Seit Gründung des Bundeskartellamtes im Jahr 1958 übernimmt Deutschland in Wettbewerbsfragen eine Vorreiterrolle – in Europa und weltweit. Kartellamtspräsident Andreas Mundt resümiert, dass die Mitarbeiter des Amtes echte Pionierarbeit geleistet haben. (Bild: © Schuering)

Das Grundgesetz zeichnet mit den Grundrechten der Berufsfreiheit, der Eigentumsgarantie und der Allgemeinen Handlungsfreiheit eine wettbewerbliche Ausrichtung des Wirtschaftslebens vor. Der allgemeine Rahmen des Grundgesetzes wird maßgeblich durch ein Gesetz konkretisiert, das die Basis für unsere Wirtschafts­ordnung ist: das Gesetz gegen Wett­bewerbsbeschränkungen (GWB), dessen 60. „Geburtstag“ wir im vergangenen Jahr gefeiert haben. Der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard bezeichnete dieses Gesetz als „Grundgesetz der Sozia­len Marktwirtschaft“.

Und nichts weniger als das ist es auch. Es soll sicherstellen, dass Unternehmen im Wettbewerb ste­hen und um ihre Kunden werben müssen. Kartellabsprachen, Mono­polbildung durch Fusionen und der Missbrauch von Marktmacht sind grundsätzlich verboten. Letztlich soll das GWB damit in der Wirt­schaft dafür sorgen, was das Grund­gesetz im politischen Raum schaf­fen soll: dass nicht zu viel Macht in den Händen Einzelner liegt. Der ökonomische Vordenker Franz Böhm bezeichnete Wettbewerb als das „genialste Entmachtungsins­trument der Geschichte“.

Deutschland war mit der Einfüh­rung des GWB und der Gründung des Bundeskartellamtes im Jahr 1958 ein Vorreiter in Europa. Bis heute zählt Deutschland zu den weltweit führenden Ländern in Wettbewerbsfragen, etwa wenn es darum geht, die Wettbewerbspoli­tik und das Kartellrecht fit für das digitale Zeitalter zu machen. Wie kam Deutschland zu dieser Rolle und welchen Nutzen hat dies für die deutsche Volkswirtschaft?

Kampf gegen Konzentration

Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden vonseiten der Wirtschaft, aber auch von Politik und Wissenschaft öko­nomische Machtkonzentrationen und Größe weitgehend gefördert. Nach dem Ende der Nazi­-Diktatur drängten die Alliierten darauf, dass die deutsche Wirtschaft dekartel­liert würde. Das dem modernen Kartellrecht zugrunde liegende Gedankengut hatte sich im Angloamerikanischen schon einige Jahrzehnte vorher verbreitet. Zugleich gab es auch in Deutschland Politiker und Wissenschaftler wie Ludwig Erhard, Franz Böhm oder Walter Eucken, die sich für eine Neuordnung der Wirt­schaft einsetzten.

Dass sich diese Kräfte in Deutsch­land durchsetzen würden, war keineswegs ausgemacht. Die Er­kenntnis, dass wirtschaftliche Pro­sperität nicht allein durch Größe erreicht werden kann, war in der von Versorgungsnöten geplagten Nachkriegszeit zunächst schwer zu vermitteln. Der „Spiegel“ über­schrieb 1957 einen Artikel über den Einsatz von Ludwig Erhard für das neue Gesetz mit dem Titel „Der siebenjährige Krieg“. Sowohl von­seiten der Industrie als auch in der eigenen Partei gab es gegen Erhards Pläne großen Widerstand. Die Un­ternehmerschaft war es bis dahin gewohnt, Absprachen zu treffen. Der damalige Präsident des Bundes­verbands der Deutschen Industrie (BDI), Fritz Berg, meinte gar: „Freier Wettbewerb ruiniert die freie Unter­nehmerschaft.“

Die Hauptaufgabe der 53 Mit­arbeiter, die 1958 im Bundeskar­tellamt ihre Tätigkeit aufnahmen, bestand daher zunächst darin, zu einem Sinneswandel beizutragen. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte setze sich der Wettbewerbsgedanke jedoch immer mehr durch.

Das Kartellrecht wurde fortlaufend modernisiert und ausgebaut, etwa im Jahr 1973 mit der Einführung der Fusionskontrolle. Auch dieser Änderung lag die inzwischen wissenschaftlich mehr und mehr unterfütterte Erkenntnis zugrunde, dass unternehmerische Größe viele Vorteile haben kann – etwa günstigere Produktionskosten durch Skaleneffekte –, aber zu viel Marktmacht zulasten der Kunden gehen kann. Der Missbrauch von Marktmacht war zwar ohnehin schon verboten, durch die Fusionskontrolle sollte aber auch das Erlangen zu großer Marktmacht etwa durch Aufkäufe von Wettbewerbern verhindert werden.

