An diesem Sonntag treffen sich in Berlin die Spitzen der Regierungskoalition zu einer Sitzung, in der viele Streitthemen die Tagesordnung prägen. Neben wichtigen Fragen in der Verteidigungspolitik und der wirksamen Unterstützung der Ukraine stehen vor allem die Energie- und Klimapolitik auf der Tagesordnung. Gestritten wird vor allem über den Verbrennermotor und das Thema Heizung. Man darf davon ausgehen, dass hier inzwischen nicht mehr viel zusammenläuft. Die drei Regierungsparteien haben sich offensichtlich darin getäuscht, wie weit ihre Positionen auseinanderliegen. Es spricht viel dafür, dass auch ein entscheidender Meinungsunterschied besteht, was die zeitlichen Zielsetzungen angeht. Das kann man an dem neu aufgeflammten Streit über das Ende der Kohlekraftwerke in Ostdeutschland, das die Grünen von 2038 auf 2030 vorziehen wollen, sehen.

Ziele werden ohne jeden Pragmatismus verfolgt

Dabei ist eines zu erkennen. Die Vertreter der Energiewende werden immer nervöser und unduldsamer. In Think-Tanks wie „Agora Energiewende“ werden seit einem Jahrzehnt Pläne geschmiedet, die von einer verbindlichen Zielerreichung zu einem politisch festgelegten Zeitpunkt ausgehen – koste es, was es wolle. Es wird die tatsächliche Entwicklung akribisch gemonitort und es werden permanent neue ergänzende Maßnahmen ersonnen, wenn die erwarteten Ziele nicht erreicht werden. Diese Strategie nimmt auf Befindlichkeiten der Bevölkerung, wirtschaftliche Interessen oder innovative Alternativen keine Rücksicht, sondern ersetzt mehr und mehr Anreize und Subventionen durch Zwang. Mit dem Klimaschutzgesetz in seiner aktuellen Form bekam diese Strategie, sogar auf einzelne Sektoren heruntergebrochen, eine parlamentarische Absicherung.

Nach meiner Einschätzung haben die Protagonisten dieser Strategie die Widerstandsbereitschaft einer demokratischen Bevölkerung unterschätzt. Die überwältigende Mehrheit der Bürger teilt die Zielsetzung, in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine CO²-neutrale Ökonomie anzustreben. Wahrscheinlich sind auch nicht nur die jüngeren Bürger unzufrieden mit den langsamen Fortschritten der letzten Jahrzehnte. Aber das führt nicht zur Bereitschaft, eine jakobinische Herrschaft einer bestimmten Sichtweise zu akzeptieren. Genau das aber beansprucht eine Gruppe von fanatischen Energiewende- und Klimapolitikern. Die Grünen müssen gerade erkennen, dass weder SPD noch FDP diesen Weg in aller Konsequenz mitgehen und die eigene grüne Wählerschaft auch gerade schrumpft.

Die Berufung auf die Wissenschaft erlaubt nicht alles

Viele der Protagonisten der Energiewende haben sich im sicheren Besitz der Gestaltungsmacht gewähnt, weil ja „die Wissenschaft“ hinter ihnen stehe. Doch diese Wissenschaft ringt mit sich selbst um die Frage, was realistische Ziele sind und welche Mechanismen genutzt werden können. Deshalb ist es selbstverständlich, dass die Politik ebenfalls sehr unterschiedliche Vorgehensweisen diskutiert.

Die Behauptung, dass der Verbrenner verboten werden muss, weil E-Fuels in 15 Jahren nicht ausreichend zur Verfügung stehen, ist eine Anmaßung von Wissen, keine Wissenschaft; ebenso die Behauptung, dass die Abscheidung von CO² aus der Luft kein wirtschaftliches Verfahren werden kann. Der Ausschluss der Produktion von Wasserstoff durch Kernkraft wenigstens für eine längere Übergangszeit ist ein deutscher, ideologischer Sonderweg. Diesen Hintergrund muss man im Blick haben, wenn es um eine radikale Wende bei der Gebäudeheizung geht, die angesichts des Alters des Gebäudebestandes ein massiver Eingriff in Eigentum und Zukunftsplanung ist.

Auch hier werden die Mittel des Zwang-Staates wieder als alternativlos bezeichnet. Aber das sind sie eben nicht! Der Umbau in den kommenden 15 Jahren ist notwendig und möglich. Deutlich erhöhte CO²-Preise und soziale Unterstützung, die aus diesen Einnahmen finanziert wird, können zur Lösung des Problems einen großen Beitrag leisten. Das erfundene Zwangskorsett, das wie eine Garotte (im Deutschen auch Halseisen, Würgeisen oder Würgschraube genannt) immer enger gedreht werden soll, ist der falsche Weg. Dieser ist nicht demokratiefähig, verletzt das Bild vom selbstverantwortlichen Bürger und missachtet die Potentiale marktwirtschaftlicher Kräfte.

Die Akzeptanz für Klimaschutz kann verloren gehen

Genau an dieser Stelle sind wir jetzt mit dem, was die Boulevard-Presse als Habecks „Heizungshammer“ bezeichnet. Veronika Grimm aus der Runde der fünf Wirtschaftsweisen äußerte sich kürzlich im Handelsblatt folgendermaßen: „Das, was vorgeschlagen wird, ist aber eben kein nachhaltiger Klimaschutz. Wir sehen jetzt schon, dass sich unzählige Haushalte noch schnell eine neue Gasheizung einbauen wollen. Das bindet die knappen Fachkräfte – zur Unzeit. Viele können aufgrund der Gebäudestruktur eine Wärmepumpe gar nicht so einfach installieren, andere können sich das nicht leisten. Das kostet in der Bevölkerung Akzeptanz für Klimaschutz.“ Und weiter sagte sie in dem sehr lesenswerten Interview: „Es wäre klüger, die Einführung des Emissionshandels in den Sektoren Wärme und Verkehr vorzuziehen – wenn möglich schon auf 2024 – und so die nötigen Emissionsreduktionspfade bis 2030 durchzusetzen. Es wäre klar, dass die Preise fossiler Energieträger anziehen, der Anreiz, alte Heizungen auszutauschen, wäre groß. Wenn man etwas Flexibilität zulässt, bliebe aber ein größerer Optionenraum erhalten.“ Genau da liegt der Unterschied zwischen Ideologie und pragmatischer Problemlösung im Rahmen unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Wir werden sehen, welchen Weg die Koalitionäre am Sonntag einschlagen. Es ist eine Richtungsentscheidung.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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