Weichenstellung für Bundeshaushalt

Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte seinen Ministerkolleginnen und -kollegen ein wenig mehr Zeit gegeben, die Zahlen für den Bundeshaushalt 2025 anzumelden. In wenigen Tagen läuft die Frist ab. Dann werden wir ein viele Wochen anhaltendes Ringen um Zahlen sehen. Selbstverständlich werden alle Ressorts jedes kleine Förderprogramm auf den Kopf stellen, um nach zusätzlichen Einsparmöglichkeiten zu suchen. Man kann nur auf ausreichende Kreativität hoffen, einerseits Ausgaben einzusparen, um andererseits auf neue Entwicklungen reagieren zu können.  Die wirklichen Herausforderungen sind damit aber nicht zu bewältigen. Es steht viel auf dem Spiel, denn es müssen Herausforderungen angegangen werden, die das Einspar-Management im Tagesgeschäft überfordern.

Bundesrechnungshof warnt vor gefährlichen Entwicklungen

Der Bundesrechnungshof hat die gewaltigen Herausforderungen in einem in der letzten Woche vorgestellten Papier eindrucksvoll und korrekt beschrieben:

  • Die künftige Finanzierung der militärischen Verteidigungsfähigkeit Deutschlands über das Sondervermögen Bundeswehr hinaus ist unsicher.
  • Die Finanzierung des klimaneutralen Umbaus von Gesellschaft und Wirtschaft ist nach Wegfall der in den Klima- und Transformationsfonds übertragenen 60 Milliarden Euro unklarer denn je.
  • Langfristige Tragfähigkeitskonzepte für die Sozialversicherungen fehlen weiterhin, insbesondere mit Blick auf die demografische Entwicklung.
  • Der Bundeshaushalt bleibt versteinert: Der Anteil der fest gebundenen Ausgaben liegt weiter bei 90 Prozent. Die verbleibenden 10 Prozent laufen Gefahr, durch steigende Zinsausgaben weiter zu schrumpfen.
  • Eine Verbesserung der Einnahmenbasis ist nicht in Sicht. Der Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen sowie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung kommen nicht voran.

Der Rechnungshof kann das in konkrete Zahlen gießen:

Im Schlüsseljahr 2028

  • werden die Tilgungsverpflichtungen aus den Corona- Notlagenkrediten mit rd. 9,2 Milliarden Euro jährlich fällig – für die folgenden 30 Jahre,
  • wird das Sondervermögen Bundeswehr voraussichtlich ausgeschöpft sein. Das politisch zugesagte NATO-2 Prozent-Ziel muss dann vollständig aus dem Bundeshaushalt bestritten werden: das wäre ein Anstieg von 52 Milliarden Euro auf bis zu 85 Milliarden Euro in 2028.
  • Mit rund 45,8 Prozent des Haushaltsvolumens 2024 dominieren die weitgehend auf gesetzlichen Ansprüchen und Leistungsversprechen beruhenden Sozialausgaben den Bundeshaushalt, wobei eine Steigerung um nur ein Prozent mehr als 2,5 Milliarden Euro zusätzliche Belastung erzeugt.

Große Herausforderungen brauchen prinzipielle Entscheidungen

Man kann daran erkennen, dass die nationale Politik tatsächlich vor epochalen finanziellen Herausforderungen steht. Der politische Streit ist deshalb notwendig und die Zeit der Formelkompromisse ist ebenso vorbei, wie die Hoffnung, mit mikrochirurgischen Eingriffen über alle Haushalte die Lücke schließen zu können. Daher geht es nach meiner Meinung nicht ohne einige grundsätzliche Festlegungen. Da stellt sich die Frage, ob und wie es für diese Grundsätze eine politische Mehrheit in der Regierung, im Parlament und in der Bevölkerung gibt. Bequem wird es bestimmt nicht, denn

  • Konsum darf im Staatshaushalt nicht über Schulden finanziert werden. Gleichzeitig müssen aus den laufenden Einnahmen auch die notwendigen Investitionen finanziert werden. Das „feste Korsett“ der Schuldenbremse, das ja faktisch erst durch das Bundesverfassungsgericht eingeführt wurde, muss bestehen bleiben. Jede Aufweichung würde die ohnehin beträchtlichen öffentlichen Ausgaben zu Lasten der kommenden Generationen weiter in die Höhe treiben.
  • die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und seiner Nachbarn hat oberste Priorität. Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten allein die Beschaffung von Munition leichtfertig unterblieben ist, wird es zu langfristigen zusätzlichen Belastungen kommen.
  • ohne Verringerung des Anstiegs der öffentlichen Zuschüsse zu den Systemen der sozialen Sicherung kann es keine Lösung geben. Das wird es notwendig machen, auf einige vom Steuerzahler finanzierte Sozialleistungen zu verzichten. Das gegenteilige Versprechen des Bundeskanzlers ist nicht haltbar.
  • da Subventionen weiter gekürzt werden müssen, werden kurzfristige Impulse in Form von degressiven Abschreibungen, Steuerfreiheiten für Veräußerungsgewinne bei StartUps sowie steuerliche Begünstigung von Überstunden und Altersarbeit, unverzichtbar sein. Wenn damit ein erhöhtes Wachstum zusätzliche Einnahmen generiert, muss in einem zweiten Schritt eine generelle Steuerreform angegangen werden.
  • schon aus symbolischen Gründen müssen in den öffentlichen Verwaltungen sofort Stellenbesetzungssperren und das Ziel einer Reduzierung der Stellen um mindestens zehn Prozent bis 2028 verbindlich gemacht werden.