So wie beim Aufbau des Bundeskartellamts standen auch beim Aufbau der Fusionskontrolle die Mitarbeiter der Behörde wieder vor einer großen Herausforderung. Es gab keine Präzedenzfälle und keine Rechtsprechung zu dem neuen Aufgabengebiet und kaum inter-nationale Vorbilder, an denen man sich hätte anlehnen können. Alles musste neu erarbeitet und aufgebaut werden. Die Mitarbeiter leisteten echte Pionierarbeit.

Das deutsche Modell stieß auch international auf viel Interesse. So haben Mitarbeiter des Amts in den 1990er Jahren die Einführung der Fusionskontrollverordnung auf europäischer Ebene begleitet und hierbei viel Aufbauarbeit geleistet.

Der Erhalt wettbewerbsfördernder Marktstrukturen ist bis heute Kernbestandteil des deutschen Kartellrechts. Als Ende der 1990er-Jahre weltweit eine zunehmende Ökonomisierung des Kartellrechts einsetzte, mit der die konkreten ökonomischen Auswirkungen des verfahrensgegenständlichen Ver-haltens in den Fokus rückten, nahm das Bundeskartellamt diese neue Entwicklung auf und baute seine ökonomischen Kompetenzen aus. Zugleich hielt das Amt daran fest, die Marktmacht der betroffenen Unternehmen im Blick zu behalten. Die Skepsis, dass zu viel Macht in den Händen einzelner Akteure nicht gut sein kann, ist über all die Jahre und Jahrzehnte geblieben.

Leitplanken auch fürs Internet

Heute steht das Kartellrecht vor neuen Herausforderungen. Die Digitalisierung revolutioniert die Wirtschaft. Dies wirft neue wettbewerbsrechtliche Fragen auf. Auch hier hat das Bundeskartellamt eine Führungsrolle übernommen. Beispielsweise wurde Anfang 2015 ein Thinktank eingerichtet, in dem sich Juristen und Ökonomen mit der aktuellen Forschung zu Plattformen und Netzwerken sowie deren Über-tragbarkeit auf die kartellrechtliche Fallpraxis auseinandersetzten.

Gerade in der Internetwirtschaft kommt die Marktmachtprüfung verstärkt zum Tragen. Oft geht es beispielsweise darum, sich gegen die durch Netzwerkeffekte und Datensammlung beförderte Tendenz zu einsamen Marktführern zu stemmen und Märkte für neue Wettbewerber offenzuhalten.

Das Bundeskartellamt beschränkt sich dabei nicht auf die Veröffentlichung von Berichten und Positionspapieren, sondern hat bereits früher als viele andere Behörden zahlreiche Fälle in der Internet-wirtschaft aufgegriffen. So ging das Amt beispielsweise frühzeitig gegen Beschränkungen des Internetvertriebs durch Hersteller oder gegen die sogenannten Preisparitätsklauseln von Amazon und Hotelbuchungsportalen vor, die günstigere Preise auf anderen Plattformen verhindern.

Im Frühjahr dieses Jahres hat das Bundeskartellamt ein auch international stark beachtetes Verfahren gegen Facebook abgeschlossen. Das Verfahren gibt Antworten auf neue Fragen, die die Schnittstelle von Datenschutzrecht, kostenlosen Internetdiensten und Kartellrecht betreffen. Das Amt kam zu dem Ergebnis, dass Facebook im Bereich der sozialen Netzwerke marktbeherrschend ist und seine Marktmacht durch unangemessene Nutzungsbedingungen missbraucht. Facebook wurden daher weitreichende Beschränkungen bei der Verarbeitung von Nutzerdaten auferlegt. Da das Unternehmen Rechtsmittel eingelegt hat, wird nun das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheiden müssen.

Wie die Beispiele zeigen, hat das Bundeskartellamt im Laufe seiner mehr als 60-jährigen Geschichte bewiesen, dass es wandlungsfähig ist und sich auf neue Entwicklungen schnell einstellen kann. Für die deutsche Volkswirtschaft hat sich die konsequente Anwendung des Kartellrechts nicht als nachteilig erwiesen. Im Gegenteil: Unternehmen, die auf ihrem Heimatmarkt in intensivem Wettbewerb stehen, sind so wettbewerbsfähig, dass sie auch auf den Weltmärkten bestehen können. Die erfolgreiche Anwendung des Wettbewerbsrechts hat somit vielfältige Vorteile: Sie nutzt dem Verbraucher, sie verhindert zu hohe Machtkonzentrationen in den Händen weniger – und sie nutzt der Volkswirtschaft als Ganzes.


Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Dieser Beitrag ist zuerst im Sonderheft „Wohlstand für Alle – 70 Jahre Grundgesetz“ aus dem Jahr 2019 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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