Andreas Schirmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ludwig-Erhard-Stiftung, wollte im ARD-Fernsehprogramm mehr über TTIP erfahren.

Na endlich! Am 4. August, zu einer Sendezeit – um 21:40 Uhr –, die sogar Frühaufsteher noch verkraften, würde eine 30-minütige Dokumentation des ARD-Fernsehprogramms vieles klären. Zwei WDR-Redakteure spürten dem Transatlantischen Freihandelsabkommen nach, dessen Kürzel TTIP (englisch: Transatlantic Trade and Investment Partnership) die Wogen in Deutschland derzeit hoch schlagen lässt. „Der große Deal – Geheimakte Freihandels-abkommen“ lautete der entsprechende Titel der Dokumentation.

Doch der erhoffte Erkenntnisgewinn bleibt gering, denn: Alles ist geheim! Warum die Geheimniskrämerei, das wollen die beiden Journalisten auch von Karel De Gucht, EU-Handelskommissar, wissen. Doch auf die knapp 0,05 Prozent Wachstum im Jahr an-gesprochen –TTIP soll bis 2027 allein der EU ein Wachstumsplus von 0,5 Prozent bescheren –, die von seiner in Auftrag gegebenen Studie genannt werden, bittet der EU-Kommissar mit der Frage: „Ist das die Studie, die wir bestellt haben?“ um Unterbrechung des Gesprächs. In der Fortsetzung meint er kurz angebunden, man solle nicht mit Zahlen argumentieren. Nun ja, souverän geht anders.

Hier deutet sich allerdings an, was in den Gesprächssequenzen mit Sigmar Gabriel, dem deutschen Bundeswirtschaftsminister, offenbar wird: Aufklärung – oder gar Werbung für den freien Han-del vonseiten der Politik – Fehlanzeige. So besteht Gabriel auf seinem Standpunkt, TTIP könne deutsche Regelungen nicht aushebeln. Belege dafür könne er leider nicht liefern, denn: Die Papiere seien geheim, wie es etwas später aus Presseabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums heißt.

Wie geheim ist die Lobbyarbeit für TTIP tatsächlich? Ohne Zwei-fel handelt mancher Lobbyist im Verborgenen, andere gehen mit ihren Vorstellungen offen um. Das Transatlantic Business Council, eine europäisch-amerikanische Wirtschaftsvereinigung, hat zum Beispiel seine Forderungen im Internet für jedermann sicht-bar aufgeführt. Laut Erhebung des Corporate Europe Observatory (CEO), einer lobbykritischen Nichtregierungsorganisation, waren von rund 560 Kontakten 520 Unternehmenskontakte. Als Lobby-Kontakt wertete CEO die Teilnahme an öffentlichen Konsultationen und Diskussionsforen sowie Treffen mit EU-Vertretern hinter verschlossenen Türen.

Und sonst? Andeutungen, mehr oder weniger vorsichtig formulierte Wünsche und Dementis der Unternehmens- und Verbandsvertreter. Die Dokumentation will mit zwei Beispielen – der Chemie-Industrie und den Krankenhäusern – vor allem belegen, dass und wie negativ dieses TTIP ausfallen könnte. Beispiel Chemie-Industrie: Die Lobbyisten fordern die größtmögliche Angleichung der Zulassungs-Standard. Damit könnten, so die Journalisten, amerikanische Chemikalien, deren Zulassung in den USA laxer gehandhabt würde als es in Deutschland üblich sei, künftig auf den deutschen und europäischen Markt gelangen. Die Frage, ob mit der Zulassung „amerikanischer Verhältnisse“ auch die in Amerika üblichen Schadenersatzleistungen bei Verbraucherklagen eingeführt würden, unterbleibt. Außerdem: Einerseits Anerkennung gegenseitiger Standards und andererseits deren Aufweichung – sind das nicht unterschiedliche Dinge?

Beispiel Krankenhaus: Mithilfe von TTIP könnten amerikanische Krankenhausbetreiber auch auf dem europäischen Markt aktiv werden. Doch diese Betreiber-Gesellschaften achten auf Effizienz und Kosten. Der befragte Chefarzt eines kommunalen Kranken-hauses in Nürnberg meint beim abschließenden Klinikrundgang, Gesundheit könne nicht streng ökonomisch betrachtet werden. Welche Form der Betrachtung liegt denn den in deutschen Krankenhäusern üblichen Fallpauschalen zugrunde?
Immerhin, die Dokumentation stellt nicht plakativ das berühmt-berüchtigte Chlor-Hühnchen in den Mittelpunkt, die Berichterstat-tung erfolgt differenzierter. Ein weiterer Aspekt: 2007 wurde auf dem EU-USA-Gipfel ein transatlantischer Wirtschaftsrat (TEC) gegründet, Mitglieder, Berater und sonstige Gremien inklusive. Da ist es doch lobenswert, dass schon Mitte 2014 genauer hingeschaut wird, wer worüber verhandelt. Schließlich wären von den Beschlüssen rund 508 Millionen Einwohner in 28 EU-Ländern sowie 314 Millionen Bewohner der Vereinigten Staaten von Amerika betroffen.

Beunruhigend ist, dass in der Dokumentation alle Befragten auf die eine oder andere Art spezifische Unternehmensinteressen als Allgemein-Interesse ausgeben. Dieser Aspekt wird leider nicht eingehender problematisiert. Mancher Zuschauer fragt sich auch, wie rund 380 Handelsabkommen ohne vergleichbares Rumoren zustande gekommen sind. Die EU-Kommission hat übrigens mit Datum vom 5. August der ARD-Dokumentation ihre Sicht der Dinge entgegengesetzt.

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