Die Bedeutung einer „Wirtschaftswende“

Ohne Maßnahmen, die Bundesfinanzminister Christian Lindner zurzeit als „Wirtschaftswende“ bezeichnet, ohne verlässliche Energieversorgung, ohne mutigen Umgang mit Daten als Rohstoff der Wirtschaft, ohne einfache Genehmigungsverfahren sowie einen schnellen Abbau von Bürokratie, wird es nicht funktionieren. Ein gemeinsamer europäischer Markt für Finanzdienstleistungen könnte bei der privaten Finanzierung sehr helfen. Die Konzentration auf privates internationales Kapital würde endlich Schluss machen mit dem Glauben, der Zugang zu staatlichem Geld und die damit verbundenen Staatsschulden seien die beste Zukunftssicherung. Die Zukunft unseres Wohlstandes hängt nicht am Bundeshaushalt, sondern an der Erwartung von Bürgern und Investoren, dass sich der Einsatz ihres eigenen Geldes für die Projekte der Zukunft lohnt.

Übrigens: Die für das Jahr 2024 eingeplanten Zinsausgaben betragen 37,4 Milliarden Euro – die im Bundeshaushalt ausgewiesene Nettokreditaufnahme im Jahr 2024 beträgt 39 Milliarden Euro. Damit werden die aufgenommenen Kredite rechnerisch fast vollständig für Zinszahlungen benötigt. Findet die Regierung die Kraft, aus diesem Zirkel auszusteigen?




Neue EU-Ökodesign-Richtlinie – eine staatliche Allmachtsphantasie

In der kommenden Woche beschließt das Europäische Parlament nach langen Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten wahrscheinlich die „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen an nachhaltige Produkte” (Ökodesign-Richtlinie). Das klingt zwar langweilig, ist aber in Wirklichkeit ein bedeutender Schritt in eine staatlich gesteuerte und kontrollierte Volkswirtschaft. Mit dem Argument, es müsse in allen Wirtschaftsbereichen eine Kreislaufwirtschaft geschaffen werden, darf es nach den detaillierten Vorgaben der Gesetzgeber nur noch Produkte geben, die aus ökologisch erwünschten Bestandteilen bestehen und die Reparaturvorschriften und Lebensdauer-Vorgaben erfüllen. Der Europäische Markt wird damit von allen Importen abgeschottet, die diesen speziellen EU-Anforderungen nicht gerecht werden.

Ein dichtes Netz von Regeln überzieht den Markt

Da sich die meisten Leser mit diesem Thema nicht beschäftigen, werde ich Ihnen zunächst einige Zitate aus der aktuellen, 290 Seiten umfassenden, Vorlage präsentieren, um dann die aus meiner Sicht zu fürchtenden Konsequenzen zu nennen.

In Ziffer 20 der Einführung der neuen Richtlinie heißt es zur Frage, wie man sich die Regulierung vorstellt: “Die Leistungsanforderungen sollten sich auf einen ausgewählten Produktparameter beziehen, […] für den Potenzial zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit ermittelt wurde.“ Und: „In Bezug auf Mindest- oder Höchstgehalte können sie beispielsweise in Form einer Begrenzung des Energieverbrauchs in der Nutzungsphase oder der Mengen eines bestimmten Materials, die in das Produkt aufgenommen werden, einer Anforderung an Mindestmengen an recyceltem Material oder einer Begrenzung einer bestimmten Umweltwirkungskategorie oder einer Aggregation aller relevanten Umweltauswirkungen erfolgen.”

Zuvor wurde klargestellt, welche Macht die EU-Kommission in Zukunft haben soll: “Um einen wirksamen und zukunftssicheren harmonisierten Rechtsrahmen zu schaffen, ist es notwendig, die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für alle physischen Güter, die in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, einschließlich Komponenten wie Reifen und Zwischenprodukte, zu ermöglichen. Digitale Inhalte, die integraler Bestandteil eines physischen Produkts sind, sollten ebenfalls in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Dies sollte es den Kommissionen ermöglichen, bei der Festlegung von Ökodesign-Anforderungen eine möglichst breite Palette von Produkten zu berücksichtigen”.

Die Regelungen betreffen alle Wirtschaftsbereiche, aber die Gängelungstiefe bei Kleidung ist wahrscheinlich noch einmal besonders stark (Ziffer 47a). “Neu produzierte, aber nicht verkaufte Textilien und vor allem Kleidung gehören zu den Gegenständen, die Berichten zufolge vernichtet werden. Kleidung sollte höher bewertet, getragen und gepflegt werden, als das, was die heutige Fast-Fashion-Kultur mit sich bringt. Aus Sicht der Kreislaufwirtschaft steht eine solche Verschwendung wertvoller Ressourcen in klarem Widerspruch zu den Zielen dieser Verordnung, die ökologische Nachhaltigkeit zu verbessern. Es ist daher gerechtfertigt, die Vernichtung von unverkaufter Verbraucherbekleidung und Bekleidungszubehör sowie von Schuhen zu verbieten.”

