Der Bundesfinanzminister hat an diesem Montag in Brüssel „mit der Faust auf den Tisch gehauen“, um den weiteren Anstieg der Staatsverschuldung durch neue Regeln der EU-Kommission zu stoppen. Das war auch dringend nötig. Gerade für Deutschland ist die Garantie solider Staatsfinanzierung eine Voraussetzung für den Wechsel zur Gemeinschaftswährung gewesen. Die damals verabredete Statik ist schon lange unter Druck, denn keiner der Euro- Staaten – und Deutschland war bei den ersten! – hat die Verschuldensregeln   ernst genommen. So sind zahlreiche Mitglieder der Währungsunion heute von der Regel, nicht mehr Staatsschulden als 60 Prozent des jährlichen Volkeinkommens zuzulassen, weiter denn je davon entfernt.

Schulden sollten von den einzelnen Staaten bezahlt werden

Warum ist das eigentlich so wichtig und warum ist es zugleich umstritten? In Europa gibt es nicht die geringste Chance, einen einheitlichen Staat wie etwa die „Vereinigten Staaten von Europa“ zu gründen. Tatsache ist, die europäischen Verträge und der Binnenmarkt sind nur möglich, weil alle Politiker immer wieder versprechen, dass es diese Vereinigten Staaten auch nie geben wird. Wenn man das Entstehen der großen neuen Wirtschaftsräume wie China oder Indien sieht, kann man durchaus die Frage stellen, ob die relative Kleinstaaterei Europas wirklich die richtige Antwort ist. Aber für die erste Hälfte dieses Jahrhunderts wird sich da nichts ändern. Unter dieser Voraussetzung bleibt nationaler Egoismus legitim. Auch wir Deutsche legen ja großen Wert darauf, dass Steuer- und Haushaltsrecht vollständig national bleibt. Die wesentliche Rechtfertigung für die Begrenzung von Staatsschulden der einzelnen Staaten ist die Tatsache, dass wir zum Schluss alle gemeinsam vom Wert des Euro abhängen und deshalb in beachtlicher Weise zusammen für ihn haften. Ohne den Euro wäre unser Platz in der ersten Reihe der künftigen Wirtschaftsräume unmöglich, aber das hat auch den Preis, dass Fehler in einzelnen Staaten von allen ausgebadet werden müssen. Und genau deshalb sind die Regeln über die Schulden der einzelnen Staaten unverzichtbar.

Über die Frage, ob Schulden hilfreich oder schädlich sind, gibt es eine endlose Debatte. Man konnte Deutschland nach dem Krieg ohne Schulden wieder aufbauen, erst dann brachen die Dämme staatlicher Wohlstandsfinanzierung. Heute werden alleine 25 Prozent des Bundeshaushalts für den Zuschuss der Rentenkasse gebraucht: Das mindert den Spielraum für Infrastruktur und Bildung. Also schreibt man vieles gerne auf die Rechnung unserer Kinder und macht Schulden. Durch die Schuldenbremse haben wir uns in Deutschland erfolgreich selbst Fesseln angelegt, die in großen Ländern wie Italien oder Frankreich keine Nachahmung finden.

Deutsche sind bei Schulden besonders sensibel

Die Sorge vor zu hohen Schulden ist eine deutsche Eigenheit. Aber selbst bei uns wird sie keineswegs von allen geteilt, und gerade die Parteien, die den Staat in einer umfassenden fürsorgenden Rolle für alle Bürger und für alle Probleme sehen, rufen immer wieder nach mehr Geld, und zwar sofort. Aber die Verfassung ist klar.

