Am Anfang war das Geld. Oder genauer: fehlendes Geld. Wo es etwas zu verteilen gibt, liegt Streit nahe – so auch beim 750 Milliarden schweren Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“.

390 Milliarden Euro sollen als verlorene Zuschüsse, 360 Milliarden Euro als Kredite den Mitgliedstaaten zufließen. Einer der Hauptbegünstigten ist Italien, das 81 Milliarden Euro als leistungslosen Transfer und 127 Milliarden Euro als rückzahlbaren Kredit bekommen soll. Bei einer erwarteten Schuldenquote von 159 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Ende des Jahres steht die Tragfähigkeit der Verschuldung jedoch infrage und damit die Tilgung des Kredits in den Sternen.

Zudem: Werden die Hilfen sinnvoll ausgegeben? Während die Südeuropäer Auflagen der Mittelverausgabung vollständig ablehnten, die EU-Kommission eine Anbindung an vage formulierte eigene Ziele ohne effektive Kontrollen vorschlug, wollten die Niederlande als eine der „sparsamen Fünf“ (daneben Österreich, Dänemark, Schweden sowie Finnland) konkrete Reformzusagen/-auflagen mit genauer Kontrolle der Umsetzung – wie es auch die bisherigen Hilfsprogramme unter anderem für Griechenland, Portugal und Irland vorsahen. Jetzt soll lediglich eine qualifizierte Mehrheit den Reformprogrammen zustimmen müssen, was nach dem Brexit für die Südländer leichter geworden ist. Doch was ist, wenn die nächste (italienische) Regierung die Reformen wieder rückgängig macht?

Die mit der „EU-Katastrophenschutzrechtsklausel“ (Artikel 122 AEUV) begründeten Pandemiehilfen sind nur dann gerechtfertigt, wenn die Schwierigkeiten a) unverschuldet, b) Folge von COVID-19 und c) im Rahmen der Selbsthilfe nicht zu bewältigen sind. Der über Jahre fortlaufende, absichtsvolle Verstoß gegen die EU-Verschuldungsregeln, ein bislang noch bestehender Kapitalmarktzugang und die überaus hohen Privatvermögen lassen Italien nicht gerade als bedürftigen Hilfenehmer erscheinen.

Eigenvorsorge ist Voraussetzung für Solidarität

Wenn Hilfen dennoch als notwendig erachtet werden, sollten sie als Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) vergeben werden. Damit wären die Hilfen wieder beim EU-Rat angesiedelt. Die Kommission als quasi europäischer Finanzminister wäre verhindert worden. Auch eine eigenständige EU-Steuerhoheit (Plastikabgabe, Digitalsteuer) wäre vom Tisch. Schließlich hätte man das Problem der Rechtstaatlichkeit und den derzeit überaus umfänglichen Hilfen für Polen und Ungarn als Nicht-Euro-Staaten umgangen.

Um die Rückzahlung der Kredite zu gewährleisten, sollten diese mit staatlichen Vermögenswerten besichert werden. Ähnlich der ehemaligen Treuhandgesellschaft könnte der italienische Staat Immobilien, Infrastruktureinrichtungen und Unternehmensbeteiligungen in ein Sondervermögen auslagern, das bei Kreditausfällen an die EU-Gläubiger zur Verwertung gehen würde. Alternativ könnte das italienische Parlament eine Vermögensabgabe für große Privatvermögen „auf Vorrat“ beschließen, die im Falle einer Staatsinsolvenz zur Bedienung der ESM-Kredite verwendet würde.

Entsprechend unattraktiv würden die Hilfen für die italienische Regierung werden. Die Bürger würden nach Rechtfertigung verlangen und unwirtschaftlichen, kreditfinanzierten Verausgabungen Widerstand entgegensetzen. Die Auslagerung als Sondervermögen schafft Transparenz und macht Günstlingswirtschaft und Korruption schwieriger. Solidarität – das Einstehen im Notfall auf Gegenseitigkeit – hat Eigenvorsorge und die Einhaltung entsprechender Regeln zur Voraussetzung. Wenn diese nicht erfüllt ist, mutiert Solidarität zur Ausbeutung der Samariter. Damit steht die europäische Wertegemeinschaft (Artikel 2 EU-Vertrag) einmal mehr infrage.

Der Beitrag ist zuerst in DIE WELT vom 29. Juli 2020 erschienen.

Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik am Institut für Volkswirtschaftslehre der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

DRUCKEN
DRUCKEN