Andreas Mundt
Präsident des Bundeskartellamtes

In Europa und Deutschland ist eine intensive Debatte darüber im Gange, wie europäische Unternehmen in Zeiten der Globalisierung wettbewerbsfähig bleiben und sich gegen eine wachsende Konkurrenz aus Asien und den USA behaupten können.

Die Untersagung des Zusammenschlusses zwischen Siemens und Alstom hat zeitweise die Wettbewerbspolitik ins Zentrum der Diskussion gerückt. Der Prüfungsansatz der EU-Kommission wurde als „technisch richtig“, aber „falsch für Europa“ bezeichnet. Mit dem französisch-deutschen Manifest für eine europäische Industriepolitik1Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) & Ministère de l’Économie et des Finances (MINEFI), A Franco-German Manifesto for a European industrial policy fit for the 21st Century. 19. Februar 2019, verfügbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/F/franco-german-manifesto-for-a-european-industrial-policy.html. sowie der deutschen Industriestrategie 20302Vgl. OECD (2009), Competition Policy, Industrial Policy and National Champions, DAF/COMP/GF(2009)9, verfügbar unter: https://www.oecd.org/daf/competition/44548025.pdf. wurden zwei Vorstöße veröffentlicht, die unter anderem die Frage aufwerfen, ob Zusammenschlüsse zur Bildung wie auch immer definierter „europäischer Champions“ erleichtert werden sollten. Vorgeschlagen wird beispielsweise, langfristige weltweite Marktentwicklungen bei der wettbewerbsrechtlichen Prüfung noch stärker als bisher zu berücksichtigen oder eine europäische „Ministerratserlaubnis“ einzuführen, um Fusionen, die den Wettbewerb beschränken, gleichwohl aufgrund industriepolitischer Überlegungen zuzulassen.

Die industrie- und handelspolitische Debatte um die Verbesserung der Erfolgschancen von Unternehmen, die sich durch Qualität, Innovation und attraktive Preise weltweit und in Europa im Wettbewerb hervortun, zielt in eine gute Richtung, aber ein Aufweichen der Wettbewerbskontrolle ist nicht der richtige Weg. Die Vorschläge zur Veränderung des Fusionskontrollrechts auf europäischer Ebene beziehen die gelebte Praxis zu wenig ein. Sie begünstigen Ausnahmen von der Wettbewerbsaufsicht auch zugunsten marktmächtiger Unternehmen und werden den gewünschten Erfolg bei der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen oder einen Nachteilsausgleich für andere Wirtschaftsteilnehmer und die Verbraucher nicht ermöglichen.

Förderung europäischer Champions durch Industrie- und Handelspolitik

In der Diskussion empfiehlt sich eine Trennung der verschiedenen Argumentationsstränge. Niemand hat etwas gegen „europäische Champions“, die sich im Leistungswettbewerb weltweit durchsetzen – im Gegenteil. Eine Verbesserung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verspricht aber weitaus bessere Ergebnisse auf dem Weg zu einer starken europäischen Wirtschaft als eine Schwächung des Wettbewerbsprinzips. Selbstverständlich muss es das Ziel sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die effiziente und leistungsstarke „europäische Champions“ fördern. Insofern ist auch die angestoßene industrie- und handelspolitische Debatte nur zu begrüßen. Wir müssen Antworten darauf finden, wie wir in Europa reagieren, wenn ausländische Unternehmen mittels Staatswirtschaft, Beihilfen und Protektionismus gefördert werden und dann in direkten Wettbewerb zu den Unternehmen treten, die aus marktwirtschaftlichen Systemen heraus agieren und ohne diese staatliche Unterstützung auskommen müssen. Und wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir dafür Sorge tragen, dass innovative Ideen in Europa schneller in Geschäftsmodelle umgemünzt werden können. Hierfür müssen Industrie- , Handels- und Wettbewerbspolitik zur Förderung europäischer Unternehmen miteinander verzahnt werden.

Sinnvolle Ansätze in der Industriepolitik können zum Beispiel die Forschungs- und Projektförderung in den Bereichen Künstliche Intelligenz und disruptive Technologien sowie deren Umsetzung in innovative Produkte sein. Ein weiterer Ansatz könnte die Unterstützung von Kooperationsprojekten in Märkten sein, in denen hohe Forschungsausgaben großen Unsicherheiten oder niedrigen Stückzahlen gegenüberstehen wie beispielsweise in der Raumfahrt.