In anderen europäischen Ländern versprechen Politiker ihrer Bevölkerung, mehr Geld auszugeben, auch wenn man es gerade nicht hat und deshalb Schulden machen muss. Dieser Egoismus anderer Staaten, so gern er auch dort von der Bevölkerung gesehen werden mag, darf nicht auf unsere oder die Kosten stabilitätsorientierter Staaten gehen. Auch in Zukunft werden wir bei uns sparsam mit Geld für Bildung, Infrastruktur und auch Sozialleistungen umgehen müssen und können viele Wünsche und Programme nicht erfüllen. Da das von Bundeskanzler Scholz abgegebene Versprechen, die dramatisch höheren Kosten der Verteidigung unserer Freiheit würden keine Einschränkungen bei den Sozialleistungen haben, wahrscheinlich nicht gehalten werden kann, wird diese Sparsamkeit noch schmerzhaft werden. Dass wir dann gleichzeitig große Risiken für die Stabilität unserer Währung durch die Bereitschaft zur Verschuldung in anderen Ländern hinnehmen sollen, ist falsch. Viele Menschen finden das zu Recht nicht erträglich.

12 von 20 Mitgliedsstaaten der Eurozone sind mit deutlich mehr als dem Betrag von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet und verstoßen damit schon gegen eines der Maastricht-Kriterien. Nach den Vorschlägen der EU-Kommission sollen diese Kriterien in Zukunft zwischen der Kommission und jedem Land einzeln verhandelt werden. Es sollen auch nicht mehr die Haushalte einzelner Jahre, sondern ein Abschnitt von drei bis vier Jahren zum Maßstab gemacht werden. Immerhin soll wenigstens bei neuen Schulden von mehr als drei Prozent in einem Jahr weiterhin ein förmliches Verfahren eröffnet werden. Dieses Paket an Vorschlägen hat keine Zustimmung aus Deutschland. Als die Kommission sie jetzt schon anwenden wollte und damit Fakten gegen die deutsche Position – die ja auch von einer Reihe anderer Staaten geteilt wird – schaffen wollte, kam es zu Lindners Stopp-Signal.

Europäische Gemeinschaftsschulden sind nicht der richtige Weg

Wir sollten nicht vergessen, dass es zusätzlich zu den Risiken der Überschuldung der einzelnen Staaten auch noch einen Konflikt um Gemeinschaftsschulden in Europa gibt. Auch da wäre Deutschland bei der Haftung ganz vorne dabei. Lange Zeit wurden diese Schulden Euro-Bonds genannt und es gab keine Mehrheit in Europa dafür. Aber das ändert sich schleichend: 2020 gab es erstmals den EU-Beschluss, über den „Next Generation EU Fonds“ eine direkte Schuldenaufnahme von über 800 Milliarden Euro zu ermöglichen. Im Mai 2022 kam es zu einem Versuch der EU-Kommission, Kredite aufzunehmen, um die Hilfen für die Ukraine zu finanzieren. Im Oktober 2022 kam der Vorschlag, die EU solle sich verschulden, um die Gaskäufe der Bürger Europas zu finanzieren. Und nun fordert man in Brüssel neue EU-Schulden, um einen Subventionswettlauf mit den USA zu bestehen.

Der Euro und die Staatsschulden bleiben auch in Zukunft ein heikles Thema. Italien und Frankreich, aber auch Spanien und kleinere Länder wollen den Frieden im eigenen Land mit mehr Schulden erkaufen, bei uns wird es nur friedlich bleiben, wenn wir nicht die Schuldenberge der anderen mit bezahlen müssen. Der Bundesfinanzminister, aber auch die ganze Bundesregierung, sind gut beraten, mit Härte in den Konflikt einzusteigen. Gerade im Zusammenhang mit der sehr lockeren Haltung der EZB gegenüber der Staatsfinanzierung, mit der die Vernunft und das Wissen der Kapitalmärkte nicht mehr genutzt werden, um die wahren Risiken transparent im Preis der Staatsschulden abzubilden, kann es keine substanzielle Lockerung bei den Regeln der Staatsverschuldung geben. Man mag sich auf besser handhabbare Kriterien verständigen und auf einen effizienteren Prozess. Aber alle müssen akzeptieren, dass es gemeinsame Regeln sind, die die Freiheit der einzelnen Länder durchaus schmerzhaft begrenzen. Das ist Teil der Geschäftsgrundlage für den Euro und damit für Europas Platz in der globalen Wirtschaft. Lindners Klarheit bleibt dafür zentral!


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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