„Daten sind das neue Öl“, sagt man. Dieses Zitat geht zurück auf einen Artikel im Economist von 2017. Auf den ersten Blick erscheint der Vergleich etwas schräg, aber das damit Ausgedrückte ist absolut nachvollziehbar. Wenn man sich an der nächsten Entwicklungsperiode der innovationsgetriebenen Wirtschaft beteiligen will, dann ist die Gewinnung und Nutzung von Daten ein entscheidender Faktor. Es gibt keinen zukunftssicheren Markt, der nicht davon abhängt, wie man Daten in möglichst kurzer Zeit übermittelt, in verantwortlicher Weise sammelt, daraus neue Ideen schöpft und wie lernende, künstliche Intelligenz zu einer neuen Dimension der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine führt.

Wenn man schaut, was sich in den letzten zwanzig Jahren im Silicon Valley getan hat, und wenn man sich vor Augen führt, dass in Taiwan rund zwei Drittel der modernsten Hochleistungschips produziert werden, muss man sich hierzulande schon Sorgen machen. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Vernetzung von Mensch und Maschine ist in Deutschland sehr weit vorangekommen. Den Wettbewerb um die Autos der Zukunft haben wir noch nicht verloren und auch wenn Taiwan nach wie vor weltweit der größte Hersteller von Halbleitern ist – ohne die Innovationen von Trumpf, Zeiss und dem Fraunhofer-Institut gäbe es gar keine Hochleistungs-Halbleiter. Theoretisch ist es also möglich, den Umgang mit Daten zu einem der so dringend benötigten Wachstumsmotoren in Deutschland zu machen. Wir tun allerdings das glatte Gegenteil.

  • Das Bundeswirtschaftsministerium legt dem Deutschen Bundestag ein „Energieeffizienzgesetz“ vor, welches vorschreibt, dass schon 2024 die Hälfte und ab 2025 der ganze benötigte Strom aus regenerativen Quellen kommen soll. Die rund 47000 Rechenzentren in Deutschland verbrauchen eineinhalbmal so viel Strom wie die Millionenstadt Hamburg inkl. Hafen und Industrie (17 Millionen Kilowattstunden/Jahr). Das sind drei Prozent des gesamten Stromverbrauchs. Angesichts solcher Zahlen stellt sich die Frage, wie man die Ziele des Energieeffizienzgesetzes verwirklichen kann Welches Risiko muten wir einer unserer wichtigsten Zukunftsindustrien zu? Wer glaubt denn ernsthaft, dass neue Rechenzentren noch in der gleichen Geschwindigkeit gebaut werden, wenn Energie in Deutschland weiterhin nicht nur teuer bleibt, sondern in grün gar nicht verfügbar ist?
  • Zu den großen Hindernissen internationaler Geschäftsaktivitäten in Deutschland und Europa gehört das faktische Verbot, europäische Daten auch in den USA verarbeiten zulassen. Unsere hyper-eifrigen Datenschutzbeauftragten haben ja lieber unsere Kinder in der Pandemie ohne schulische Betreuung belassen, als dass Zoom oder Microsoft-Teams hätten eingesetzt werden dürfen. Nun hat vor wenigen Tagen der US-Präsident mit einer Sonderverfügung Daten aus dem Ausland in den USA einem deutlich höheren Schutz unterstellt. In ganz Europa keimt die leise Hoffnung, dass der europäische Datenprotektionismus vielleicht ein Ende haben könnte und dass der Europäische Gerichtshof seine weltweite Sonderrolle in dieser Frage aufgibt. Und schon sind die deutschen Datenschützer wieder da. Der besonders eifrige baden-württembergische Datenschutzbeauftragte erklärt trotz der Sonderverfügung des US-Präsidenten: „Um Europa langfristig nicht als wichtigen Handels- und Unternehmenspartner zu verlieren, müssen sich die USA auf die Europäische Kommission und die europäischen Datenschutzgrundsätze zubewegen“. Wie sagt der Verband der deutschen Datenwirtschaft Bitkom zu Recht: „Die Be- oder gar Verhinderung von Datentransfers ist für die Unternehmen mindestens genauso gravierend wie die Unterbrechung der Lieferketten“.
  • Die deutsche Verwaltung ist bei dieser Problematik selbst das abschreckende Beispiel der Unfähigkeit. Das mutige und richtige Online-Zugangsgesetz aus dem Jahr 2017, eigens durch eine Grundgesetzänderung ermöglicht, schreibt vor, dass bis zum 31. Dezember diesen Jahres die Behörden 575 Verwaltungsleistungen anbieten müssen. Stand August 2022 können 49 (!) Leistungen vollständig abgebildet werden. Wer aus dem Ausland kommt, kann nur über alten papiergetriebenen deutschen Amtsschimmel lachen. Dabei gilt auch: Wir könnten es! Jens Spahn beschreibt in seinem sehr lesenswerten Buch über die Corona-Krise, wie er vor einigen Jahren fasziniert im Lagezentrum des Gesundheitsministerium in Abuja/ Nigeria die elektronischen Lagekarten mit Echtzeit-Darstellung von Infektionsfällen, Bereitschaft medizinischer Dienste etc. sah. Alles deutsche Produkte, die mit Steuergeldern und vom Helmholtz-Zentrum entwickelt wurden. Eine solche Perfektion würde in Deutschland schon vom Datenschutz verhindert, wie wir bei der Corona-App gelernt haben. Der Rest an Technik heißt bei uns SORMAS und müsste seit Jahren flächendeckend in der deutschen Gesundheitsverwaltung eingeführt sein. Müsste – eben.

Keine dieser Blockaden macht Sinn. Jede wäre mit einem Machtwort oder einer Richtlinienentscheidung zu beseitigen. Aber diese Themen haben keinen Anwalt. Ein nationales Digitalministerium löst bestimmt nicht alle Probleme. Aber es wäre eine Idee gewesen, endlich jemanden für diese absurden Zustände verantwortlich zu machen. Datenwirtschaft ist eine der komplexesten ökonomischen Werttreiber dieser Jahrzehnte. Die Alternativen für einen schnellen Ausgleich der wirtschaftlichen Schäden dieser Tage sind begrenzt. Eine Regierung, die die Datenwirtschaft auf Platz 1 setzt, die eine Gesetzgebung aller Maßnahmen zur Beseitigung von Hindernissen zur Aufgabe aller Ministerien macht und die eine entschlossene und glaubhafte Abwehr von Angriffen im Cyberraum aufbaut, hätte beim Wirtschaftswachstum ihre helle Freude.

Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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