Die kleinteilige Regulierung ist eine Selbstüberschätzung

Zunächst darf man sich über die Anmaßung erregen, die Freiheit von Erfindern, Händlern und Konsumenten auf diese Weise zu beschränken. Man kann sicher sagen, dass in den Ordnungsvorstellungen Ludwig Erhards das Konzept schon wegen dieser unsäglichen Selbstüberschätzung niemals ernsthafte Chancen gehabt hätte. Darauf möchte ich zum Schluss noch einmal kommen. Zuvor geht es mir darum, darauf aufmerksam zu machen, welche Konsequenzen eine solche Regulierung in einem rechtsstaatlich organisierten Gemeinwesen hat. Das kann man schon im ersten der zitierten Sätze erkennen. „Ausgewählte Produktparameter, für den Potenzial zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit ermittelt wurde.” In welchem Verfahren werden diese Parameter denn ausgewählt? Wer trifft die Entscheidung, ob das “Potenzial” im Verhältnis zu Nachteilen relevant ist? Woher will die Verwaltung das eigentlich wissen? Wie groß muss eine Verwaltung sein, um alle Neuerungen bei allen “physischen Gütern” im Blick zu haben? Und selbst wenn tausende neue Beamte in Brüssel und den Hauptstädten eingestellt würden – wer stellt sicher, dass sie kompetent sind? Es scheint so, als ob, mit jeder „ungeplanten“ neuen Idee im Markt eine Rechtsverordnung gebraucht wird, die wiederum in ganz Europa abgestimmt werden muss. Damit das formal funktioniert, erhält die EU-Kommission das Recht, neue Verordnungen in eigener Kompetenz zu erlassen (delegierte Rechtsakte), um wirklich alle Produkte “im Griff zu haben”. Nun könnte man sich zurücklehnen und darauf warten, dass die Bürokratie an diesem weiteren Monstrum zusammenbricht. So einfach ist es aber nicht. Compliance bedeutet, sich entsprechend den nun einmal eingeführten Regeln zu verhalten. Wenn dann Regeln fehlen, zu spät kommen oder unerwartet geändert werden, sind Geschäftsmodelle und Ziele in Gefahr. Also warten viele auf die Regulierung. Schon das Wissen von diesem Mechanismus schreckt ab und kostet Wirtschaftswachstum und Wohlstand.

Die Ökodesign-Richtlinie atmet den Geist der Planwirtschaft

Jenseits der Tatsache, dass die Ökodesign-Richtlinie ein weiterer Beitrag zum immer offensichtlicher werdenden Regulierungsinfarkt sein wird, geht es aber auch um Grundsätzliches. Mit der moralisch hohen Motivation der Ökologie wird der Motor der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt und durch staatliche Planung ersetzt. Die Genialität der „unsichtbaren Hand“ des Marktes liegt aber darin, unüberschaubar viele Angebote und Wünsche so zu koordinieren, dass die Versorgung klappt. Genau das kann eine geplante Wirtschaft nicht. Auch die Kreislaufwirtschaft darf keine Legitimation dafür sein, in die Gestaltung der Details der Produkte einzugreifen. In der Marktwirtschaft gibt es genügend systemkonforme Instrumente, einen verantwortlichen Umgang mit Ressourcen zu organisieren. Die Industrie ist heute wieder sauber, weil es eine „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft)“ als Regulierung gibt. Ebenso ist es mit dem Abwasser. Und ebenso sind die Möglichkeiten beim Abfall. Auch moralische Appelle mögen ihren Platz haben, aber vor allem gilt es, die Kreativität der Freiheit zu mobilisieren und zuzulassen; die Freiheit des Konsums, auch wenn Kleider und Anzüge alle Jahre wechseln; die Freiheit, neue Produkte zu entwickeln, die mit Gewinn verkauft werden können, auch wenn sie keinen EU-Produktpass mit allen Genehmigungen haben. Und wir brauchen einen offenen europäischen Markt für neue, gute und preiswerte Produkte, auch wenn sie nicht nach dem Geschmack einer EU-Richtlinie sind.

Zur Erholung der Gedanken lohnt es sich, bei Ludwig Erhard nachzulesen: „Das ist ja gerade das Geheimnis der Marktwirtschaft, und das macht ihre Überlegenheit gegenüber jeder Art von Planwirtschaft aus, daß sich in ihr sozusagen täglich und stündlich die Anpassungsprozesse vollziehen, die Angebot und Nachfrage, Sozialprodukt und Volkseinkommen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Beziehung zu richtiger Entsprechung und so auch zum Ausgleich bringen. Wer also nicht Leistungswettbewerb und freien Marktpreis will, hat jedes Argument gegen die Planwirtschaft aus der Hand gegeben.“




Kindergrundsicherung – gut gemeint, aber nicht gut gemacht

Die Kindergrundsicherung spaltet die Meinungen, auch und besonders in der Bundesregierung. Zwar gilt sie als eines der wichtigen Projekte des Koalitionsvertrages. Zugleich aber ergeben sich immer wieder neue Hindernisse und Unstimmigkeiten. Es liegt an Fehlern im Konzept und es lohnt sich, näher hinzusehen.

Kinder brauchen stabile wirtschaftliche Verhältnisse

Zunächst ist festzuhalten, dass alle Kinder in einigermaßen stabilen ökonomischen Verhältnissen aufwachsen sollten. Niemandem ist damit gedient, bei der finanziellen Unterstützung von Kindern, die in Haushalten mit sehr geringen Einkommen leben, alles beim Alten zu lassen. Unabhängig von der Höhe des Betrags ist es über viele Jahre zu einem Wirrwarr von Unterstützungen und Berechnungen gekommen, die niemand wollen kann. Das Motiv für diese komplizierten Regelungen ist zwar immer die Einzelfallgerechtigkeit. Das erreicht die Bürokratie aber auch mit noch so großem Aufwand nicht.

Diese Kindergrundsicherung ist zu kompliziert und zu teuer

Statt einfachere Behördenstrukturen zu schaffen, die Berechnung von Leistungen durch Pauschalierung und Zusammenfassung verschiedener Positionen zu erleichtern, hat man einen ideologisch geprägten Gesetzentwurf eingebracht. Dieser erfordert tausende zusätzliche Verwaltungsbeamte und überstrapaziert die finanziellen Möglichkeiten des Staates. Den Behördenwirrwarr beendet er nicht. Zu allem Überfluss wird neben dem Bürgergeld eine weitere Unterstützung so gestaltet, dass für erwachsene Familienmitglieder der Anreiz zur eigenen Erwerbsarbeit sinkt.

