschaftsveränderern und gesamtgesellschaftlichen Lehrmeistern an. Dabei wird übersehen, was die Menschen wirklich bewegt. Denn viele Journalisten haben sich vor den Stürmen der Medienkrise in ihre sicheren Redaktionsstuben hinter die fahl flimmernden Bildschirme zurückgezogen; von dort aus berichten sie konform das, was sie meinen, dass irgendwelche Role-Models oder Alpha-Journalisten von ihnen verlangen. Jede Abweichung wird als Gefahr abgelehnt; im Rudel jagen sie und hoffen, als Einzelne nicht identifizierbar zu sein. Zum Ausbruch aus dem Rudel fehlt der Mut, und so paddeln sie in der lauen Brühe des Gender-Mainstreaming dem eigenen Abgrund entgegen. Das Verhalten vieler meiner Kollegen erinnert an die bitterböse Parabel, die Bertolt Brecht nach dem Niederschlagen des Volksaufstands in der DDR in seinem wunderschönen Band „Buckower Elegien“ geschrieben hat: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

Die Zeitungen haben offensichtlich beschlossen, sich neue Leser zu wählen, weil ihnen die noch vorhandenen nicht klug, nicht links, nicht grün und nicht modern genug sind. Dazu passt, dass die Süddeutsche ihre Kommentarfunktion im Internet schließt und die ARD dies für die Tagesschau erwägt. Lesermeinungen sind einfach zu dumm für die Inhaber des erhobenen Zeigefingers. Alle fürchten sich vor dem Internet. Aber es ist die Verachtung der Leser, die zur Kündigung des Abos führt. Die Frage, die notorisch unbeantwortet bleibt, lautet: Wo findet man die bloß, diese neuen Leser, die sich ständig belehren und beschimpfen lassen und die demütig konsumieren, was ihnen als Schreib-Eintopf tagtäglich vorgesetzt wird?

DRUCKEN
DRUCKEN