Heute gilt es, ein Lob auf Isabel Schnabel auszusprechen, denn sie kündigt die Kurskorrektur der Europäischen Zentralbank (EZB) an.

Gerade nach der amerikanischen Erhöhung der Leitzinsen gestern war das auch dringend nötig. Auch da mögen sich manche mehr gewünscht haben, aber als die US-Notenbank die Zinsen das letzte Mal um einen halben Prozentpunkt erhöhte, war Bill Clinton Präsident. Wegen der heftigen Inflation sieht sich die Zentralbank trotz aller Rezessionsängste gezwungen, jetzt den Kurswechsel sichtbar zu machen.  Und das ist nicht das einzige Signal. Die schwedische Reichsbank, die lange als Vertreter einer lockeren Geldpolitik galt und Zinserhöhungen erst für Anfang 2024 plante, hat Ende April überraschend den Pfad der Nullzinspolitik verlassen und einen ersten Zinsschritt getan, indem sie den Repo-Satz auf 0,25 Prozent erhöhte.

EZB-Direktorin Schnabel war in den letzten Monaten nicht immer eine wirkliche Vertreterin eines klaren geldpolitischen Kurses der EZB. Noch am 29. November hatte sie im ZDF-Morgenmagazin die zu lange geltende EZB-Position vertreten: „Wenn wir sehen, dass sich die Inflation dauerhaft auf einem höheren Niveau als zwei Prozent festsetzen könnte, dann werden wir natürlich ganz entschlossen reagieren, aber im Moment sind solche Hinweise nicht zu sehen.“ Sie ging sogar noch weiter in ihrer Einschätzung: „Prognosen gehen davon aus, dass im November der Höhepunkt der Inflation erreicht ist und diese dann wieder unter zwei Prozent fallen wird.“

Schon im Mai des vergangenen Jahres waren laut und vielstimmig die Warnungen zu hören. In einem gemeinsamen Brief hatten Peer Steinbrück, Edmund Stoiber, Hans-Werner Sinn und zahlreiche weitere Unterzeichner (so auch der Kommentator) gewarnt: „Die jahrelange und auch in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums betriebene ultraexpansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die wirtschaftliche Entwicklung in einer Reihe von Mitgliedstaaten der Währungsunion kurzfristig stabilisiert. Unübersehbar sind jedoch die langfristigen Risiken, die mit dem massiven Geldüberhang einhergehen, den sie geschaffen hat. Der Geldüberhang erzeugt ein Inflationspotenzial und gefährdet die langfristige Finanzstabilität.“

Man sollte also nicht so tun, als fielen die Probleme vom Himmel. Es ist auch nicht nur Putins Krieg, der jetzt die Inflation treibt. Die Disruptionen der Weltwirtschaft nach Corona, die wachsenden Engpässe auf dem Arbeitsmarkt und die jedenfalls in Europa regulatorisch vorgegebene grüne Inflation waren neben der Aufblähung der EZB-Bilanz auch schon vor 12 Monaten offensichtlich. Und die aktuellen Super-Preissteigerungen von Heizöl bis Sonnenblumenöl kann die Notenbank natürlich nicht beherrschen. Jetzt zeigt sich, dass aus politischen Motiven (Kreditzinsen für Mitgliedsländer) unterlassene geldpolitische Entscheidungen unausweichlich werden.

Der eingangs zitierte Glaube, dass die Inflation auf unter zwei Prozent zurückkehren könnte, war eben nicht nur falsch, sondern auch ignorant, wie man an den Entscheidungen zahlreicher anderer Notenbanken – nicht nur, aber vor allem auch der US-Notenbank – schon länger hätte sehen können.

Wir müssen jetzt damit rechnen, dass die Inflation in Deutschland, die ja in den ersten 20 Jahren des Euro bei durchschnittlich nur 1,4 Prozent lag, sich nun eher bei 2,5 Prozent für das nächste Jahrzehnt einpendelt. Das ist schon die bessere Variante, und die wird nur eintreten, wenn aus den jetzt gewonnenen Einsichten konsequente Taten folgen. Das wiederum bedeutet, dass Geldpolitik auch dann Priorität haben muss, wenn der Wachstumspfad unter Druck gerät.

Dazu gehört nicht nur das schnellstmöglich gebotene Ende der Negativzinsen. Die EZB sollte sich hier an der entschlossenen Haltung der US-amerikanischen FED orientieren. Es geht auch um ein überlegtes Ende der Geldschwemme der letzten Jahre. Das Angebot an sehr preisgünstiger Langfristliquidität für Europas Banken passt schon lange nicht mehr in die Zeit. Und die Anleihekäufe müssen so schnell zurückgefahren werden, wie es ohne die Lage chaotisierende Entzugserscheinungen möglich ist. Genauso machen es die Amerikaner jetzt. Machen wir uns keine Illusionen: Es handelt sich um ein wirtschaftliches „Drogenentzugs-Programm“, mitten in einer von außen kommenden, zusätzlichen Krise. Aber die Versäumnisse der letzten 12 Monate, die natürlich alles schlimmer machen, sind keine Rechtfertigung für weiteres Zögern.

Das erwähnte Lob soll die deutsche Direktorin stärken. Es ist ja keineswegs sicher, dass der ganze EZB-Rat schon den Mut zur Einleitung des „Entzugs“ gefunden hat. Wenn der Juli ohne wirksame Schritte und eine klare Zinsperspektive für den Herbst vorbeigeht, besteht die Gefahr, dass ein entscheidender Faktor der ökonomischen Krisenbewältigung ausfällt. Jetzt gilt eben auch: Der rasante Verfall des Geldwertes muss begrenzt werden, „whatever it takes“.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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