Die Energiewende konnte nur durch staatliches Eingreifen in Gang gesetzt werden. Doch die Energiepolitik müsste viel mehr Marktwirtschaft zulassen als bislang, so Prof. Dr. Christoph M. Schmidt. Er fordert einen einheitlichen CO2-Preis über alle Sektoren, Technologien und Regionen hinweg.

Unter dem schillernden Begriff „Energiewende“ befindet sich das deutsche System der Energieversorgung in einem umfassenden Transformationsprozess. Er zielt darauf ab, bis zur Jahrhundertmitte den Einsatz fossiler Ressourcen weitgehend zu beenden, ohne jedoch die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der Energieversorgung dramatisch einzuschränken.

Dies ist nicht nur ein großes, gesamtgesellschaftliches Projekt, das – wie jede Investition – große Kosten aufwirft, lange bevor eine mögliche Rendite eingefahren werden kann. Es ist auch ein Vorhaben, das nur durch staatliches Eingreifen in Gang gesetzt werden konnte. Die Energiepolitik wäre allerdings gut beraten, bei der Energiewende viel mehr Markt zuzulassen als bislang, wenn das Projekt gelingen soll.

Misstrauen gegenüber Marktprozessen

Die Nutzung fossiler Energieträger, allen voran Kohle und Erdöl, war eng mit einer breit angelegten Verbesserung der Lebensverhältnisse seit der industriellen Revolution verbunden. Doch nun ist angesichts des drohenden Klimawandels der nächste Entwicklungsschritt erforderlich, der den Einsatz fossiler Energieträger bei der Bereitstellung von Energie weitgehend beenden würde. Die deutsche Energiewende, wird sie nicht durch Entwicklungen in anderen Teilen der Welt konterkariert, kann deshalb durchaus einen Beitrag zum globalen Bemühen darum leisten, die Erderwärmung zu begrenzen.

Nach wie vor dient das „Energiekonzept 2010“ als der gedankliche Anker der deutschen Energiewende. Darin hat sich die Bundesregierung unter anderem zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Gleichzeitig soll Energie effizient eingesetzt werden und das System der Energieversorgung weitgehend auf der Nutzung erneuerbarer Ressourcen beruhen.

Diese drei Ziele sind im Endzustand eines erfolgreich transformierten Systems miteinander kompatibel. Auf dem Weg zu diesem Endzustand dürften jedoch Zielkonflikte unvermeidlich sein. Es gehört zu den Geburtsfehlern der Energiewende, dass sie dem übergreifenden Ziel der Emissionsreduktion keine unbedingte Priorität verliehen hat.

Die deutsche Politik hat bei der Umsetzung der Energiewende darüber hinaus großes Misstrauen gegenüber Marktprozessen an den Tag gelegt. Das zentrale Instrument war bislang der subventionierte Aufbau von Stromerzeugungskapazitäten auf Basis erneuerbarer Ressourcen. Dieser nicht marktgetriebene Aufbau mutierte zum Selbstzweck. Die damit verbundenen Kosten werden durch eine Umlage finanziert, die von den Verbrauchern voraussichtlich noch viele Jahre zu tragen sein wird. Sie macht aktuell mehr als 20 Milliarden Euro im Jahr aus.

Zwei Seiten der Sektorkopplung

Zur Erreichung der Klimaziele müssten alle Sektoren einen Beitrag leisten. Der bislang im Mittelpunkt stehende Stromsektor ist lediglich für einen Teil des Endenergieverbrauchs verantwortlich. Er müsste im Sinne der aktuell viel beschworenen „Sektorkopplung“ effektiv mit den Sektoren Wärme und Mobilität verzahnt werden. Doch die Marktakteure haben nur begrenzte Anreize, dort den zunehmend aus erneuerbaren Ressourcen erzeugten Strom zu nutzen. Denn Strom wird deutlich stärker mit Steuern, Umlagen und Abgaben belastet als andere Energieträger. So ist die Bereitstellung von Wärme durch das Verfeuern von Erdgas oder Heizöl günstiger als die Stromnutzung.

Daran zeigt sich: Die Akteure des Energiesystems benötigen auch die richtigen Signale, um bei ihren dezentralen Entscheidungen die sinnvolle Verzahnung der Sektoren überhaupt erst zu erwägen. Im Zentrum der Energiewende sollte daher ein einheitlicher Preis für Treibhausgasemissionen stehen, der über Sektoren und Regionen hinweg gilt. Ein einheitlicher CO2-Preis würde emissionsarme Energieträger im Vergleich zu fossilen verbilligen und so die Defossilisierung des Energiesystems antreiben. Der Umstieg auf emissionsarme Energieträger wird dort am schnellsten umgesetzt, wo die damit verbundenen Kosten am geringsten sind.