Nehmen wir die Bürokratie. Die Bundesfamilienministerin sieht die Gewährung des Kindergeldes durch die für das Bürgergeld zuständigen Stellen als Diskriminierung. Sie nennt es „stigmatisierend“, wenn die Behörde, die die Arbeitslosenunterstützung der Eltern auszahlt, sich auch um die Kinder dieser Betroffenen kümmert. Deshalb sollen etwa zwei Millionen Kinder aus Bürgergeldhaushalten in Zukunft die laufenden Geldleistungen für den Lebensunterhalt über eine andere Behörde, die Familienkasse, ausgezahlt bekommen. Wenn das Kind auf Grund der besonderen persönlichen Situation jedoch Regel-Zusatzleistungen erhält, sind diese auch künftig bei eben diesem Jobcenter zu beantragen. Es erklärt sich nicht, warum das dann keine „Stigmatisierung“ ist. Die gegenseitige Anrechnung von Leistungen würde noch schwieriger. Ein dafür notwendiges einheitliches und bundesweit zentrales Computersystem mit dem Datenaustausch aller Sozialverwaltungen bleibt aber auf sehr lange Zeit eine Illusion.

Arbeit muss sich mehr lohnen als Nichtarbeit

Mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage ist der gewählte Weg nicht vereinbar, denn die Summe der Erwerbsarbeit wird verringert. Neben den ohnehin schon negativen Effekten des zu hohen Bürgergeldes stellt sich für die Eltern der unterstützten Kinder jetzt die Frage, ob sich Arbeit noch lohnt. Das Münchener ifo Institut und das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim haben in diesen Tagen dazu eine Studie vorgelegt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass „die Reform in allen Varianten negative Arbeitsangebotswirkungen aufweist. Zwischen 392 Tausend und 449 Tausend Personen wechseln nach den Modellrechnungen von einem Beschäftigungsverhältnis zu Nichtarbeit.“ Das kommt daher, dass man durch eigene Erwerbseinkommen auf Staatszuschüsse verzichten müsste. In Zukunft würde es zudem Fälle geben, in denen Familien kraft Verwaltungsakt Zuschüsse erhalten, obwohl sie diese gar nicht beantragt haben. Diese “zugewiesene“ Unterstützung minimiert durch ihre Anrechnung den zusätzlichen Ertrag aus Erwerbsarbeit. Durch diese Maßnahmen werden die Zahlungen für Sozialabgaben und Steuern um einen Milliardenbetrag geringer. Der Abbau von Erwerbsarbeit treibt die Gesamtkosten der Reform nach dem Gutachten von eigentlich 17 bis 25 Mrd. Euro auf 27 bis zu 34 Mrd. Euro. Die bisherigen Debatten zwischen den Koalitionspartnern über einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag sind also nur der Anfang.

Soziale Hilfe ist keine staatliche Bringschuld

Die Bundesfamilienministerin sieht in dem Gesetzentwurf einen Paradigmenwechsel. Und sie hat Recht. Aber da liegt wahrscheinlich zugleich das bedeutendste Problem. Der Anspruch von Mitbürgern – gerade auch von Kindern – auf eine finanziell ausreichende Unterstützung zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist im Grundgesetz verbrieft. Aber wenn die Ministerin sagt, dabei handele es sich um eine Bringschuld des Staates, dann irrt sie. Die Unterstützung wird nicht zugewiesen, sie muss vielmehr gewollt sein und beantragt werden. Wenn das in Behörden aktuell zu kompliziert ist, dann muss es einfacher werden. Da hilft der Gesetzentwurf aber wenig. Das Recht, auf staatliche Unterstützung zu verzichten, ist ein Bürgerrecht und Eltern haben das Recht, dies auch für ihre Kinder zu entscheiden. Manche Betroffene arbeiten unter schweren Bedingungen, bis an ihre Leistungsgrenze, um den Gang zum Sozialamt zu vermeiden. Dass der Staat ihnen das Geld unaufgefordert „bringt“, ist Ideologie, nicht aber das Bild einer freiheitlichen Leistungsgesellschaft.

Der vor wenigen Wochen ausgeschiedene Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, hat uns zu Recht auf die besonders großen Leistungen des Sozialsystems hingewiesen und gemahnt: „Mit den Erträgen, die unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft erarbeitet haben, konnte man sich das leisten. Wir haben uns an ein hohes Sozialstaatsniveau gewöhnt. Vieles ist für die Bürger selbstverständlich geworden, was andernorts überhaupt nicht selbstverständlich ist.“ Wenn man sich die kumulativen Effekte von Bürgergeld und Kindergrundsicherung genauer ansieht, dann muss man die hier jetzt geplanten Erhöhungen in das Gesamtbild stellen. Die Schwelle, ab wann jemand bedürftig ist, wurde im Bürgergeldgesetz sehr deutlich abgesenkt. In der Bedarfsgemeinschaft darf nun jeder Erwachsene ein Auto haben. Das Eigenheim mit bis 140 Quadratmetern zählt zum Schonvermögen, ebenso weiteres Vermögen bis zu 40.000 Euro plus 15.000 Euro für jede weitere Person. Der Kreis der Bürgergeldberechtigten wurde damit stark ausgeweitet. Aber die Leistungsfähigkeit des Staates hat Grenzen und die müssen berücksichtigt werden. Noch einmal Schlegel: „Karlsruhe gibt vor, dass das Bürgergeld ein soziokulturelles Existenzminimum sichern muss. Die Beträge darf der Gesetzgeber nicht ins Blaue hinein festsetzen, er muss sich an den realen Verhältnissen orientieren. Dazu gehört auch, wie es dem Gemeinwesen insgesamt finanziell geht. Karlsruhe gibt aber keine bestimmte Höhe des Bürgergeldes vor. Die Politik hätte auch bei den Sanktionen nicht so stark zurückrudern müssen, wie das nach dem Karlsruher Urteil zu Leistungskürzungen geschehen ist.“ Das gilt in gleicher Weise für die Kindergrundsicherung.

