Am 27. Dezember 2016 ist Prof. Dr. Hans Tietmeyer im Alter von 85 Jahren verstorben. Die Ludwig-Erhard-Stiftung trauert um ein langjähriges Mitglied und eine herausragende Persönlichkeit, die sich viele Jahrzehnte für die Soziale Marktwirtschaft eingesetzt hat. In Würdigung dieser Lebensleistung veröffentlichen wir nachfolgend erneut die Laudatio, die Prof. Dr. Otto Schlecht, damaliger Vorsitzender der Stiftung, anlässlich der Verleihung der Ludwig-Erhard-Medaille für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft an Hans Tietmeyer am 20. März 2000 in Frankfurt gehalten hat.

Laudatio auf Hans Tietmeyer

Von Staatssekretär a.D. Prof. Dr. Otto Schlecht

Ludwig Erhard hatte die Medaille 1975 gestiftet. Sie ist seither an elf Persönlichkeiten verliehen worden, die sich – so steht es in der Satzung – durch beispielhafte Leistungen um das Gesamtwohl, den Bestand und die Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft verdient gemacht haben.

Die Laudatio hält traditionell der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung. Aber bei Hans Tietmeyer kommt eine Menge mehr dazu, und deshalb freue ich mich ganz besonders, lieber Herr Tietmeyer, dass ich die Verleihung begründen darf. Wir waren ein Vierteljahrhundert ein eingeschworenes Team, ein Tandem – haben Sie einmal gesagt – in Sachen Sozialer Marktwirtschaft. Vielleicht darf ich salopp sagen: Auf dem Tandem saß im BMWi ich vorne, und hinten strampelte Hans Tietmeyer, und als er Staatssekretär im Finanzministerium wurde, saß er vorn, aber er strampelte auch dann noch. Ich weiß aus ganz persönlicher Erfahrung und langjähriger Zusammenarbeit: Er ist exakt einer von denen, die Ludwig Erhard gemeint hat, als er die Medaille stiftete.

Erhard hat einmal gesagt: „Die Währung an sich ist kein Selbstzweck. Aber wir wissen doch aus bitterster Erfahrung gut genug, dass eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung sich nur auf der Grundlage einer gesunden Währung vollziehen kann.“ Meine Damen und Herren, nun weiß ich natürlich, es wäre viel sinnvoller, Eulen nach Athen zu tragen oder Wasser in den Main zu gießen, als eine so bekanntermaßen um die Währung verdiente Persönlichkeit wie Hans Tietmeyer für Verdienste um die Sicherung des Geldwertes ehren zu wollen. In seiner Funktion als Mitglied des Direktoriums und Vizepräsident und später als Präsident hat er einen konsequent stabilitätsorientierten Kurs vertreten. Jeder weiß, dass er das mit beispiellosem Erfolg in schwieriger Zeit getan hat und dass er sich dabei gegen vielerlei nationale und internationale Widerstände zum Wohle des vereinten Deutschlands und Europas durchgesetzt hat. Die großartigen Erfolge von Hans Tietmeyer wurden – die meisten von Ihnen haben das gehört – in der Feierstunde anlässlich seines Abschieds von der Deutschen Bundesbank im letzten Herbst in nicht weniger als sechs Laudationes herausgestellt, und beim anschließenden Empfang habe ich mir mindestens noch einmal so viele Laudationes anhören dürfen. Es war – wie wir alle wissen – eine sehr ein­drucksvolle Veranstaltung, und die können wir heute gar nicht überbieten. Ich möchte also in meiner heutigen Laudatio deshalb einen anderen Schwerpunkt setzen. Ich meine nämlich: Das Verständnis von Hans Tietmeyer für das Anliegen, die Idee und das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ist grundlegend für sein geldpolitisches Wirken, und nur aus diesem Verständnis heraus lässt sich sein so unzweifelhaft klares Engagement für die Geldwertstabilität verstehen. Ich muss deshalb ein wenig zurückgreifen.

