Von Gegnern der Gentechnik lange erbittert bekämpft, steht er nun endlich auf den Feldern, der „Goldene Reis“. Nach der Zulassung des vor 30 Jahren patentierten gentechnisch veränderten Reis haben Kleinbauern auf den Philippinen Saatgut erhalten. 2022 bauten sie nun erstmals Goldenen Reis an – auf 40 Hektar. Knapp 70 Tonnen wurden geerntet. Dieser Reis enthält genug Vitamin A, um den in Asien verbreiteten Mangelkrankheiten – vor allem Erblinden – vorzubeugen.

Die Entwicklung wurde 1992 von den Biologen Ingo Potrykus (Zürich) und Peter Beyer (Freiburg) angestoßen. Die ersten Ergebnisse wurden 2000 in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht und unter anderem Gegenstand einer Coverstory des Magazins „Time“ mit dem Titel „Dieser Reis könnte jedes Jahr Millionen Kindern das Leben retten“. Und in der Tat, darum geht es. Nach Schätzungen der WHO leiden weltweit rund 190 Millionen Kinder im Vorschulalter an Vitamin A-Mangel. Bis zu 500.000 erblinden jedes Jahr. Etwa die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb eines Jahres, weil der Vitamin-A-Mangel insbesondere bei Kindern etwa zu Blutarmut führt oder allgemein die Anfälligkeit für Infektionen erhöht.

Dass schweizer und deutsche Wissenschaftler aufgrund ihrer Forschung schon vor zwanzig Jahren den Schlüssel zu einem besseren Leben für Millionen in den Händen hatten, ist wortwörtlich ein Verdienst an der Menschheit Deshalb muss man an den ideologischen Kämpfen in der ganzen Welt gegen diesen Fortschritt in der Wissenschaft verzweifeln. Natürlich sind damit auch verpasste wirtschaftliche Chancen verbunden. Das Projekt war niemals verantwortungsloses Abenteuertum. Das Golden Rice-Projekt wurde schließlich von verschiedenen internationalen Stiftungen einschließlich der Bill und Melinda Gates-Stiftung sowie von Unternehmen unterstützt, die auf Lizenzgebühren verzichteten. Seit 2006 liegt die Federführung des Projekts in Händen des Internationalen Reisforschungsinstituts (IRRI).

Ich berichte über das Projekt als ein Beispiel, was wir alles könnten, wenn wir wollen dürften. Dabei fallen mir auch die kleinen Modul-Kernreaktoren der nächsten Generation ein, die das Potential haben, Atommüll als Energiequelle zu nutzen. Der bislang weltweit angehäufte radioaktive Abfall könnte so die gesamte Menschheit bis Ende des Jahrhunderts mit ausreichend Energie versorgen. Das hat Leslie Dewan vom in Cambridge stationierten Nuklearenergie-Start-up Transatomic Power errechnet. Die Ideen starteten schon in den 80er Jahren in Europa. Aber die Weiterentwicklung ist heute in Kanada. In Deutschland, dem ehemals weltweit führenden Kerntechnikland, verschwindet das Wissen in einem schwarzen Loch. Oder denken wir an die Verpressung von CO² in der Erde. Schon 2009 hatte die Europäische Union für die Weiterentwicklung und Anwendung dieser Technologie den Weg frei gemacht. Aber der Deutsche Bundestag beschloss ein Gesetz, nach dem jedes Bundesland für sich die Speicherung verbieten kann, was die geologisch geeigneten Regionen Niedersachsen und Schleswig-Holstein dann auch sofort taten. Damit ist wiederum die Forschung in Deutschland zum Erliegen gekommen. Das Schweizer Unternehmen Climeworks hat 2017 die erste industrielle Anlage in Betrieb genommen, die CO2 aus der Umgebungsluft filtern und verwerten kann. Sie steht in Island.