Mehr Effizienz, gezielte Hilfe, weniger Ideologie werden gebraucht

Das vorliegende Modell ist ein Bürokratiemodell und keine Sozialreform. Es ist ein untauglicher Ansatz, die bestehenden Verhältnisse zu verbessern. Dabei könnten die bestehenden Behörden viel effizienter zusammenarbeiten und so den Betroffenen helfen. Die Ämter brauchen einen vollständigen Datenabgleich, automatisierte Berechnungen auf Grund der zusammengeführten Informationen und einheitliche Regeln. Verbesserte Leistungen müssen gezielt auf die tatsächlichen Herausforderungen konzentriert werden. Das Familienministerium drängt sich mit einer eigenen Behörde in eine funktionierende Zuständigkeit des Arbeitsministeriums. Die einheitliche soziale Unterstützung der Kinder in den Familien, die Bürgergeld beziehen, ist aber in der Sache logisch. Alles andere ist komplizierte Bürokratie aus ideologischen Gründen.




Streit um die Digitalisierung

Im Jahr 2017 ist in Deutschland das erste „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen“ – Onlinezugangsgesetz (OZG) in Kraft getreten, welches alle Behörden verpflichtete, bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch digital über Verwaltungsportale anzubieten.

In seinem Überprüfungsbericht stellt der Bundesrechnungshof im März 2023 dazu jedoch fest: „Bund und Länder haben das Ziel, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 online verfügbar zu machen, deutlich verfehlt. Bislang sind erst 19 Prozent der digitalisierbaren Verwaltungsleistungen online verfügbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Bund und Länder eine Verwaltungsleistung schon dann als online verfügbar werteten, wenn diese in einer Kommune online verfügbar war. Tatsächlich haben Bund und Länder im „Digitalisierungsprogramm Föderal“ nur drei der 35 hoch priorisierten OZG-Leistungen deutschlandweit online verfügbar gemacht.“

Digitalisierung erträgt keine Kleinstaat-Allüren

Nach diesem Armutszeugnis sollte man zwei Dinge erwarten: Demut und Schnelligkeit. Aber wir erleben gerade ein weiteres Armutszeugnis. Am 22. März hat der Bundesrat das zweite Online-Zugangsgesetz gestoppt. Es wird jetzt auf Initiative der Bundesregierung in den Vermittlungsausschuss kommen. Es ist zu hoffen, dass die Bundesregierung und ganz besonders die Vertreter der Bundesländer die Zeichen der Zeit begreifen und radikal umsteuern. Digitalisierung erträgt keine Kleinstaat-Allüren. Digitalisierung ist kein Kostenfaktor, sondern ein Einsparprogramm und ersetzt ohnehin sonst nicht vorhandenes Personal. Digitalisierung öffentlicher Prozesse ist Voraussetzung internationaler Wettbewerbsfähigkeit, und Digitalisierung wird zu einer Legitimitätsfrage unserer staatlichen Institutionen. Soziale Marktwirtschaft braucht einen Staat, der es freien Bürgern erlaubt, in einem geordneten Rahmen ihre Kreativität und ihren Geschäftssinn leben zu können. Beim Thema Infrastruktur hat der Staat eine Bringschuld.

Das Geld kann nicht das entscheidende Hindernis sein

Als ehemaliger Ministerpräsident bin ich mir des Spannungsfeldes bewusst. Es geht um Geld, Kompetenzen und Strukturen. Vordergründig wird gerade um Geld gestritten. Die Bundesregierung hat in ihrem Haushalt drei Milliarden an Digitalisierungsmitteln gestrichen und Bundeskanzler Scholz hat durch die Abgabe der Aufgaben Digitalisierung und Verwaltungsreform das Desinteresse der politischen Führung dokumentiert – keine guten Voraussetzungen für einen fruchtbaren Dialog mit den Ländern. Aber bei Ausgaben der Bundesländer von im Jahr 2022 insgesamt 522 Milliarden Euro kann der Streit um diese Mittel kein finaler Grund des Scheiterns sein. Von Seiten der ebenfalls stark betroffenen Kommunen kommen weitere 360 Milliarden hinzu. Die Länder und Kommunen sind durch ihre Anteile an den Steuern – bei den Kommunen sogar mit eigenen zusätzlichen Steuerhebungsrechten – so ausgestattet, dass man verlangen muss, dass sie ihre originären Aufgaben ohne ständiges Fordern weiterer Bundeszuschüsse wahrnehmen. Die Erbringung der Verwaltungsdienstleistungen des Staates gegenüber Bürgern und Unternehmen ist nun einmal genau eine solche Kernaufgabe. Wenn die Bundespolitik eine Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen machen würde, müssten die Kosten bei Ländern und Kommunen selbstverständlich zum überwiegenden Teil vom Bund getragen werden. Für die Infrastruktur der Verwaltung muss das schon aus dem Selbstverständnis von Ländern und Kommunen heraus anders sein.

Eine Anwendung für Deutschland muss das Ziel sein

Aber es geht nicht nur um Geld. Die Digitalisierung der Staatsverwaltung ist zugleich ein Wettkampf kleinteiliger individueller Vorstellungen von der staatlichen IT-Infrastruktur der Zukunft. Jedes Bundesland will die Digitalisierung, aber jeder eben etwas anders. Manche sind schon zufrieden mit einer Mail-Adresse, von der aus ein Vorgang ausgedruckt und abgearbeitet werden kann, wie es schon immer war. Andere haben erkannt, dass es nicht um digitale Nachrichten, sondern um digitale Prozesse geht, was zu einer neuen Verwaltung führen wird. Manche wollen schnell in die neue Zeit kommen, weil sie schon jetzt mit den Herausforderungen nicht fertig werden, andere haben gerade deshalb Angst vor einer Mehrbelastung in der Übergangszeit. Nach dem streitigen Gesetz soll die sogenannte Schriftformerfordernis entfallen, was bedeutet, dass per Mail ausgetauschte Informationen als verbindlich behandelt werden können, also kein Papier mehr. Die Einführung der Bund-ID (im Personalausweis) als zentrales, digitales Bürgerkonto soll Standard werden. Über ein digitales Postfach sollen Bescheide zugestellt werden, und der Anspruch auf digitalen Zugang zu Verwaltungsdiensten soll prinzipiell für Bürger und Unternehmen einklagbar sein. Wirklich verbindlich wird das alles ohnehin leider erst ab 2028 sein. Wenn man das mit Estland vergleicht, wie ich es in einem meiner letzten Kommentare getan habe, bedeutet das einen deutschen Wettbewerbsnachteil durch eine Verzögerung von über 20 Jahren!