Eine seiner geistigen Wurzeln liegt ohne Zweifel im münsterländischen Katholizismus und einem entsprechenden Elternhaus. Nach dem Abitur begann Hans Tietmeyer zunächst das Studium der katholischen Theologie und beschäftigte sich zudem mit christlicher Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Das bereitete schließlich das Fundament für seine Entscheidung, die den Werdegang des damals 22 Jahre alten Hans Tietmeyer bestimmen sollte. Rückblickend sagte er in einem Interview: „Ich merkte, dass das alles nicht reicht, man kann nicht nur von der sozialpolitischen Seite der Verteilung und Absicherung herkommen, man muss an die Grundlage der Ökonomie heran. Zu meiner christlichen Motivation stehe ich bis heute, nur wurde mir im Laufe der Zeit immer deutlicher, dass das soziale Engagement eine ökonomische Basis braucht. Deswegen habe ich mich in das Wirtschafts- und Finanzwesen eingearbeitet, aus diesem Grunde ging ich zum Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nach Köln.“ Dort hatte er bereits als Schüler von Alfred Müller-Armack das wissenschaftliche Konzept der Sozialen Marktwirtschaft verinnerlicht. Mit ihm hat er diese Ordnung nicht nur als Wettbewerbsordnung, sondern als umfassenden Gesellschaftsentwurf verstanden. Seine geistigen Wurzeln treffen sich in seiner Diplomarbeit bei Müller-Armack über „den Ordobegriff in der katholischen Soziallehre“. Für den Ökonomen Tietmeyer war die Verbindung von Markteffizienz und -freiheit mit sozialem Ausgleich stets auch die Versöhnung von liberalem Gedankengut mit christlicher Soziallehre.

Nun, es konnte nicht anders sein: Mit dieser Motivation musste aus Hans Tietmeyer ein überzeugter marktwirtschaftlicher Ordnungspolitiker werden. Eine klare Ordnung, die das menschliche Handeln zu einem vernünftigen Ergebnis bringt, ist notwendig, um die Welt in Gang und für nachfolgende Generationen lebensfähig zu erhalten. Er hat die Rolle des Ordnungspolitikers immer so verstanden, auf die langfristigen Folgen von Grundverstößen gegen die Wirtschaftsordnung hinzuweisen. Die Prinzipien der Marktwirtschaft – so sein Credo – müssen gegen alle organisierten Partikularinteressen durchgesetzt werden.

Hans Tietmeyer begann seine wirtschaftspolitische Karriere 1962 im wirtschaftspolitischen Grundsatzreferat des BMWi, also noch unter Ludwig Erhard. Und eine seiner ersten Aufgaben war – und ich weiß das als sein damaliger Referatsleiter – die Erarbeitung eines Vorschlags zu den Möglichkeiten einer breiten Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Ludwig Erhard hatte ja damals die Vision, die Soziale Marktwirtschaft auch zu einer „Gesellschaft von Teilhabern“ fortzuentwickeln. Leider ist dies bis heute nur unzureichend gelungen. Wir haben in diesem Referat auch das Sachverständigenratsgesetz entworfen, erste Überlegungen zu einem Stabilitätsgesetz veranstaltet und federführend die Konzentrations-Enquete betreut, die ja auch dann zur Fortentwicklung der Wettbewerbspolitik beigetragen hat.

