Inflation ist ein Wort, das die nach 1990 geborene Generation praktisch nur aus Erzählungen über vergangene Zeiten kennt. In deren Elterngeneration erinnert sich noch mancher an die Erzählungen der Großeltern über die Weltwirtschaftskrise und die Hyperinflation von 1923. Das ist nun fast 100 Jahre her und jeder hofft, dass es so schlimm nie wieder kommt. „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.“ Dazu bekannte sich der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt im Juli 1972 während des Bundestagswahlkampfes. Die Deutschen sollten Mitte der 70er Jahre dann aber beides bekommen.

In diesen Wochen nehmen die besorgten Kommentare wieder zu. Kommt die Inflation zurück? Es lohnt sich zunächst, in diesem Zusammenhang einige Fakten zu sortieren. Im September war die Inflationsrate in Deutschland mit 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat höher als in den letzten 28 Jahren. Die Gründe liegen unbestreitbar auch in den Folgen der Coronakrise. Preissenkungen, eine temporäre Mehrwertsteuerabsenkung und viele aufgesparte Konsumausgaben mussten zu höheren Preissprüngen führen. Doch ist das wirklich alles?

Die Politik der Notenbanken weltweit und die der Europäischen Zentralbank (EZB) im Besonderen haben weitere Risiken für den Ausbruch der Inflation geschaffen. Die überbordende Liquidität hat längst zu einer Inflation der Preise für Aktien, Wohneigentum oder Bodenschätze geführt. Diese Vermögenspreisinflation war bislang nicht auf die Preise für Konsumenten übergeschwappt. Jetzt kommt aber ein Anstieg der Rohstoffpreise dazu, ganz besonders für Öl und Gas, was schon sehr bald zu Preissteigerungen bei weiteren Produkten führen muss. Die gestörten globalen Lieferketten machen Waren knapp und drücken die Preise nach oben. Die Auflagen im Umweltschutz, wie etwa die CO²-Steuer bei Wohnungen und Verkehr, müssen zu einer weiteren Preissteigerung führen. Entgegen allen Erwartungen vor wenigen Monaten handelt es sich teilweise um nachhaltige Preissteigerungen, die sich in den kommenden Monaten fortsetzen könnten. Zu einem „perfekten Sturm“ fehlen jetzt einzig und allein noch Forderungen nach großen Lohnsprüngen durch die Gewerkschaften. Dann kommt die Lohn-Preisspirale in Gang und wir haben Inflation.

Um die Inflation einzudämmen, muss nun die EZB in Aktion treten. Schließlich ist es ihre Hauptaufgabe, die Preisniveaustabilität im Euroraum zu sichern. Dafür müsste sie jetzt auch die Leitzinsen erhöhen. So werden Kredite teurer, die Geldmenge knapper und die Sparer gehen nicht mehr ganz leer aus. Wenn man mit den Maßnahmen rechtzeitig beginnt, kann man so behutsam vorgehen, dass eine notwendige Abkühlung der Konjunktur zu keinen schweren Schäden bei Wachstum und Arbeitslosigkeit führt. Die Preisniveaustabilität jedenfalls stellt sich dann wieder ein. Und von stabilen Preisen profitiert die gesamte Wirtschaft und somit wir alle.

„Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“ (Ludwig Erhard, 1957)

Wo liegt jetzt also das Problem? Die EZB hält insbesondere seit der Staatsschuldenkrise die Leitzinsen auf einem extrem niedrigen Niveau. Nur diese niedrigen Zinsen und der Ankauf von Staatsanleihen klammer Staaten wie Griechenland oder Italien, ermöglichen es diesen Staaten, ihre Schulden zu bedienen. Die EZB befindet sich also in einer Zwickmühle. Denn erhöht sie die Leitzinsen, was sie eigentlich tun müsste, um die Preisniveaustabilität wieder herzustellen, kann es sehr schnell zu einem Aufflammen der Schuldenkrise führen. Und das Dilemma wird sogar noch größer, weil die Politik weiterhin die Verschuldung erhöht und damit den Spielraum der Notenbank weiter reduziert. Die Kapitalmärkte haben sich an die Anleihekäufe und die Droge Liquidität so gewöhnt, dass eine Anpassung zu erheblichem Stress führen würde.

Ludwig Erhard hat dem Schutz vor Inflation immer Priorität eingeräumt. In seinem Buch „Wohlstand für Alle“ führt er aus: „Es ist ein grandioser Irrtum, wenn ein Volk oder ein Staat glaubt, eine inflationistische Politik einleiten und betreiben, sich aber gleichzeitig gegen deren Folgen absichern zu können. Dies kommt dem Versuch gleich, sich an den eigenen Haaren hochheben zu wollen. Es gilt umgekehrt, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, eine Inflation zu verhüten und jedes schuldhafte Verhalten, das zu einer inflationistischen Entwicklung führen könnte, vor der gesamten Öffentlichkeit zu brandmarken und dadurch zu verhindern. Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“

Es wird Zeit! Die EZB muss das Risiko des Eintritts inflationärer Entwicklungen vor dem Hintergrund der Rohstoffpreise und der Kosten der weltweiten Dekarbonisierung neu bewerten. Die Flutung der Märkte mit Liquidität muss geordnet beendet werden, wie das ja in den USA schon geplant ist. Die neue Bundesregierung muss eine verbindliche Erklärung zur wirksamen Einhaltung der Schuldenbremse abgeben und zugleich jede Preistreiberei durch Steuererhöhungen unterlassen. Die Bürger in Deutschland müssen einen Ausgleich für die erhöhten Kosten der Klimaschutz-Maßnahmen erhalten. Dies ist bei deutlich höheren CO²-Preisen möglich, wie der Sachverständigenrat schon 2019 nachgewiesen hat. Mit dieser sozialen Abfederung der Klima-Kosten soll der Beginn der inflationären Lohn-Preisspirale ausgeglichen werden.

Ludwig Erhard, dessen bin ich sicher, hätte jetzt gehandelt.


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