Seit Wochen beschuldigen sich Deutsche Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer gegenseitig, nicht ernsthaft verhandeln zu wollen, unbeweglich zu sein und Streiks zu provozieren. Ein gewohntes Ritual? Ja, aber diesmal geht es bei dem Arbeitskampf auch um das grundgesetzlich festgelegte Recht auf Koalitionsfreiheit.

Nun stehen wir also wieder an den Bahnsteigen und frieren. Vielen Dank, Gewerkschaft Deutscher Lokführer, dass ihr Deutschlands Menschen und Wirtschaft in Geiselhaft nehmt. Verständnis dafür sollte keiner haben: Hier geht es nicht um legitime Kampfmaßnahmen für höhere Löhne, sondern um einen Krieg zur Pflege des eigenen Egos und der Bedeutung der Gewerkschaftsführer – und dabei droht sogar das Grundgesetz beschädigt zu werden. Grund genug, jeden Lokführer zur Rede zu stellen, ob er bei der Lokführerbande dabei ist. Und schade, dass das Bahnmanagement mal wieder seine Inkompetenz beweisen will – als ob das noch notwendig wäre.

Worum geht es?

Fünf Prozent mehr Lohn und zwei Stunden verkürzte Arbeitszeit, addieren sich auf Lohnerhöhungen von 15 Prozent. Das ist happig. Aber in Verhandlungen geht man immer mit mehr rein als raus. Lokführer verdienen zwischen 2.202 und 3.537 Euro; üppig ist das nicht. Verwerflich ist nicht so sehr diese Forderung, sondern das Kleingedruckte. Die Lokführer streiken dafür, dass ihre Mini-Gewerkschaft auch Schaffner und Bordpersonal vertreten darf. Es geht also nicht um Kohle für die Belegschaft, sondern um mehr Macht für Gewerkschaftsboss Claus Weselsky. Dieses Zugpersonal wird von einer DGB-Gewerkschaft vertreten, und das nicht schlecht. Hier wird also um Organisationsinteressen gestritten – und die Passagiere frieren. Es gehe “um einen heiligen Krieg”, nur “um das Ego zu stärken”, sagt ausgerechnet Manfred Schell – er war Vorgänger von GDL-Chef Weselsky und seinerseits ein harter Brocken.

Geiselhaft, nicht Arbeitskampf

Gerade acht Stunden Vorwarnzeit hat die GDL zwischen Ankündigung und Streikbeginn heute um 21.00 Uhr gelassen. Zu wenig, um Reisen umzubuchen, auszuweichen, oder auf das Auto umzusteigen. Im Berufsverkehr morgen früh ist das Chaos programmiert. Hier werden also Millionen von Menschen in Geiselhaft dafür genommen, dass die GDL Mitglieder unter Zugschaffnern gewinnen will. Der Schaden für die Wirtschaft geht in die Milliarden. Der Gegner ist nicht so sehr die Bahn – sondern die Bevölkerung. Das ist anders als bei einem Streik etwa in der Automobilindustrie: Ob der bestellte Wagen ein paar Tage früher oder später kommt, ist den Kunden gleichgültig, denn es gibt Mietautos und Konkurrenzangebote. Der Bahn kann man nicht entkommen. Die Straßen sind überfüllt, innerdeutsche Flüge spielen keine Rolle, die S-Bahn ist die Lebensader. Noch mal: Der Streik ist gegen die Bevölkerung gerichtet, es ist ein politischer Streik, und der ist eigentlich verboten in Deutschland.

