Vor Jahren schon wurden Daten als der „Rohstoff des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Wer heute meint, im Internet gäbe es etwas kostenlos, ist allenfalls naiv. Die großen Tech-Unternehmen haben sich nicht nur deshalb längst an die Spitze aller Börsen-Indizes gestellt. Das Internet ist schließlich das globale Nervennetz der Wirtschaft geworden.

Doch dieser digitalen Welt fehlt es noch an Ordnung. Zwar wissen wir, dass Märkte, wenn sie funktionieren sollen, eines klaren Rahmens bedürfen. In der Europäischen Union sehen wir diesbezüglich gerade in diesen Tagen neue Gesetze und Verordnungen. Aber mit diesen oft sehr bürokratischen Regelungen à la Datenschutz-Grundverordnung werden zentrale Fragen nicht präzise beantwortet. Die wichtigste lautet: Wer ist Eigentümer der Daten? Eigentum soll Verfügungsmacht begründen. Eigentum soll Märkte individualisieren und jeden Einzelnen souverän machen. „König Kunde“ war ein Begriff aus der analogen Welt. Ist er auf die digitale Welt übertragbar?

In diesen Tagen werden mit Elon Musks Absicht, den Messenger-Dienst Twitter zu kaufen, die oft umgangenen Probleme unter das Brennglas gelegt. Wenn Musks Plan gelingt, hat er, ohne die Eigentumsfrage jemals zu klären, Verfügungsmacht – und zwar alleinige Verfügungsmacht – über den Datenpool von Tesla und von Twitter. Und das ist eine neue Dimension, verbunden mit der Möglichkeit, andere von jeglicher Nutzung dieses Wissens auszuschließen. Gleichzeitig bemühen sich besorgte Datenschützer, vor allem in Deutschland, den Bürgern zu verbieten, ihre Daten solchen Systemen zur Verfügung zu stellen. Dabei ignorieren sie die Eigenverantwortung jedes Einzelnen bzgl.  seiner Daten. Damit wäre die Nutzung des Rohstoffs des 21.Jahrhunderts in jedem Fall weitgehend den kreativen Kräften der breiten Masse der Individuen entzogen.

Viele Wissenschaftler, auch in Deutschland, sträuben sich, die einzelnen Datenpunkte, die jeder von uns fortwährend schafft, als persönliches Eigentum zu bewerten. Man wird auch einräumen müssen, dass mit der eigentumsgleichen Zuordnung von Daten, die sich ja dauernd verändert, beachtliche Probleme verbunden sein können. Kaufen wir ein Auto, es muss ja kein TESLA sein, schenken wir dem Hersteller viele Millionen solcher Datenpunkte. Solche persönlichen Informationen können nicht nur zur Optimierung der Fahrtstrecke, sondern auch zur Vorhersage und Bewertung unzähliger persönlichkeitsrelevanter Entscheidungsmuster genutzt werden. Eine zumindest eigentumsgleiche Verfügungsmacht müsste aber jedem Einzelnen dabei zustehen.

Machen wir uns klar, um was es geht. Die Herrscher über diese Daten können nicht nur Staus vorhersagen, schon die ersten Anzeichen von Grippe in einem Ortsteil erkennen oder mit den Daten aller Krebspatienten in schneller Zeit durch individualisierte Medizin viele Leben retten. Sie erkennen auch Wünsche und wechselnde Präferenzen für Bücher, Kinofilme und bieten darüber hinaus ganz neue Möglichkeiten der direkten Bürgerbeteiligung. Wenn wir Filme anschauen, online shoppen und mit dem Auto fahren, schaffen wir so Werte für Dritte. Sie nutzen diese Informationen für ganz andere Zwecke. Sie schließen auf unser Geschlecht, unsere Vorlieben und prognostizieren künftiges Verhalten.