Unser Grundgesetz gibt den Bundesländern aus gutem Grund eine starke Stellung. Wir sind kein Zentralstaat. Das Miteinander erfordert aber wechselseitige Besonnenheit. Die Bundesregierung hat bei der Digitalisierung der Staatsverwaltung eine zentrale Rolle und sollte sich als Architekt, Ermöglicher und auch als Förderer der Digitalisierung von Ländern und Kommunen sehen. Die Länder wiederum sollten erkennen, dass Schnelligkeit vor Detailverliebtheit geht. Mancher Prozess muss eben an andere Bundesländer angepasst werden, auch wenn es bisher nie Beschwerden gab. Für die IT-Entwicklung muss es gemeinsame Einrichtungen geben, die Standards für alle 16 Bundesländer verbindlich entwickeln und durchsetzen. Die Systeme müssen vernetzt sein, jede Verbesserung und Anpassung muss über Nacht in allen deutschen Amts-Computern verfügbar sein. Behalten wir im Auge, dass ein Weltunternehmen wie Amazon für das Funktionieren seiner IT bis zu 1000 verschiedene Anpassungen pro Tag aufspielt. Da ist der Föderalismus ein Anachronismus. Jeden Monat, den die Länder diese Erkenntnisse verdrängen, ist nicht nur ein direkter finanzieller Schaden für die Verwaltung, es ist auch ein zunehmendes Risiko für die Legitimität des Föderalismus und der Länderkompetenzen.

Wenn man im Vermittlungsausschuss zusammensitzt, wäre es auch an der Zeit, den oft sehr engagierten Fachleuten der öffentlichen Verwaltungen zuzuhören. Ihre Probleme liegen oft in fehlenden Schnittstellen, die man für die anbietende Industrie verbindlich machen könnte. Sie scheitern an 17 verschiedenen Vorgaben von Datenschutzbeauftragten, die man zentralisieren muss. Sie freuen sich über Interesse an Künstlicher Intelligenz, aber sie raufen sich die Haare, wenn Bayern eine eigene KI-Grundlagensoftware (BayernGPT) im Alleingang entwickeln will, obwohl ein nationaler Ansatz wichtig wäre.

Gefahr für den Wohlstand

Warum ist das alles zum wiederholten Mal ein Thema für einen Kommentar unter dem Dach der Ludwig-Erhard-Stiftung? Warum ist dieses „OZGII-Gesetz“ so wichtig? Die Antwort lautet, dass in einer alternden Gesellschaft die einzige Chance zu Wachstum und Wohlstand im Produktivitätsfortschritt liegt. Dieses Wachstum ist für unabhängige, kreative Unternehmen und Bürger in einem Rechtsstaat ohne starke und leistungsfähige Behörden nicht möglich. Die langsame Digitalisierung des Staates gefährdet den Wohlstand für alle.




Subventionsjunkies im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV)

Wenn Junkies die „Stoffzufuhr“ verringert oder sogar gestoppt wird – vielfach reicht auch schon eine Androhung –, kommt es zu Entzugserscheinungen, zu Reizbarkeit und Aggressionen. Im übertragenden Sinne lassen sich diejenigen Organisationen und ihre Funktionsträger als „Subventionsjunkies“ ansehen, die von staatlichen Zuschüssen abhängig sind und ihre Aktivitäten vornehmlich auf die uneingeschränkte Zufuhr ihrer Droge „Subvention“ ausrichten. Wenn eine Verringerung der Subventionen oder sogar ein Stopp droht, kommt es in der Regel zu öffentlich konzertierten Kampagnen gegenüber dem Subventionsgeber, bis hin zur Androhung von Kürzungen bei Leistungen des Öffentlichen Bedarfs. Es wird interessengeleitet ausgeblendet, dass die Subventionen an anderer Stelle aufgebracht werden müssen, mithin anderen stets etwas weggenommen wird. Zudem haben Subventionen in der Regel auch Ineffizienzen und aufgeblähte bürokratische Strukturen zur Folge, sie hemmen Innovationen, tragen vielfach nicht zur gewünschten Zielerreichung bei und führen letztlich meist zur Verschwendung von Steuergeldern. Eine auf Schulden basierende Subventionierung verlagert zudem die jetzt zu tragenden Lasten der Subvention auf zukünftige Generationen.

Geradezu musterhafte Beispiele für „Subventionsjunkies“ finden sich im Öffentlichen Nahverkehr. Hier sind insbesondere die bundeseigene Deutsche Bahn AG (DB AG) und die in der Regel kommunalen Verkehrsbetriebe sowie ihre Handlanger in der Politik und ihren Lobbyorganisationen zu nennen. Sie haben sich in einer unheiligen Allianz gegen das Allgemeinwohl und die Umwelt und zur Fortsetzung einer irregeleiteten Verkehrspolitik verschworen.