Die Mitschuld des Bahnmanagements

Das Bahnmanagement trifft Mitschuld. Sie haben die Verhandlungen verschleppt mit dem Hinweis auf das geplante Tarifeinheitsgesetz, das Arbeitsministerin Andrea Nahles angeblich durchpauken will. Danach soll nur die jeweils größte Gewerkschaft in einer Branche oder einem Betrieb Tarifverträge aushandeln und streiken dürfen. Damit soll verhindert werden, dass verschiedene Gewerkschaften zu verschiedenen Zeiten verschiedene Forderungen durchkämpfen und durchsetzen – was etwa zur Folge hätte, dass die einen Lokführer 37 Stunden arbeiten, die anderen aber 40. Permanenter Arbeitskampf könnte so vermieden werden. Klingt vernünftig. Aber dem steht ein Grundrecht entgegen: das der Koalitionsfreiheit, also das Recht, eigene Vertretungen gründen zu dürfen. Es ist in Artikel 9 des Grundgesetzes verankert, ebenso in der EU-Menschenrechtskonvention sowie im UN-Pakt für bürgerliche und zivile Rechte. Es ist eine der Säulen der Freiheit. Wenn aber faktisch nur noch die größte Gewerkschaft zum Zuge kommt, wäre das die Garantie für die endgültige Monopolstellung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seine jeweiligen Spartengewerkschaften.

Ein Grundrecht verteidigen

Es ist das gute Recht eines jeden Arbeitnehmers, sich einer Gewerkschaft anzuschließen, die für seine Rechte eintritt – und das darf nicht einseitig auf die linken DGB-Gewerkschaften begrenzt bleiben. Manche DGB-Gewerkschaften gehen deshalb vorsichtig mit einem politischen Mandat um, etwa die IG Bergbau, Chemie, Energie. Es ist ja kein Zufall, dass sich gerade in den von Ver.di geführten Bereichen kleinere Gewerkschaften abspalten: Viele Menschen wollen Gewerkschaften, aber nicht den arroganten, staatskapitalistischen Frank Bsirske, dessen linksradikale Sprüche vielen Menschen zum Hals raushängen. Und den sie weder mit ihren Beiträgen unterstützen noch sich von ihm zwangsvertreten lassen wollen.

Auch der Beamtenbund ist mit von der Partie

Das ist das Bedenkliche an der GDL: Ihr Verhalten ist so schamlos, so gewalttätig, dass die ernsthafte Gefahr besteht, dass ein Grundrecht ausgehöhlt wird. Viele deutsche Unternehmen, insbesondere die Bahn, fordern ohnehin dieses Tarifeinheitsgesetz. Es würde ihnen kurzfristig die Verhandlungen erleichtern – aber langfristig das deutsche Sozialsystem kippen, indem es zu ständiger Spannung zwischen Gewerkschaften und Unternehmern kommt. Die DGB-Gewerkschaften würden übermächtig – und Weisheit ist keine Tugend deutscher Manager. Dabei gäbe es viele andere Möglichkeiten, der GDL entgegenzutreten.

Was jetzt zu tun ist

Die Arbeitsgerichte haben in der Vergangenheit das Streikrecht ausgeweitet, die Hürden abgesenkt. Sympathie- und Warnstreiks waren noch vor wenigen Jahren tabu, heute setzt die GDL darauf – flächendeckend, massiv, alle Bürger betreffend. Diese Erleichterungen könnten zurückgenommen und die GDL diszipliniert werden.

Es könnte ein zwangsweises Schlichtungsverfahren vor den Streik geschaltet werden – also erst verhandeln, dann streiken. In wichtigen Versorgungsbetrieben, die die gesamte Volkswirtschaft lahmlegen, könnte sogar eine zwangsweise Schlichtung erfolgen – also ein Zwang zum „einigt Euch“. Und in den USA kann ein Präsident in wichtigen Fällen den Streik für 80 Tage aussetzen.

All das sind Möglichkeiten, die zu erörtern wären. Aber wir laufen Gefahr, dass die Arroganz einiger Gewerkschaftler jetzt tatsächlich das Grundgesetzt kippt und dem DGB damit übergroße Macht verleiht – mit Andrea Nahles ist ohnehin eine gewerkschaftsnahe Politikerin an der Macht.

Und noch etwas: Die GDL ist Teil des Beamtenbundes. Beamte dürfen nicht streiken – sie lassen streiken. Vielleicht sollte man die Beamten daran erinnern, dass auch sie eine Verantwortung für wirtschaftliches Wohlergehen haben. Ihre Bezüge und Pensionen fallen nicht vom Himmel, sondern kommen von Menschen, die dafür hart arbeiten. Es sei denn, man hindert sie daran.

Dieser Artikel ist zeitgleich erschienen unter www.rolandtichy.de.

DRUCKEN
DRUCKEN