Jeder mag sich fragen, ob er diese neue Welt für eine Katastrophe oder den Aufbruch in eine bessere Zeit hält. Für Vertreter einer freiheitlichen Ordnung ist dies eine persönliche, eigenverantwortliche Entscheidung, die keine staatliche Einmischung rechtfertigt. Jedes Individuum mag seine Gründe dafür haben, persönliche Daten preiszugeben oder nicht. Warum sollte mir dieses Recht verweigert werden? Der Staat darf – natürlich so lange niemand anderes beeinträchtigt und kein Gesetz verletzt wird – die freie Entscheidung des Individuums nicht willkürlich einschränken. Freie Entscheidungen setzen Eigenverantwortung voraus. Das bedeutet in diesem Fall, dass ich mit der Preisgabe meiner Daten ein Risiko eingehe, das ich eigenverantwortlich trage, etwa dass unter Umständen ein Geheimdienst mitliest oder schlimmstenfalls meine Daten missbraucht werden. Wahlrecht ist Freiheit. Je differenzierter die digitalen Angebote sind, desto besser für meine Freiheit. Freiheit und Eigenverantwortung gehen Hand in Hand und gehören beide zur Sozialen Marktwirtschaft.

Wo ist der Gesetzgeber also gefordert? Er muss Monopole verhindern oder beseitigen. Er muss Transparenz und Ehrlichkeit gewährleisten. Denn wenn ich meine Daten – ob Eigentum oder nicht – in andere Hände gebe, will ich mich darauf verlassen können, dass ich fair behandelt werde und meine Daten nicht missbraucht werden. Der Gesetzgeber muss mir die Freiheit verschaffen, in diesen Märkten nach meinen Regeln und auch in den Grenzen meines persönlichen Risikoappetits zu leben.

In all diesen Bereichen ist trotz aller aktuellen Beschlüsse derzeit die Leistung des Gesetzgebers in Deutschland und Europa mangelhaft. Das hat die Konsequenz, dass weniger Wettbewerb zu weniger Wohlstand führt. Zugleich beschränkt der Staat die persönliche Freiheit unangemessen. Konkret, Amazon, Elon Musk oder wer auch immer darf kein universeller Datenstaubsauger bleiben. Daten, müssen außerhalb des direkten Geschäftszwecks allen potenziellen Wettbewerbern zur Verfügung stehen. Kartellrecht muss die Datenmacht messen, eine Fusion von TESLA und Twitter ist ein wettbewerbsrechtliches Unding. Datenschutzstandards müssen jenseits eines Mindestschutzes Gegenstand des Wettbewerbs sein. Täuschungen und Missbrauch von zugesagten Schutzniveaus müssen von Verbraucherschutz-Initiativen kontrolliert und hart bestraft werden.

In diesem Rahmen sollte aber jeder Bürger selbst entscheiden können, wie er mit seinen Daten – etwa bei behördlichen Anliegen – umgeht. Steinzeit-Datenschützer, die von Behörden in vielen Bundesländern verlangen, auf Plattformen wie Facebook völlig zu verzichten, müssen wieder Freiheitsrechte – auch das Recht zum Risiko – respektieren lernen. Mit Wettbewerb, Transparenz und bevormundungsfreier Souveränität wird der Markt der Daten Wohlstand schaffen.

Diese Position steht im Konflikt mit mancher Entscheidung von Verfassungsrichtern in den letzten 40 Jahren. Heute werden allein auf Twitter täglich 800 Millionen Nachrichten versendet. Diese neue Welt ist mit den Regeln des letzten Jahrhunderts allein nicht zu fassen. Die Rolle des Individuums in seiner Privatheit und mit seiner Verfügungsmacht wird neu geschrieben werden müssen. Die Aufgabe des Staates in einer freiheitlichen Ordnung bleibt darauf beschränkt, Freiheit der Wahl und Selbstbestimmung zu sichern; eben ein Staat, der den Markt verteidigt und auf Bevormundung verzichtet.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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