In der Handelspolitik ist die Schaffung eines „level playing field“ auf internationaler Ebene ein wichtiger Ansatz, um die europäische Wirtschaft zu stärken. Selbst ein großer „europäischer Champion“ vermag langfristig wenig gegen jene ausländische Konkurrenten auszurichten, die durch Protektionismus und vor allem Subventionen erhebliche Wettbewerbsvorteile genießen. Eine konsistente Anwendung der WTO-Regeln kann Abhilfe bringen, langfristig vielleicht auch neue Freihandelsabkommen zum Beispiel mit China. Im Übrigen ist Reziprozität im gegenseitigen Umgang von Staats- und Marktwirtschaft ein wichtiger Ansatz. So wären zum Beispiel der Ausschluss solcher Unternehmen von öffentlichen Ausschreibungen in Europa oder eine Belegung ihrer Gebote mit korrigierenden Aufschlägen denkbare Mittel, um Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen.

Änderungen des Wettbewerbsrechts sind wenig Erfolg versprechend

Das Europäische Parlament und der Rat könnten hier ein Zeichen setzen und die von der Kommission schon 2016 vorgeschlagenen Maßnahmen zur Öffnung der internationalen Beschaffungsmärkte vorantreiben. Weitere Themen sind der Schutz des Rechts am geistigen Eigentum oder ein wirksamer Schutz von im Ausland getätigten Investitionen. All dies kommt Investoren in Europa wie selbstverständlich zugute und sollte auch umgekehrt bei Investitionen europäischer Unternehmen im Ausland gewährleistet sein. Die konsequente Anwendung des Außenwirtschaftsgesetzes ist eine weitere Möglichkeit, sicherheitsrelevante europäische Unternehmen in europäischer Hand zu bewahren.

Änderungen des Wettbewerbsrechts versprechen dagegen wenig Erfolg bei der Förderung von „europäischen Champions“. Sie rühren auch schnell an Grundprinzipien der Europäischen Union, die wir nicht aufgeben dürfen. In staatlich gelenkten Volkswirtschaften werden die Unternehmen eben staatlich kontrolliert. Preise werden staatlich überwacht und zum Teil behördlich gelenkt. Protektionismus, Subventionen und politische Kontrolle tun ein Übriges, um Wettbewerbsfähigkeit außerhalb der eigenen Landesgrenzen zu sichern. In Europa hingegen stellt der Wettbewerb das maßgebliche konstitutive Prinzip der Wirtschaftsordnung dar, das unseren Wohlstand sichert. Das Wettbewerbsprinzip sichert hierzulande Innovation, Qualität, Vielfalt und niedrige Preise. Wettbewerb ist damit nicht irgendein Prinzip. Ludwig Erhard nannte das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen das „Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“. Das ist ohne Weiteres auf die europäischen Wettbewerbsregeln übertragbar.

Das Fusionskontrollrecht verhindert nur jene wenigen Zusammenschlüsse, die dem Wettbewerb nachhaltig schaden, die also infolge übermäßiger Marktmacht zu weniger Innovation, schlechteren Produkten und höheren Preisen führen. Zusammenschlüsse „europäischer“ Unternehmen unterliegen deshalb auch dem gleichen Prüfmaßstab wie jene „außereuropäischer“ Unternehmen. Das Fusionskontrollrecht erlaubt die Schaffung „europäischer Champions“, sofern diese den Wettbewerb nicht erheblich beeinträchtigen. So hat die EU-Kommission seit 1990 weit unter ein Prozent der angemeldeten Vorhaben untersagt. In Deutschland liegt die entsprechende Quote seit 1999 noch deutlich darunter. In einem rechtsstaatlichen Verfahren wird jede Entscheidung auf Basis der ermittelten Tatsachen transparent und nachvollziehbar getroffen und unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Dieser Ansatz der Wettbewerbsaufsicht stellt das für Europa volkswirtschaftlich beste Ergebnis sicher. Gleichzeitig sorgt er dafür, dass die Belange und Interessen aller in Wirtschaft und Gesellschaft fair abgewogen werden.