Sie erinnern sich, Ludwig Erhard hatte dann als Bundeskanzler seine Vorstellung von der „Formierten Gesellschaft“ entwickelt. Hans Tietmeyer und ich fanden den Begriff missglückt, den Inhalt viel zu vage, aber die Grundidee ganz gut. Wir wollten ihr einen konkreten und ordnungskonformen Inhalt verschaffen und legten dem Minister Kurt Schmücker und er dann dem Kanzler ein Memorandum für die Etablierung eines regelmäßigen wirtschaftlichen und sozialen Dialogs vor. Daraus wurde dann wegen des baldigen Endes der Regierung Erhard nichts, aber Karl Schiller fand Vorarbeiten für seine Konzertierte Aktion. Auch unter dem neuen Wirtschaftsminister dauerte die fruchtbare und in der gleichen ordnungspolitischen Tradition stehende Zusammenarbeit an. Herr Tietmeyer, ich denke, wir können nicht abstreiten, dass auch wir beide dem wissenschaftlichen und politischen Zeitgeist unterlagen, den der eloquente Karl Schiller in die einprägsame Formel brachte „Synthese von Freiburger Ordnungsimperativ und Keynesianischer Botschaft“. Wir legten aber, und ich gestehe, Herr Tietmeyer mehr als ich, mehr Wert auf den ersten Teil dieser Synthese und konnten den Minister auch von einigen überzogenen Vorhaben für das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz und für die Konzertierte Aktion abbringen.

Bis zum Ende der 60er Jahre hatte sich Hans Tietmeyer auch als pointierter und kompetenter Europa- und Währungspolitiker profiliert. Folgerichtig wurde er Mitglied und Mitgestalter der sogenannten Werner-Gruppe. Sie alle wissen, dass die nach dem damaligen luxemburgischen Ministerpräsident Pierre Werner benannte Arbeitsgruppe 1970 das erste Konzept für eine Europäische Währungsunion, den Werner-Plan, entwarf. Da Hans Tietmeyer Mitglied dieser Werner-Gruppe war, müssen wir ihm heute neidlos bescheinigen: Keiner hier im Saal war so früh wie er an der Grundlegung der Europäischen Währungsunion beteiligt. Und er war nicht nur beteiligt, Hans Tietmeyer hat damals die unverzichtbaren Anforderungen an eine funktionstüchtige Währungsunion in den Werner-Plan einbringen können. Sein wesentliches Anliegen war die dreifache Parallelität, die er so formulierte: „Nur wenn die Währungsunion ökonomisch fundiert ist und funktioniert, kann sie integrations- und friedensstiftend wirken. Sie braucht ein stabiles und auf Dauer angelegtes ökonomisches und politisches Fundament.“ An dieser Überlegung von Hans Tietmeyer hat sich prinzipiell nichts geändert. Sie hat seine Position zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion geprägt und sie stellt auch heute noch die Bedingung für das Gelingen der Europäischen Währungsunion dar.

Als 1973 Hans Friderichs neuer Bundeswirtschaftsminister wurde, da waren er und ich uns absolut einig, dass Herr Tietmeyer der beste Mann ist für die Leitung der wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung im Bundeswirtschaftsministerium. Und Hans Friderichs könnte dazu eine lange und nette Story erzählen, ich darf daraus nur so viel im heutigen Zusammenhang sagen: Minister Friderichs musste auch die Zustimmung des Bundesfinanzministers Helmut Schmidt einholen. Und Helmut Schmidt grummelte: „Muss es denn unbedingt ein Christdemokrat sein?“ Herr Friderichs fragte zurück: „Herr Kollege Schmidt, wissen Sie einen Besseren?“ Antwort von Herrn Schmidt: „Nein.“ – So ist das gelaufen.