Ein solcher Preis ließe sich durch eine Reform des Europäischen Emissionshandelssystems etablieren. Die Energiepolitik könnte die Festlegung einer absinkenden Obergrenze für Treibhausgase mit einem Mindestpreis für Emissionszertifikate kombinieren und so nicht nur den unverzichtbaren Impuls für den Umstieg setzen. Der Marktmechanismus würde zudem automatisch regeln, in welchem Sektor, mit welcher Technologie, von welchem Emittenten und in welcher Region Treibhausgase am günstigsten eingespart werden können. Angesichts der Unwägbarkeiten über technologische und wirtschaftliche Entwicklungen ließe sich so auf kleinteiliges Eingreifen verzichten und das dezentrale Wissen aller Akteure am besten nutzen.

Die Energiewende stattdessen in eine getrennt vorangetriebene Strom-, Mobilitäts- und Wärmewende einzuteilen, wie es leider häufig diskutiert wird, wäre kontraproduktiv. Denn der Staat kann keine genaue Kenntnis über künftige technologische Entwicklungen und damit über die ideale Intensität und Reihenfolge der einzelnen Transformationen haben. Marktprozesse zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass es ohne bewusst darauf abzielende Handlungen der einzelnen Akteure zu arbeitsteiligen – und damit kostengünstigeren – Lösungen kommt.

Da ein konsequent einheitlich festgelegter CO2-Preis prioritär das Ziel der Emissionsreduktion verfolgen würde, käme es automatisch zu einer Rückführung der Nutzung fossiler Energieträger. Insbesondere wäre demnach der Kohleausstieg bei der Stromerzeugung unvermeidlich. Doch die mit diesem Vorgehen verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten würden niedriger ausfallen als bei der Vorgabe eines festen Zeitpfads für den Kohleausstieg. Für den Klimaschutz ist es unerheblich, ob die Emissionen in einem einzelnen Sektor des Energiesystems zurückgeführt werden, wenn die Emissionen insgesamt wirksam abgebaut werden.

Marktbasierte Energiewende

Ebenso würde ein einheitlicher CO2-Preis dafür sorgen, dass der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz auf die volkswirtschaftlich effizienteste Weise leistet. Vor allem würde sich dezentral und entlang des Wegs entscheiden, ob es eher Verhaltensänderungen sind, also der Verzicht auf Mobilität oder die stärkere Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, die zur kostengünstigsten Emissionsvermeidung führen, oder ob dies durch den Umstieg auf elektrische Fahrzeuge oder die Verwendung emissionsärmerer Treibstoffe gelingt. Einer Festlegung eines festen Zeitpfads für den Umstieg auf die Elektromobilität wäre die Einführung eines einheitlichen CO2-Preises konzeptionell deutlich überlegen.

Ähnliche Schlussfolgerungen ergeben sich für die energetische Sanierung des Gebäudebestands. Bei einem einheitlichen CO2-Preis bliebe es dezentralen Entscheidungen überlassen, welche Rolle die Gebäudesanierung bei der Emissionsvermeidung spielt. Das dürfte allemal besser sein, als teure Subventionsprogramme zur Gebäudesanierung aufzulegen und dadurch erhebliche Mitnahmeeffekte auszulösen.

Eine Betrachtung der bisherigen Reduktion der Treibhausgasemissionen oder des Energieverbrauchs zeigt deutlich, dass das deutsche Energiesystem noch weit von den ambitionierten Zielen des „Energiekonzepts 2010“ entfernt ist. Wird die bislang so kleinteilige und planwirtschaftliche Umsetzungsstrategie nicht drastisch geändert, drohen entlang des Wegs prohibitiv hohe volkswirtschaftliche Kosten. Die technologie- und sektorspezifischen sowie regional abgegrenzten Fördermaßnahmen und Eingriffe sollten drastisch zurückgefahren werden. Im Gegenzug sollte ein einheitlicher CO2-Preis über alle Sektoren, Technologien und Regionen hinweg für eine effiziente Reduktion der Treibhausgasemissionen sorgen.

Die große Aufgabe besteht darin, schritthaltend mit den eigenen Anstrengungen sicherzustellen, dass die Staatengemeinschaft dabei mitzieht. Eine deutsche Energiewende hingegen, die lediglich zur Verlagerung der Emissionen in andere Teile der Welt führt, ist nicht sinnvoll.

Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, ist Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.


Dieser Beitrag ist zuerst in der Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – 70 Jahre Währungsreform“ aus dem Jahr 2018 erschienen. Laden Sie das gesamte Heft hier als PDF herunter. Die Print-Ausgabe kann über info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden.

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