Gefahr einer Politisierung des Wettbewerbsrechts

Die Verfechter einer Änderung der Fusionskontrolle haben die alte Frage3 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Nationale Industriestrategie 2030. Strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Wirtschaftspolitik, 5. Februar 2019, verfügbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Industrie/nationale-industriestrategie-2030.html. neu aufgeworfen, ob ein Fusionskontrollprivileg für „europäische Champions“ geschaffen werden sollte. Es wird bemängelt, das europäische und deutsche Fusionskontrollrecht behindere Zusammenschlüsse von auf Weltmärkten agierenden europäischen Unternehmen, obwohl es starke außereuropäische Wettbewerber gebe. Deren Marktzutritt in naher Zukunft und damit verbunden die Gefährdung der Marktstellung europäischer Unternehmen würden unterschätzt beziehungsweise verkannt. Die Möglichkeit einer Erstarkung potenzieller Wettbewerber sei daher stärker zu berücksichtigen.4Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) & Ministère de l’Économie et des Finances (MINEFI), A Franco-German Manifesto for a European industrial policy fit for the 21st Century. 19. Februar 2019, verfügbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/F/franco-german-manifesto-for-a-european-industrial-policy.html, Seite 4.

Die Änderungsvorschläge tragen der Praxis des Wettbewerbsrechts nicht hinreichend Rechnung. Bei der Prüfung einer Fusion wird bereits heute berücksichtigt, ob Wettbewerber zum Beispiel aus Asien im betroffenen Markt tätig sind oder im Prognosezeitraum, das heißt in absehbarer Zukunft, tätig und die Marktmacht der Fusionsparteien begrenzen werden. Soweit fusionswillige Unternehmen eine fehlende Berücksichtigung starker außereuropäischer Wettbewerber monieren, handelt es sich mithin nicht um einen Fehler des Rechtsrahmens, sondern um eine abweichende Sachverhaltsbewertung im Einzelfall.

Es wird bemängelt, die europäischen Wettbewerbsbehörden stellten in ihren Prüfungen zu selten und zu wenig auf internationale Märkte ab; sie müssten entsprechend „angewiesen“ werden, diese vermehrt in den Blick zu nehmen.5Vgl. Délégation Socialiste Française au Parlement européen, Kommuniqué vom 6. Februar 2019, „Alstom – Siemens: il est temps de refonder la politique de la concurrence“, verfügbar unter: http://www.pervencheberes.fr/?p=12841&format=pdf. Weder rechtliche noch ökonomische Defizite sind hier in der Praxis erkennbar. Die ökonomische Abgrenzung des relevanten Marktes ist das Ergebnis umfangreicher Sachverhaltsermittlungen im Einzelfall. In der fusionskontrollrechtlichen Prüfung wird immer dann ein weltweiter Markt zugrunde gelegt, wenn es sich tatsächlich um einen weltweiten Markt handelt. Die Marktabgrenzung muss dabei empirisch erfolgen, sie kann nie „normativ“ festgelegt werden. Daher ist unklar, wie ein gesetzlicher Auftrag an die Wettbewerbsbehörden normiert werden könnte, bei der Marktabgrenzung nicht die wirtschaftliche Realität zugrunde zu legen, sondern eine wie auch immer geartete gesetzliche Fiktion.

Ebenso problematisch wäre es, die Untersagungskriterien in der Fusionskontrolle so zu verändern, dass bei der Prüfung eines Zusammenschlusses künftig nicht näher definierte „industriepolitische Erwägungen“ einbezogen werden könnten.6Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) & Ministère de l’Économie et des Finances (MINEFI), A Franco-German Manifesto for a European industrial policy fit for the 21st Century. 19. Februar 2019, verfügbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/F/franco-german-manifesto-for-a-european-industrial-policy.html, Seite 3. Diese Debatte ist nicht neu. So gab es beispielsweise im Nachgang zu der von der EU-Kommission freigegebenen Fusion von Bayer und Monsanto Vorschläge, Nachhaltigkeitskriterien in der Fusionskontrolle zu berücksichtigen. Auch wird immer mal wieder die Frage aufgeworfen, ob sich Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Klimaschutz oder Arbeitsplätze in Einzelfällen über die Fusionskontrolle sichern lassen.

