In Deutschland werden immer mehr Regeln eingeführt, um den Arbeitsmarkt zu vereinheitlichen und den Schutz von Arbeitnehmern zu verbessern. Doch diese Regulierungen haben gefährliche negative Auswirkungen auf die Marktfunktion, da sie die freie Aushandlung von Arbeitsbedingungen einschränken.

Beispielhaft ist das mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vor einigen Tagen deutlich geworden. Eine Mitarbeiterin hatte ein relativ schlechtes Ausgangsgehalt ausgehandelt, ein Mann mit vergleichbarer Position hatte ein besseres Gehalt zur Bedingung gemacht und bekommen. Letztlich ging der Streit darum, wann ein inzwischen geschlossener Haustarifvertrag vollständig angewandt wird. Die Tatsache, dass die schlecht bezahlte Person eine Frau war, führte zu der Anwendung der Vermutensregel des § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), die schlechtere Bezahlung von Frauen im Zweifel als Benachteiligung interpretiert.

Schritt für Schritt übernimmt der Staat die Lohnfindung

Wir kennen auch den ständigen Drang der Gewerkschaften und von Teilen der Politik, immer mehr Wirtschaftszweige mit Tarifverträgen zu versehen, die vom Staat für „allgemeinverbindlich“ erklärt worden sind. Öffentliche Aufträge werden per Gesetz an einen für die betroffenen Unternehmen bestehenden Tarifvertrag geknüpft. Die Mindesthöhne regeln am Ende dieses Jahres das Einkommen von rund 17 Prozent der Beschäftigten. Als dieses Instrument eingeführt wurde, betraf es deutlich weniger.

Das ist Grund zur Sorge, denn das alles sind weitere Hinweise auf einen schleichenden Freiheitsverlust. Aber es geht auch um das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft. Die freie Aushandlung von Arbeitsbedingungen ist ein wichtiger Faktor für die effiziente Funktionsweise des Arbeitsmarkts. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten in der Lage sein, Löhne, Arbeitszeit und andere Arbeitsbedingungen frei zu verhandeln, um die Bedürfnisse beider Seiten zu berücksichtigen und den optimalen Preis für Arbeitskraft zu ermitteln.

In einer alternden Gesellschaft ist der Arbeitnehmer stark

Wenn Arbeitgeber bestimmte Arbeitsbedingungen nicht mehr frei aushandeln können, werden sie gezwungen sein, ihre Arbeitskräfte zu einem bestimmten Preis anzustellen, auch wenn dieser Preis nicht unbedingt der optimale ist. Das führt zu einer geringeren Beschäftigung und auch zu einer Verlagerung von Arbeit ins Ausland.

Das alles geschieht zumeist im vermeintlichen Interesse der Arbeitnehmer. Aber wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Arbeitsbedingungen frei zu verhandeln, können sie sich in einer Position wiederfinden, in der sie schlechter gestellte oder unpassend gestaltete Arbeitsbedingungen akzeptieren müssen, als sie eigentlich möchten.

Es ist wichtig zu betonen, dass der Schutz von Arbeitnehmern ein wichtiges Ziel ist und Regulierungen erforderlich sind, um dies zu gewährleisten. Aber es ist auch wichtig, einen Ausgleich zwischen dem Schutz von Arbeitnehmern und der Erhaltung der Marktfunktion zu finden.

Wir leben heute und in den kommenden Jahrzehnten unter den Bedingungen einer alternden Bevölkerung. Arbeitskräfte sind knapp. So wie wir gerade erleben, dass knappe Wohnungen immer teurer werden, so werden auch knappe Arbeitskräfte immer teurer. Je qualifizierter sie sind, um so mehr können sie sich ihren Arbeitsplatz aussuchen. Natürlich wird da gefeilscht und die Unternehmen kämpfen um jeden Kopf. Wenn man etwas monatlich draufzahlt, dann ist das in vielen Fällen besser, als den Arbeitsplatz nicht zu besetzen und damit den Kunden nichts anbieten zu können. Die Fragen nach dem Geschlecht oder auch dem Alter sind da von gestern.

Es wäre wünschenswert, wenn die Einzelverträge auf einem Netz von Tarifverträgen aufbauen könnten. In unserem aktuellen Fall ist das ja glücklicherweise geschafft worden. Da derzeit nur etwas weniger als 50 Prozent aller Arbeitsverhältnisse von einem Tarifvertrag geregelt werden, wären sicher höhere Quoten wünschenswert. Aber wenn heute nur noch 18 Prozent der Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft sind, ist das nicht nur ein Versagen der Gewerkschaften, sondern auch der legitime freie Wille der Betroffenen. Den hat der Staat zu respektieren.

Entscheidungen über Löhne gehören in die Betriebe und nicht ins Parlament

Die Verteilung und Bezahlung von Arbeit müssen dem Markt überlassen bleiben. Um sicherzustellen, dass der Arbeitsmarkt effizient funktioniert, müssen Regulierungen möglichst zurückhaltend sein und so gestaltet werden, dass sie nicht zu einer Einschränkung der freien Aushandlung von Arbeitsbedingungen führen. Gewerkschaften und Arbeitgeber wären gut beraten, dabei auf flexible Regelungen zu setzen, die es ermöglichen, in der Verhandlung von individuellen Arbeitsbedingungen Flexibilität zu haben. Verbunden mit der betrieblichen Mitbestimmung können hier Rahmen geschaffen werden, die im Interesse beider Seiten eine Balance von Fairness und individueller Aushandlung schaffen. Besser verhandelt zu haben, muss ein Markenzeichen sein und darf nicht durch Gesetz und Rechtsprechung zu einem Makel werden.

Es ist ganz sicher so, dass in einem sich dynamisch entwickelnden Maß die absolute Gerechtigkeit nicht erreicht wird. Zum Markt gehört es eben, dass man „zu gut“ oder „zu schlecht“ abgeschnitten haben kann. Wenn es um demokratische Bürgerrechte geht, muss der Staat das verhindern. Wenn es um die Wirtschaft und auch um den Preis der Arbeit geht, richtet der Staat mehr Schaden als Nutzen an. In diesem Sinn ist das Bundesarbeitsgericht zu weit gegangen. Staatliche Mindestlöhne sind falsch. Gewerkschaften und Unternehmer müssen in der Pflicht bleiben.

Insgesamt ist es wichtig, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland effizient funktioniert, um Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum zu fördern. Dem darf ambitionierte und oft auch ideologische Politik nicht im Weg stehen.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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