Eine umweltfreundliche Verkehrspolitik muss u.a. zum Ziel haben, dass viele Menschen dauerhaft vom Auto auf klimafreundliche Verkehrsmittel wie z.B. Bus und Bahn im öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Nahezu regelmäßig gibt es jedoch deutliche Kritik an einem bisher unzureichenden Klimaschutz im Verkehr. So fordert der Bundesrechnungshof, das Bundesverkehrsministerium solle „unverzüglich die Klimaschutzmaßnahmen im Sektor Verkehr aktiv steuern“, da „ohne eine zielgerichtete Maßnahmenauswahl und Steuerung im Verkehrssektor“ die vorgegebenen Klimaziele im Verkehrsbereich nicht erreicht werden. Der Rechnungshof hat zudem der Ampel-Koalition Wortbruch vorgeworfen, da sie ihre eigenen Vorgaben und Ziele beim Subventionsabbau nicht umsetzt.

Nur im Wettbewerb lassen sich die innovativen Kräfte der Wirtschaft, Flexibilität und Risikobereitschaft voll ausschöpfen. Sofern kein Wettbewerbsversagen zu konstatieren ist, sind staatlich regulierte Märkte ineffizient. Es kommt regelmäßig zu Belastungen der öffentlichen Haushalte und/oder direkt der Bürger. Sowohl eine staatliche Festlegung von Angebot und Preisen als auch ein Protektionismus, der nicht selten eher versteckt auftritt, gehen allgemein mit Effizienz- und Wachstumsverlusten einher. Dies gilt in besonderem Maße für den Verkehrssektor, wo die Anbieter den Protektionismus immer wieder unisono als z.B. „starkes Signal“ u.a. für die Umwelt, für hohe Qualität, für niedrige Preise sowie für die Sicherheit preisen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass diese Heilsversprechen instrumentalisiert werden und dazu dienen sollen, eigene Besitzstände zu wahren, sich selbst vor Wettbewerb zu schützen und das eigene Einkommen zum Nachteil der Bürger als Kunden und Verbraucher zu sichern. Wer leistungsfähig ist, wird von den Wettbewerbern sehr schnell als unfair bezeichnet. Dies erinnert an die nicht verbürgte Geschichte französischer Kerzenmacher, die die Sonne als unfairen Wettbewerber verbieten lassen wollten.

Die deutsche Verkehrspolitik ist leider ein Paradebeispiel für die zuvor dargestellten politischen Missgriffe. Eine hohe staatliche Regulierung der Verkehrsmärkte hat sich über Jahrzehnte als ausgesprochen resistent gegenüber jeglichen Veränderungen der Kundenbedürfnisse erwiesen. Die wettbewerbsbeschränkenden staatlichen Interventionen wurden insbesondere von den Vertretern der Anbieterseite mit immer neuen Argumenten befeuert. Die Verkehrsbetriebe stellen vielfach das eigene betriebliche Interesse als gemeinnützig dar und erklären, es sei für die Bevölkerung insgesamt von Vorteil und unabdingbar. Seit Jahrzehnten hat sich der Verkehr zum einen für die Bürger, die öffentlichen Haushalte und die Umwelt zu einer bis über die Grenze des Erträglichen angestiegenen Belastung entwickelt. Zum anderen wurde er insgesamt zu einem wettbewerbspolitischen Ausnahmebereich deklariert, mit entsprechend negativen Folgen für die Wirtschaft. Bürokratiemonster und aufgeblähte Apparate finden sich zuhauf.

Es hat sich bis heute im Öffentlichen Nahverkehr eine politisch sehr stabile und durchsetzungsfähige kartellartige Koalition zwischen Entscheidungsträgern und Einflussträgern der Verkehrspolitik gebildet. Die Politik ist bis heute im Bereich des Öffentlichen Nahverkehrs weitestgehend einseitig von den Produzenteninteressen der insbesondere kommunalen Verkehrsbetriebe (und deren Verkehrsverbünde) sowie der bundeseigenen DB AG geprägt. Hierzu ist auch der Einfluss der Gewerkschaften wie Verdi und der Eisenbahnergewerkschaften sowie der nicht selten auch auf Aufträge aus den öffentlichen Verkehrsbetrieben angewiesenen Fachpresse zu rechnen. Eine umweltentlastende Mobilitätspolitik, die zudem mit der Verschwendung öffentlicher Mittel und knapper Produktionsfaktoren im ÖPNV-Schluss macht, stößt auf den harten und besitzstandwahrenden Widerstand der Öffentlichen Dienstleister im ÖPNV.

Den politischen Entscheidungsträgern in der Verkehrspolitik und in den Gremien der DB AG sowie der Öffentlichen Verkehrsbetriebe ist es gemeinsam mit dem faktisch mächtigen und finanziell gut ausgestatteten Lobbyverband VDV – über alle Parteigrenzen hinaus – gelungen, die jahrhundertalte staatliche Regulierung des Öffentlichen Nahverkehrsmarktes ständig weiter auszubauen und gegen die Kräfte des Marktes und einer damit einhergehenden notwendigen Verkehrswende abzusichern. Den Verkehrsbetrieben der Öffentlichen Hand geht es in erster Linie darum, die eigenen Privilegien über die Zeit zu retten und den vielfach staatlich garantierten Schutz vor potenziellen Wettbewerbern zu erhalten. Es ist zu erkennen, dass es den Politikern vielfach nur darum geht, ihre Tätigkeit in den öffentlichen Unternehmen zur Befriedung ihrer Wählerklientel und zum Werben um Wählerstimmen zu nutzen. Eine staatliche Branchenregulierung mit einer „Verkehrsmarktordnung“ beschert zudem immer auch zusätzliche Aufgaben für öffentlich Bedienstete – die Verkehrsverbünde sind hierzu ein beredtes Beispiel.