Es ist unschwer erkennbar, dass all dies sehr politische Fragen sind, die bislang aus gutem Grund nicht in die fusionskontrollrechtliche Prüfung einbezogen sind. Ansonsten müsste mit einer sehr starken Politisierung des Wettbewerbsrechts im Allgemeinen und der Fusionskontrolle im Besonderen gerechnet werden. Aus gutem Grund hat sich der deutsche – und der französische – Gesetzgeber dafür entschieden, solche Fragen bei Fusionsuntersagungen durch die Behörden auf eine politische Ebene zu ziehen und der Entscheidung im Wege der Ministererlaubnis zu unterziehen. Es ist dem Wirtschaftsminister vorbehalten, eine wettbewerbsbeschränkende Fusion aufgrund überwiegender Gemeinwohlgründe oder gesamtwirtschaftlicher Vorteile zu genehmigen. Diese Sondererlaubnis sollte der Ausnahmefall bleiben.

Europäische Monopolisten führen zu Wohlstandseinbußen

Es ist mehr als fraglich, ob sich das nationale Prinzip der Ministererlaubnis ohne weiteres auf die europäische Ebene in Form einer „Ministerratserlaubnis“ übertragen ließe. Die nationale Ministererlaubnis ist eine inhaltlich gebundene Entscheidung, die strengen rechtlichen Anforderungen und einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Es ist sichergestellt, dass die Ausnahmeerlaubnis und die Gründe für ihre Erteilung in engem sachlichen Zusammenhang stehen. Die Abstimmung im Europäischen Rat findet dagegen im Rahmen eines rechtlich weniger gebundenen politischen Prozesses statt. Es ist unklar, wie eine Überprüfung der „Ministerratserlaubnis“ durch den Europäischen Gerichtshof ausgestaltet werden könnte. Eine „Ministerratserlaubnis“ liefe Gefahr, Teil der politischen Verhandlungsmasse zu werden, welche mit anderen politischen Initiativen zu Kompromisspaketen zusammengeschnürt wird. Jedenfalls wäre die Ausgestaltung eines transparenten und sachgebundenen Entscheidungsprozesses eine Herausforderung, für die noch viel Phantasie gebraucht würde.

Das nationale und europäische Wettbewerbsprinzip ist in vieler Hinsicht wohl weiter entwickelt und fortschrittlicher als sein Ruf. Selbst Größe als Voraussetzung für unternehmerischen Erfolg kann in der Fusionskontrolle schon heute berücksichtigt werden. Wenn durch eine Fusion Effizienzgewinne beispielsweise in Form von Größenvorteilen entstehen, wird dies in der Fusionsprüfung zugunsten der Fusionsparteien bereits heute einbezogen. Eine Abkehr von dieser Einzelfallprüfung durch die Einführung einer gesetzlichen Fiktion, dass fusionsbedingte Größenzuwächse immer auch zu Effizienzgewinnen beziehungsweise unternehmerischen Erfolg führen, ist somit nicht erforderlich. Wettbewerbsbehörden sind im Einzelfall auf der Grundlage des gegebenen Instrumentariums in der Lage, „Größeneffizienzen“ in die Fusionskontrollentscheidung einfließen zu lassen; immer in Abwägung mit möglichen Nachteilen, die Wettbewerber, Lieferanten oder Nachfrager durch eine Freigabe in Kauf nehmen müssten.

Europa muss den richtigen Weg zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen und seiner „europäischen Champions“ finden – von kleinen und mittleren „hidden champions“, dem Mittelstand, bis hin zu Großkonzernen. Viele handels-, industrie- und unternehmenspolitische Ansätze zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen sowie für mehr Gegenseitigkeit und gleiche Wettbewerbsbedingungen sind derzeit Gegenstand einer intensiven Diskussion, die in konkrete Handlungsvorschläge münden wird, und das ist gut so. Konkrete Schritte in der Handels- und Außenwirtschaftspolitik sind bereits angegangen worden. Viele Vorschläge zur Veränderung des Fusionskontrollrechts auf europäischer Ebene sind dagegen nur schwer umsetzbar und versprechen nicht den gewünschten Erfolg bei der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. Mit europäischen Monopolisten verhält es sich am Ende nicht anders als mit außereuropäischen: Sie führen in aller Regel zu Preissteigerungen, Ineffizienz, Trägheit, weniger Innovation, Arbeitsplatzverlusten und Wohlstandseinbußen.

Andreas Mundt ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Der Beitrag ist zuerst im ifo Schnelldienst 8/2019 erschienen.

Foto Andreas Mundt: © Bundeskartellamt

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