In diesen Tagen steht für viele Beobachter die Weltklimakonferenz in Glasgow im Mittelpunkt. Sie schiebt die aktuellen Koalitionsverhandlungen etwas in den Hintergrund. Für kurze Zeit ist das auch richtig, denn verbunden mit der Annahme, dass Deutschland das Pariser Klimaabkommen erfüllen will, werden in Schottland gerade existenzielle Fragen erörtert.

Dabei meine ich keineswegs die Frage, ob wir eine durchschnittliche Erwärmung der Erde auf unter 2 Grad anstreben. Ich meine, dass die unterschiedlichsten Annahmen, die zur Entwicklung der Klimastrategie aus deutscher Sicht getroffen wurden, beachtliche Risiken und Herausforderungen für die deutsche Politik bedeuten und allesamt derzeit in den Entwürfen eines Koalitionsvertrages behandelt werden. Peer Steinbrück hat zu Beginn der schwierigen Koalitionsverhandlungen im Jahr 2005 gesagt: „Zuerst müssen wir uns ehrlich machen“. Dazu einige Bemerkungen.

Es gibt kleine Schritte in die richtige Richtung, etwa bei der Vermeidung von Methan oder dem Ende der Waldrodung. Aber nach der Konferenz von Glasgow besteht wenig bis keine realistische Hoffnung, dass Länder wie China, Indien oder die USA die erwarteten Zusagen von Paris einhalten. Sanktionen dagegen sind in dem Abkommen ausdrücklich nicht vorgesehen. Das durch das Bundesverfassungsgericht zum Gesetz erhobene Einsparungsziel von 5,7 Gigatonnen CO² ist in diesem Zusammenhang weltweit ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn dies die wirkliche Lage ist, müssen Anreize und Subventionen zwischen Klimaschutz und Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen schwierigere Klimabedingungen ausgeglichen aufgeteilt werden; und eine einseitige Investition in CO²-Reduktion ist im Interesse unserer Kinder ein Fehler.

Der deutsche Weg des aggressiven Ausstiegs ist von niemandem in der Welt kopiert worden. Ausdrücklich auch nicht in Europa! Ob man es für richtig oder falsch hält, Deutschland wird kurzfristig nicht zur Kernenergie zurückkehren. Aber Kernenergie wird für ganz Europa ein Rückgrat der CO²-Reduzierung werden, inklusive neuer Kernkraftwerke. Deutschland muss sich in einen europäischen Strommarkt so integrieren, dass es von diesem Potential an stabiler Grundlast profitieren kann. Das gilt auch und gerade für die Wasserstoffproduktion. Jede Ressource muss kurzfristig genutzt werden, um Wasserstoff zu produzieren und eine darauf basierende Energieversorgung der Industrie sicher zu stellen. Natürlich müssen wir Wasserstoff langfristig grün produzieren, aber darauf können und dürfen wir nicht warten.

CO² muss nicht in der Atmosphäre landen. Man kann diesen Stoff abtrennen, speichern und nutzen oder abtrennen und so in der Erde verpressen, dass er natürlicher Bestandteil des Gesteins wird. Zu glauben, man könne den Ausstoß von CO² auf Null reduzieren, ist eine Illusion. Abtrennung und Verwertung muss ein Industriezweig werden. Theoretisch kann man das Gas auch nachträglich wieder aus der Luft herausholen. Die deutsche Politik hat bisher alle Schritte zur CO²-Abspaltung verweigert. Wir planen auf der Basis „Null-Kernenergie“, „100% grüner Wasserstoff“ und „Null-CO²-Abspaltung“. Das wird nicht gutgehen.

Gleichzeitig verweigert die Politik eine ehrliche Antwort auf die wirtschaftlichen Folgen der höheren Energiepreise und verpasst Chancen zum Ausgleich. Wer die von den wenigen westlichen Regierungschefs in Glasgow gehaltenen Reden hört, merkt sofort: Es geht nur mit einem hohen Preis für CO². Der kommt zu spät und entscheidend, es dauert Jahre, bis er die volle Wirkung entfaltet. Umso mehr gilt: CO² muss teurer werden in Deutschland sicherlich über 80 Euro pro Tonne. Alle täglichen Aktivitäten werden dann teurer, vor allem Pendeln, Heizen und Produzieren. Zu behaupten, es träfe den Geldbeutel der Bürger nicht, ist eine Unwahrheit. Der kurzfristige soziale Ausgleich liegt im Wohngeld, der Pendlerpauschale und – leider – Subventionen für die produzierende Industrie. Das Geld dafür ist da, die Konzepte bisher nur in der Wissenschaft vorhanden.

Die Wohlstandsskeptiker, die glauben, mit weniger Fleisch, kälteren Wohnungen und Urlaub nur noch in der Heimat die Welt retten zu können, werden sich nicht durchsetzen. Die nicht zur Disposition stehende Aufrechterhaltung des Wohlstands und die Ermöglichung weiteren Wachstums basiert auf Elektrizität, die so schnell wie möglich und so weit wie möglich regenerativ erzeugt werden muss. Von diesem Strom wird mehr gebraucht, und er muss billiger werden. Die Versorgungslücke zu schließen, erfordert zunächst einmal auch hier die Einsicht, dass wir bis 2030 etwa 106 Gigawatt Strom benötigen, aber derzeit nur rund 80 Gigawatt gesicherte Leistung voraussagen können. Wenigstens in diesen schwierigen Zeiten den Preis senken, das könnte der Staat. Schließlich sind mehr als 50% des Strompreises staatliche Steuern und Abgaben. Das muss Bestandteil des schnellen Umsteuerns sein. Ohne die sichere Erwartung von ausreichendem und preiswertem Strom ist das ganze Gerede vom ökologischen Umbau nicht ehrlich.

Es gibt viel zu tun nach Glasgow.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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