IfM fordert Paradigmenwechsel
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – sowohl bei den Überlegungen beim Bürokratieabbau als auch bei den Regulierungsstrategien.
Verankerung des Grundsatzes „Think/Act small first“ im gesamten Regulierungszyklus
Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung sind hochkomplexe, ganzheitliche Aufgaben, bei denen eine Vielzahl von Staats- und Verwaltungsebenen, Institutionen und Akteuren unter der Nebenbedingung eines raschen Wandels der Umweltfaktoren zusammenarbeiten müssen. Um eine spürbare Reduzierung der Bürokratiebelastung für KMU zu erreichen und einen Rechtsrahmen bereitzustellen, der Innovation, Wachstum und gesellschaftlichen Wohlstand ermöglicht, reicht es nicht aus, punktuell und auf ad-hoc Basis KMU-Belange zu berücksichtigen. Stattdessen sollte das der europäischen KMU-Politik zugrunde liegende – sinnvolle und wichtige – Prinzip „Think/Act Small First“ im Sinne eines Paradigmenwechsels im gesamten Regulierungskreislauf praktiziert werden. In allen Phasen (Auswahl des Politikinstruments – Regulierungsentwicklung – Regulierungsumsetzung – Monitoring und ex-post Evaluation) sind systematisch die Voraussetzungen zu schaffen und Maßnahmen umzusetzen, die KMU effektiv von übermäßiger Bürokratie entlasten (vgl. den Aktionsplan für Deutschland in Holz et al. 2023).
So dürfte der Optionenspielraum nicht bereits am Beginn des Regulierungskreislaufs verengt werden, indem z. B. nur gesetzliche Lösungen oder nur ein bestimmter Lösungsweg in Erwägung gezogen wird. Auch die Fachministerien müssten – ähnlich wie es bereits in Großbritannien praktiziert wird – verpflichtet werden, verschiedene Handlungsalternativen in Kooperation mit relevanten Stakeholdern zu entwickeln und zu prüfen. Die KMU und Verbände sollten zudem explizit als Mitgestalter („Co-Owners“) in die Verantwortung genommen und aktiv mit tatsächlichen Lösungsbeiträgen eingebunden werden. In den Niederlanden haben sich sog. KMU-Tests (kurze Online-Meetings mit ausgewählten Unternehmerinnen und Unternehmern) bewährt, die die Praxistauglichkeit und Verhältnismäßigkeit neuer Gesetzesvorhaben gewährleisten. Die Bürokratiebelastung konnte auch dadurch spürbar verringert werden, dass in Kooperation mit KMU aus verschiedenen Branchen diejenigen Gesetze identifiziert und vereinfacht werden, die die größten Kosten- und Umsetzungsbelastungen hervorrufen.
Schließlich sollten Gesetze grundsätzlich aus der Perspektive von KMU verfasst und eventuelle Spezialregelungen für Großunternehmen zusätzlich hinzugefügt werden – die „SME-Orientation by Default“ mithin im Vordergrund stehen.
Auf dem Weg zu einem risikobasierten Ansatz für die Regulierung
Nicht zuletzt infolge des technologischen und gesellschaftlichen Wandels müssen Bürokratie und Regulierung ganz neu gedacht werden. Einzelne Länder wie Großbritannien gehen zunehmend von herkömmlichen „Command and Control“ hin zu risikobasierten „Enable and motivate“-Ansätzen über („Risk-based Regulation“). Dabei unternehmen Behörden und Unternehmen – risikobasiert – gemeinsame Anstrengungen, um wichtige Schutzziele partnerschaftlich und im vertrauensvollen Informations- und Erfahrungsaustausch zu erreichen, wobei sogenannte „schwarze Schafe“ natürlich entsprechend sanktioniert werden müssen. Dieses Vorgehen verbessert nicht nur die effektive Zielerreichung, sondern baut zugleich Bürokratie ab und entspricht zudem eher den Vorstellungen, wie Staat, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger im 21. Jahrhundert interagieren und kooperieren sollten.
In Großbritannien konzentriert sich der wirtschaftspolitische Diskurs zudem weniger auf kleinteilige Bürokratie mitsamt der statischen Kategorien des Zeit- und Kostenaufwands. Im Zentrum steht vielmehr die Bedeutung des Regulierungssystems als dynamischem Wettbewerbsfaktor im internationalen Standort- und Innovationswettbewerb. Auch in der EU sollte der Regulierungsansatz so neugestaltet werden, dass er zum Wohle der Gesellschaft und der Gesamtwirtschaft Unternehmertum und Innovationen fördert und stimuliert. Eine so interpretierte Regulierung würde weniger obrigkeitsstaatlichen Überwachungs- und Kontrollzwecken dienen, sondern ist als „Regulation as a Service“ eine wesentliche Rahmenbedingung zur Förderung von Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit.
IfM-Standpunkt Nr. 42, Stand: März 2024
Literaturhinweise
- Holz, M.; Icks, I.; Nielen, S. (2023): Analyse zur Bürokratiebelastung in Deutschland – Wie kann ein spürbarer Bürokratieabbau erreicht werden? Im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), Bonn.
- Holz, M.; Schlepphorst, S.; Brink, S.; Icks, A.; Welter, F. (2019): Bürokratiewahrnehmung von Unternehmen. IfM-Materialien 274.