Jedes dieser Beispiele ruft auch Gegenargumente hervor, und das ist normal. In einer freiheitlich orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist allerdings die Neugierde an disruptiven Lösungen und die Bereitschaft zu kontrollierten Risiken entscheidend. Gerade für Deutschland wäre es von herausragender Bedeutung, an der wissenschaftlichen Entwicklung mit den eigenen Talenten im eigenen Land teilzunehmen. Selbst wenn nicht alles genau so Wirklichkeit würde –neue Erkenntnisse und damit Innovationen und Lösungsansätze gäbe es immer. Die Entwicklung des mRNA-Impfstoff gegen Covid hat gezeigt, dass in Deutschland die Potentiale für bahnbrechende Entwicklungen vorhanden sind. Wie sollte es auch anders sein in einem Land mit ausgezeichneten Forschungseinrichtungen und einer gut ausgebildeten Arbeitnehmerschaft. Und bei Biontech haben wir ja auch erkennen können, dass mit einer erfolgreichen Idee tausende neue Arbeitsplätze entstehen und ganze Regionen einen warmen Steuer-Regen erfahren.

In diesen Tagen gehört das Buch „Ende des Kapitalismus“ von Ulrike Herrmann bei einigen zu den vorweihnachtlichen Leseempfehlungen und steht auf Platz 1 auf der Spiegel-Bestsellerliste. Sie bietet ein apokalyptisches Zukunftsbild, verbunden mit der Ablehnung aller Ideen, die durch Freiheit, den Markt, Innovationen und Wachstum die Probleme einer groß gewordenen Weltbevölkerung lösen können. So bleibt ihr nur die desaströse und absurde Lösung: die Halbierung unseres Wohlstandes durch eine Zwangsgesellschaft in Anlehnung an die britische Kriegswirtschaft des 2.Weltkriegs.

Als in den 1930iger Jahren Wissenschaftler wie Walter Eucken, Karl Böhm und Alfred Müller-Armack zusammen über die Zukunft nachdachten und die später von Ludwig Erhard politisch umgesetzten Leitgedanken der Sozialen Marktwirtschaft entwickelten, standen sie vor einer apokalyptischen Perspektive anderer Art. Der Kontinent geriet in Brand, Menschen waren ohne Arbeit, die Freiheit wurde von Militärstiefeln zertrampelt. Ihre Vision lautete Freiheit, und ihre Überzeugung war, dass menschliche Kreativität eine friedliche Welt in Wohlstand schaffen kann.

Heute legen wir die großen technologischen Entwicklungen jedenfalls in Deutschland in engste Fesseln. Aufbruchstimmung à la Biontech ist so in anderen Bereichen praktisch ausgeschlossen und der Gedanke, die großen Herausforderungen der Welt, sei es Gesundheit, sei es Ökologie oder Ernährung, mit Erfindungen aus Deutschland zu meistern, kann gar nicht erst aufkommen.

Wir haben die falschen Gesetze, weil sie Technologien verbieten, anstatt sie zu erproben. Wir senden Botschaften der Ignoranz und politischen Verbohrtheit. Noch ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel: Der grüne Finanzminister von Baden-Württemberg hat für die Anlage der Staatsgelder des Landes (Rückstellungen für Pensionen etc.) herausgegeben, in denen nicht nur US-Staatsanleihen, sondern auch jegliche Investitionen in die grüne Gentechnik ausgeschlossen werden. Genau so geht es nicht voran!

Noch ein Nachwort. Ich rede nicht unverantwortlicher Leichtfertigkeit im Umgang mit den Risiken neuer Technologien das Wort. Aber die Notwendigkeit der grünen Gentechnik ist heute international nahezu unbestritten. Es ist noch ein Kampf deutscher Überbleibsel. Die nationalen Akademien der USA, Brasiliens, Indiens, Chinas, die UNO-Welternährungsagentur, die OECD und die WHO, auch alle deutschen Akademien inklusive der Leopoldina haben die gesundheitliche und ökologische Unbedenklichkeit der grünen Gentechnik längst festgestellt.

Es gibt trotz aller Herausforderungen keinen Grund zur Weltuntergangsstimmung. Stattdessen gibt es gute Gründe, allen Ideenreichtum und allen unternehmerischen Mut zusammenzunehmen, um die großen Herausforderungen zu bestehen. Deutschland sitzt derzeit nur auf der Zuschauertribüne. Aber wir gehören in die Mitte des Platzes. Das müsste die Botschaft vom „Goldenen Reis“ sein.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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