Die Mitglieder und der Freundeskreis der Ludwig-Erhard-Stiftung erleben es in diesen Wochen bei ihren virtuellen Treffen: Der Begriff des Eigentums spielt in unseren aktuellen Foren eine große Rolle. Mit den ehemaligen Verfassungsrichtern Paul Kirchhof und Udo Di Fabio konnten wir das Thema in den letzten Veranstaltungen im Detail erörtern. Warum investiert die Ludwig-Erhard-Stiftung dafür so viel Zeit?

Das Recht auf Eigentum jedes Einzelnen gehört nach dem Verständnis der westlichen Demokratien zum unverzichtbaren Bestandteil unserer Verfassungsordnung. Paul Kirchhof bezog sich darauf, dass die Würde des Menschen Freiheit und Eigentum als Voraussetzung gelebter Selbstverwirklichung erfordert. Das ist aber keineswegs so unumstritten, wie es vielleicht klingt.

Udo Di Fabio beschreibt das Problem als „Zone der marktwirtschaftlichen Gefahrenlage“. Immer öfter wird von verschiedenster Seite das Eigentum infrage gestellt. In Berlin haben inzwischen mehr als 350.000 Menschen ein Volksbegehren zur Verstaatlichung der großen Wohnungsbaufirmen unterzeichnet. Artikel 15 des Grundgesetzes bekommt dadurch konkrete Bedeutung. Er besagt, dass „Produktionsmittel … zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“ können. In der Pandemie wird mit erhobenem Zeigefinger die Enteignung der Patente für die rettenden Impfstoffe gefordert. Künstler und Wissenschaftler können ihr geistiges Eigentum im Internet kaum noch bewahren. Wir alle produzieren Daten, aber sind sie unser Eigentum?

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Auch dieser Satz steht im Grundgesetz (Artikel 14, Absatz 2). Er beschreibt das moralische und politische Spannungsfeld. Dieser Satz ist vielen in unserer Gesellschaft vor Augen, und wie viele war auch ich immer der Meinung, dass Artikel 15 zur Verstaatlichung keine Rolle spielen wird, solange der Grundsatz der Sozialpflichtigkeit glaubwürdig gelebt wird. Die immer sichtbarer werdenden Unterschiede zwischen arm und reich, ja, in manchen Fällen die obszön hohen Einkommen Einzelner einerseits und die Not in den großen Städten, überhaupt noch bezahlbaren Wohnraum zu bekommen, andererseits – dies alles sind Erscheinungen, die die Debatte über Eigentum als Ausdruck von Würde und als Garant von Freiheit mit Zweifeln umgeben.

„Zu einer dynamischen Sozialpolitik gehört die weitere Förderung der Eigentums- und Vermögensbildung in breiten Schichten unseres Volkes, weil sie mehr als alles andere dazu geeignet ist, die Freiheit, Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des Einzelnen in der modernen Gesellschaft zu stützen.“ (Ludwig Erhard, 1965)

Eigentum dient zunächst einmal dem Einzelnen, es ist privatnützig. Aber Eigentum ist mehr als nur das Recht, andere von etwas auszuschließen. An dieser Stelle bemerkt man schnell, dass Soziale Marktwirtschaft mehr ist als bloße Ökonomie. Eine Freiheit und Würde sichernde marktwirtschaftliche Ordnung ist ein ethisches und philosophisches Konstrukt. Die Verfechter der Marktwirtschaft haben die Gesellschaft im Blick und nicht nur die ökonomische Transaktionsrationalität. Um diese Vereinbarkeit der Privatnützigkeit und der Nützlichkeit für die Gemeinschaft zu bewirken, braucht es eine staatliche Ordnung, die Fairness vor Macht und Solidarität vor Rücksichtslosigkeit setzt.

Bei all diesen differenzierten Argumenten bleibt jedoch wichtig: Voraussetzung für all das ist das Bekenntnis zu Eigentum. Freiheit und Markt sind ohne Eigentum nichts. Das sind auch Fragen an die Parteien in diesen Tagen der Bundestagswahl: Bleibt gewährleistet, dass nicht mehr als 50 Prozent des neu erworbenen Eigentums durch Steuern entzogen werden dürfen? Wird die in Berlin unrealistische Debatte zur Enteignung der Wohnungseigentümer zum nationalen Thema? Welche Hilfen bekommen Arbeitnehmer zum Aufbau eines Kapitals für die Alterssicherung? Wer schützt das geistige Eigentum? Wer sichert Eigentum in der neuen Welt der Plattformökonomie? Das Prinzip des persönlichen Eigentums steht immer wieder zur Disposition. Artikel 14 gibt dem Eigentum eine soziale Verpflichtung, aber Artikel 15 würde auch die Zerstörung von Privateigentum erlauben.

Für die Ludwig-Erhard-Stiftung ist dies eine zentrale Frage. Gemeinsam mit dem Verband DIE FAMILIENUNTERNEHMER e.V. werden wir die Wahlprogramme unter diesem Gesichtspunkt unter die Lupe nehmen lassen und darüber öffentlich berichten. Es sollte für jeden Marktwirtschaftler ein Prüfstein sein. Ludwig Erhard beschrieb in seiner Funktion als Wirtschaftsminister seine Aufgabe dahingehend, „aus der Volkswirtschaft so viel an Kraft und Leistung herauszuholen, dass die Menschen frei von Sorgen und Nöten leben können, dass sie die Möglichkeit gewinnen, Eigentum zu erwerben und dadurch unabhängig zu werden, dass sie mehr an menschlicher Würde entfalten können, weil sie dann nicht mehr auf die Gnade anderer, auch nicht auf die Gnade des Staates angewiesen sind“.


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