Doch Hans Tietmeyer hat sich nicht nur in Deutschland und in der Europäischen Union Meriten um die Belange der Sozialen Marktwirtschaft verdient, sondern weltweit. So war er beispielsweise Ende der 70er Jahre unter anderem Vorsitzender der OECD-Arbeitsgruppe für Strukturanpassungspolitik. Er nutzte solche Gremien, um auch auf der internationalen Ebene Verständnis für das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zu wecken und den Boden für eine konstruktive Auseinandersetzung mit ordnungspolitischen Prinzipien zu bereiten. Seine Arbeitsgruppe nannte ihr Programm – wie gesagt – „Positive Strukturanpassungspolitik“. Aber wenn der deutsche Begriff „Ordnungspolitik“ wörtlich ins Französische oder Englische übersetzt wird, dann kommt etwas Falsches heraus. Ich denke, was Sie, Herr Tietmeyer, damals gemacht haben, ist das, was wir in Deutschland eben Ordnungspolitik nennen. Und prägnant waren seine drei „Cs“, die Hans Tietmeyer in der internationalen Diskussion formulierte: credibility, continuity und consistency. So hat Hans Tietmeyer in seinem vielfältigen internationalen Wirken deutlich gemacht, dass eben Glaubwürdigkeit, Stetigkeit und Konsistenz unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik sind.

Für Hans Tietmeyer ist die Soziale Marktwirtschaft alles andere als ein fertiges System, sie ist vielmehr ein Konzept mit Prinzipien und Postulaten, die in die Wirklichkeit umgesetzt und auch an neue Gegebenheiten angepasst werden müssen. Dass dies nicht nur ein unverbindliches Lippenbekenntnis war, bewies Herr Tietmeyer 1982, als die ernsthafte Deformation der Sozialen Marktwirtschaft drohte. Damals war die wirtschaftliche Situation wegen einer teilweise verfehlten Wirtschafts- und vor allem Sozialpolitik durch stark wachsende Staatsausgaben, einen unkontrollierten Anstieg der Staatsschulden, rückläufige Investitionen sowie steigende Arbeitslosenzahlen und Inflationsraten gekennzeichnet. Der Sozialstaat war ausgeufert und gewährte zu üppige Leistungen, die die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung der Bürger erstickten. Eine Umkehr im wirtschaftspolitischen Konzept, eine Rückbesinnung auf ordnungspolitische Prinzipien war nötig geworden. Und daran war Hans Tietmeyer von Anfang an aktiv beteiligt. Die Persönlichkeit, die diese ordnungspolitische Wende politisch einleitete, Otto Graf Lambsdorff, haben wir 1998 mit dieser Medaille ausgezeichnet. Gerhard Stoltenberg hat diese Medaille im letzten Jahr erhalten. Jetzt sieht es so aus – Lambsdorff, Stoltenberg, Tietmeyer und ich als Laudator – als ob das Ganze eine Art Insider-Geschäft wäre. Aber davon kann natürlich keine Rede sein. Die Vorgänger für diese Medaille hießen Hermann Rappe und Tyll Necker.

Der Leiter der wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung, Hans Tietmeyer, war der Hauptautor des Entwurfs für das sogenannte Lambsdorff-Papier, das dann den Titel „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ trug. Hier wurden die Prinzipien von Eigenverantwortung und Subsidiarität und die Idee von einem starken Staat, der seine Handlungsfähigkeit aus der eigenen Selbstbeschränkung gewinnt, in konkrete Handlungsvorschläge gefasst. Und ich empfehle allen, dieses Papier von 1982 heute noch einmal zu lesen. Wenn man die Zahlen und Fakten aktualisiert, dann gilt das heute immer noch als ordnungspolitische Leitlinie.

Folgerichtig holte ihn dann der neue Finanzminister Gerhard Stoltenberg als Staatssekretär ins Finanzministerium. Und als enger und kompetenter Mitarbeiter von ihm, zusammen mit seinem für den Haushalt zuständigen Kollegen Obert und danach von Minister Waigel hatte der Staatssekretär Tietmeyer, zuständig für „Grundsatzfragen der Finanzpolitik, für internationale Währungspolitik, für EG-Fragen und Weltwirtschaftsgipfel“, großen Anteil an der Konsolidierung der Staatsfinanzen und der Steuerreform mit deutlichem Rückgang der Staats- und Abgabenquote. Hervorzuheben ist vor allem der couragierte neue Anlauf bei der Privatisierung von Bundesunternehmen: Veba, Viag, VW, Depfa, Salzgitter. Das war damals eine ordnungspolitische Großtat. Und bei Salzgitter hat Herr Tietmeyer durchgesetzt, dass der Erlös nicht in den Haushalt eingeht, sondern dass die „Deutsche Bundesstiftung Umwelt“ gegründet wird; davon profitiert er noch heute als Vorsitzender ihres Kuratoriums.

