Der frühere Ministerpräsident Estlands, Mart Laar, hat vor wenigen Tagen die Ludwig-Erhard-Medaille für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft erhalten. Das ist eine seltene Auszeichnung; gestiftet wurde sie vom früheren Bundeskanzler Ludwig Erhard persönlich und zuletzt vor acht Jahren überreicht.

Die Verdienste von Mart Laar sind ein konsequenter Liberalisierungskurs Estlands, nachdem die sowjetische Besatzung beendet werden konnte. Schnelle Privatisierung der staatlichen Betriebe, stabile Währung, solide Staatsfinanzen, eine einfache Flat-Tax ohne große Ausnahmen und die konsequente Modernisierung sind die Merkmale (lesen Sie hier die Laudatio auf Mart Laar).

Die Wirtschaft des kleinen Landes wächst auch 2018 um fast vier Prozent; statt Arbeitslosigkeit bremst Fachkräftemangel den weiteren Aufschwung. Das Land gilt als Vorbild für „e-Government“ – praktisch alle Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürger können online abgewickelt werden. Die „Blockchain“, eine unknackbare Verschlüsselungstechnologie, schützt die Daten; über jeden Zugriff auf die Daten durch einen Beamten wird der betreffende Bürger automatisch informiert und kann die Rechtmäßigkeit überprüfen.

Praktisch jede Woche besuchen deutsche Verwaltungsdelegationen das Land, das sich mit dieser Schlüsselanwendung in der Liste der führenden Daten-Technologieländer weit nach vorn katapultiert hat. Hinter der Hand machen sich übrigens die Esten lustig über ihre deutschen Besucher: Die wären statt auf der Suche nach Lösungen tatsächlich immer nur auf der Suche nach Gründen, warum eine Modernisierung der deutschen Verwaltung so nicht möglich wäre.

Mart Laar ist Historiker und Geschichtslehrer. Auf Ludwig Erhard kam er nach der friedlichen Revolution einfach dadurch, dass er die Wirtschaftsgeschichte nach erfolgreichen Modellen durchsuchte, wie man eine darniederliegende Volkswirtschaft reformieren könnte. Der Reformansatz hat geklappt, sagt Laar dazu – „und zwar schnell genug, um auch die Zweifler zu überzeugen und mit den Erfolgen die Kritik zu widerlegen“.

Blindes Geldausgeben statt kluger Vorsorge in Deutschland

Die Ehrung von Mart Laar fällt in eine Zeit, in der in Deutschland zwar viel von Ludwig Erhard und seiner Wirtschaftspolitik die Rede ist — ein Saal im Bundeswirtschaftsministerium wurde von Wirtschaftsminister Peter Altmaier nach Erhard benannt. Immerhin. Aber eine Erhard-Bilanz der Bundesregierung fällt negativ aus. Bislang hat die Bundesregierung nur viele weitere kleinteilige Kontrollen der Wirtschaft in Gang gesetzt: keine Spur von Entbürokratisierung, dafür ein Monster wie die Datenschutzgrundverordnung.

Hinzu kommen gewaltige Sozialpakete wie Rentenerhöhungen. Deren Belastung wird erst dann voll sichtbar, wenn wegen der abnehmenden Bevölkerung die Belastung ohnehin zunimmt. Schon 2030 müssen zusätzlich 45 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenversicherung fließen, um die neuen Leistungen zu finanzieren. Bis 2045 wird dieser Betrag auf 80 Milliarden Euro jährlich anwachsen, errechnete der Ökonom Axel Börsch-Supan. Dabei wird nicht einmal den vielen Kleinstrentnern geholfen; die meisten Mittel erhalten Rentnerinnen und Rentner, denen es wirtschaftlich vergleichsweise gut geht.

Dabei ist das Rentenprogramm nur ein Punkt in der langen Ausgabenliste, auf die sich die Parteien der mittlerweile klein gewordenen „Großen Koalition“ geeinigt haben. Eine Untersuchung der Rating-Agentur Moody´s, die die Solidität der Haushalte vieler Staaten vergleicht, kommt zu einem bedenklichen Ergebnis: Mit dieser Politik befindet sich Deutschland in Gesellschaft der Länder, deren bis heute nicht bewältigte Ausgabensucht die Ursache der Eurokrise ist: Italien, Zypern, Griechenland und Belgien. Auch kurzfristige „schwarze Nullen“, auf die man in Berlin so stolz ist, verwandeln sich so schnell in tiefrote Zahlen. Damit verliert Deutschland seinen konjunkturpolitischen Handlungsspielraum, während sich gerade jetzt die Konjunktur weltweit abschwächt: Statt klug vorzusorgen, wird blind ausgegeben.

Es gilt wohl auch in der Wirtschaftspolitik die Erkenntnis: Der Prophet gilt im eigenen Land nichts. Oder: Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis.


Foto: estnische Ausgabe von Ludwig Erhards 1957 erschienenem Buch „Wohlstand für Alle“ (fotografiert von Jane Faizullin).

Hier geht es zur Dokumentation der Übergabe der Ludwig-Erhard-Medaille für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft an Mart Laar in Tallinn.

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