Zum 1. Januar 1990 ging ein Wunsch – ich darf wohl sagen Herzenswunsch – von Hans Tietmeyer in Erfüllung. Er wurde in das Direktorium der Deutschen Bundesbank berufen. Doch bevor er sich dieser Aufgabe voll und ganz widmen konnte, wurde er im März 1990 noch einmal vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl „zurückgeleast“, um einem Meilenstein in der deutschen Geschichte den richtigen Schliff zu geben: Hans Tietmeyer wurde mit den Verhandlungen über die deutsch-deutsche Währungs-, Wirt­schafts- und Sozialunion betraut. Am Ende standen der Staatsvertrag und bald danach der unumkehrbare Beitritt der fünf ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland. Und ich erwähne dies heute auch deshalb, weil dabei das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft erstmals in einem Dokument von Verfassungsrang festgeschrieben wurde. Ein Sachverhalt, den sich viele Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft jahrzehntelang gewünscht haben – Herr Tietmeyer hat geholfen, diesen Traum zu ver­wirklichen.

Er hat später einmal rückblickend gesagt, er habe bei den Verhandlungen keine Alternative zur Sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung gesehen, vor allem nicht nach der Öffnung der Grenzen. Auch ein längerer Übergangsprozess sei keine Alternative gewesen. Man hätte eine neue Mauer errichten müssen, allerdings hätte es dann keine Währungsunion gegeben. Und wörtlich fügte er hinzu: „Als ich das erkannte, kam es mir darauf an, eine Vertragskonstruktion zu finden, die nicht bei Halbheiten Schluss macht, sondern bis zum Ende geht.“

Dieses Prinzip – Aufgaben vollständig zu erledigen, nicht bei Halbheiten Schluss zu machen, sondern bis zum Ende zu gehen – zieht sich durch das gesamte Wirken von Hans Tietmeyer. An allen Stationen seiner langen Karriere hat er für eine richtig ver­standene Soziale Marktwirtschaft geworben, und er hat mitgeholfen, sie in konkrete Politik umzusetzen. Er hat die Ideale Ludwig Erhards gegen Widersacher verteidigt und Zweifler überzeugt, dass „Wohlstand für alle“ und soziale Gerechtigkeit keine Utopie sind, sondern durch konsequente Ordnungspolitik entstehen.

Und dies gilt auch für die europäische und internationale Ebene. Bereits als Abteilungsleiter im BMWi, als Staatssekretär im Finanzministerium und dann als Präsident der Deutschen Bundesbank war Hans Tietmeyer in Europa und weltweit in verschiedenen Gremien unterwegs, um für marktwirtschaftliche Ordnung und stabilitätspolitisches Handeln zu werben. In Anwesenheit unseres Freundes Jean-Claude Trichet möchte ich besonders herausstellen, dass ihm dabei die enge Kooperation mit den französischen Freunden ganz besonders am Herzen lag. Wir hatten ja bereits in den 70er Jahren einen gemeinsamen Ausschuss sogenannter Ministerstellvertreter und in den 80er Jahren die Gruppe zur Vorbereitung des deutsch-französischen Wirtschafts- und Finanzministerrates – letztere auf deutscher Seite unter dem Vorsitz von Staatssekretär Tietmeyer. Dabei gelang es, stärker, als es verbale Verschiedenheiten ausdrücken, die ordnungs- und stabilitätspolitische Annäherung zwischen beiden Ländern wesentlich voranzubringen.

Ich sagte einleitend, dass ich nicht die geld- und währungspolitischen Verdienste und Leistungen des Bundesbankpräsidenten Tietmeyer wiederholen möchte, auch nicht seine wichtige Wächterrolle beim Einhalten der Prinzipien und Kriterien der Europäischen Währungsunion. Das ist von vielen gewürdigt worden. Aber in vielen Reden und Aufsätzen hat er eben auch die „Wächterrolle der Bundesbank und des Bundesbankpräsidenten jenseits der Geldpolitik“ betont. Er hat Wegweisungen zur „Ethik wirtschaftspolitischen Handelns“ gesetzt, die „Soziale Marktwirtschaft als umfassenden Gesellschaftsentwurf“ begründet, „Soziale Marktwirtschaft und stabile Geldordnung – (als) zwei Seiten einer Medaille“ charakterisiert und „Mehr Raum für Eigenverantwortung“ postuliert. Und ich habe jetzt gerade nur ganz wenige Titel von vielen Vorträgen und Aufsätzen, die der Bundesbankpräsident in den 90er Jahren landauf und landab, europa- und weltweit behandelt hat, aneinandergereiht. Und besonders verdienstvoll finde ich, dass er seine Interpretation einer richtig verstandenen und revitalisierten Sozialen Marktwirtschaft vor kurzem in einem Buch – und dies in französischer und englischer Fassung – zusammengefasst hat und eben so durch diese Übersetzungen auch für Soziale Marktwirtschaft als Ordnungsmodell der Europäischen Union geworben hat.

Lassen Sie mich mit zwei dafür typischen Tietmeyer-Zitaten schließen: „Unser Land braucht nun (er meint im Zeitalter der Globalisierung) nicht mit seinen Traditionen zu brechen. Im Gegenteil, es sollte sich auf seine Fundamente besinnen, nämlich auf die Soziale Marktwirtschaft, zu der auch soziale Partnerschaft und soziale Korrekturen gehören. Der soziale Ausgleich ist konstitutiv. Aber es geht im Sinne der Subsidiarität um hilfreiche Sozialpolitik. Sie versucht, die Kräfte und Anstrengungen des Einzelnen zu stärken, und nicht etwa durch Vollversicherung und umfassenden staatlichen Schutz zu ersetzen… Um diese Tradition geht es heute: Mehr Eigenverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe statt mehr Staat und umfassende Versorgung.“ (Es ist ein Zitat aus einem Vortrag von 1998.) Und noch ein Zitat aus 1999: „Die Europäische Währungsunion braucht auf Dauer mehr politische Integration. Allerdings nicht in Richtung auf einen europäischen Super-Staat oder einen regulierungswütigen Interventionsstaat, sondern in Richtung auf den Staat der Sozialen Marktwirtschaft, also auf einen starken und zugleich sich selbst beschränkenden Staat.“

Nun darf ich im Namen der Ludwig-Erhard-Stiftung die Ludwig-Erhard-Medaille für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft des Jahres 2000 an Hans Tietmeyer überreichen. Der Text in der Urkunde lautet: „In Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste um die Stabilität der Deutschen Mark und die europäische und internationale Wirtschafts- und Währungspolitik sowie in Würdigung seines wirkungsvollen Engagements für die Soziale Marktwirtschaft im In- und Ausland hat die Mitgliederversammlung der Ludwig-Erhard-Stiftung beschlossen, Herrn Prof. Dr. h.c. Hans Tietmeyer die Ludwig-Erhard-Medaille für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft zu verleihen.“

Leicht gekürzte Laudatio, entnommen aus: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hg.), Ludwig-Erhard-Medaille für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft. Verleihung am 20. März 2000 an Hans Tietmeyer, Bonn 2000.

Persönliche Erinnerungen an Prof. Dr. Hans Tietmeyer von Dr. Herbert B. Schmidt, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, lesen Sie hier:

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