Vor dem hier nur skizzierten Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich niemand aus dem Bereich der politischen Entscheider und der Einflussträger aus dem Bereich des VDV findet, der z.B. den von ihnen hochgepriesenen, letztlich aber milliardenschweren (auch aus ordnungspolitischer Perspektive verfehlten) Flop 49 Euro Ticket als eine Verschwendung öffentlicher Gelder brandmarkt. Dieses Angebot überwindet allenfalls ansatzweise die auf der Ebene der Länder und Verkehrsverbünde bestehende Tariffragmentierung. Zudem hat es im Hinblick auf die notwendige Mobilitätswende – wie alle belastbaren Ergebnisse bundesweiter Marktforschungen belegen – keinen nennenswerten Erfolg. Ein politisch opportunistisch – mit quasi einem „Mausklick“ geschaffenes – günstiges ÖPNV-Ticket ist nicht der beste Weg, Menschen zum Umstieg auf Bus und Bahn zu bewegen. Eine grundlegende Verkehrswende findet definitiv nicht über Tarife statt. Wenn man merkt, dass man mit den eigens geschaffenen Marketingbegriffen wie “Tarifrevolution“, „Klimaticket und Umweltticket“ auf dem Holzweg ist, ändert man einfach die Strategie. In der Hoffnung auf Empörungsreflexe gibt man sich nunmehr als Schutzpatron einer finanziellen Entlastung der Bürger aus. Es wird darüber hinweggesehen, dass das nach dem Gießkannenprinzip vergünstigte Ticket vielfach auch eine finanzielle Umverteilung der Einkommen von unten nach oben bewirkt. Fakten verformende Lobbyisten versuchen nicht selten die Verkaufszahlen des Tickets als Beweis für eine gelungene Verkehrswende auszugeben und hoffen dabei auf Unterstützung einiger leichtgläubiger, ahnungsloser und manchmal allerdings auch böswilliger Politiker.

Es ist auffällig – aber auch nicht anders zu erwarten –, dass niemand aus dem Bereich der Besitzstandswahrer ein Ende der seit vielen Jahren explodierenden Subventionen, für die DB AG fordert. Das staatseigene Bahnunternehmen belegt in seiner Geschichte eindeutig, dass der Staat über keine unternehmerischen Fähigkeiten verfügt, höhere Subventionen nicht zu besseren Ergebnissen und zur Stärkung der notwendigen Mobilitätswende führen und Produktivkräfte regelmäßig vergeudet werden. Ein politisch durchgedrücktes „Stuttgart 21“ ist ein mahnendes Beispiel für eine Politik, die mehr nach der politischen Interessenlage als nach verkehrlichen Erfordernissen ausgerichtet ist. Die beschriebene und weiterhin bestehende „unheilige Allianz“ kann nichts anderes als eine „Verschwörung gegen das Allgemeinwohl“ (Walter Hamm) bezeichnet werden. Man will wie immer in einem jahrzehntelang erprobten Ritual – man gibt z.B. vor, durch die Forderung nach mehr Geld insbesondere „die Funktionsfähigkeit und Qualität des Wirtschaftsstandortes Deutschland“ schützen zu wollen – und droht mit einer vorgeblich alternativlosen Einstellung öffentlicher Verkehre und von Angeboten. Diese unheilige Allianz verschweigt dabei geflissentlich, dass sich mit den sehr vielen verschiedenen Fördertatbeständen, Töpfen und Finanzierungsregelungen im ÖPNV ein System der „Spaghetti Finanzierung“ entwickelt hat. Die Vielzahl der Instrumente und der einzelnen gesetzlichen Regelungen ist schwer verständlich und weitestgehend intransparent. Es ist nahezu ausschließlich am Interesse der Anbieter von Verkehrsleistungen orientiert und damit weitestgehend ohne Nutzer- und Kundenorientierung. Wieviel der ÖPNV den Bürger tatsächlich kostet, kann wirklich selbst bei gutem Willen niemand genau sagen. Wenn der VDV und die Vertreter der Bundesländer eine Verstetigung der Förderung als verlässliche Politik fordern, meinen sie nichts anderes als die Fortsetzung dieses für keinen Dritten nachvollziehbaren und damit nicht kontrollierbaren Subventionsmolochs.

Der staatliche Schutz von Produzenten – hier der Anbieter von Verkehrsleistungen in der öffentlichen Hand – machen diese träge. Ihre Innovationskraft ist z.B. im Vergleich zu Unternehmen im Wettbewerb nur rudimentär ausgebildet. Es besteht nicht wie im Wettbewerb der Zwang, sich kontinuierlich an veränderte Wünsche der Nachfrager anzupassen und mögliche Fehlentscheidungen schnellstmöglich zu korrigieren. Der Markt sanktioniert nicht wie im Wettbewerb die betrieblichen Fehlentscheidungen. Der Eigentümer Öffentliche Hand dreht entsprechend nur die Subventionsspirale zum Ausgleich des unternehmerischen Fehlverhaltens weiter. Dieses Verhalten der Eigentümer ist unter anderem mit für die nicht erreichten ökologischen Ziele der Mobilitätswende verantwortlich. Wir brauchen auch in der Verkehrspolitik die vielfach beschworene „Zeitenwende“ und dabei auch eine Inventur des öffentlich finanzierten ÖPNV mit besonderem Blick auf die Betriebe in öffentlicher Hand. Lasst den Markt mitentscheiden und der bisherigen Ignoranz der Anbieter ein Ende bereiten. Die fundamentale Notwendigkeit unter den möglichen Maßnahmen zur Verkehrswende diejenige anzuwenden die am günstigsten ist und die den größten Erfolg verspricht, wird bisher durch die besitzstandswahrenden Subventionsjunkies weitgehenden verhindert. Einfach einen kundengerechten ÖPNV zu gestalten, heißt Überflüssiges wegzulassen und auf teuren Schnickschnack zu verzichten.

  • Grundlegend und bei aller bekannten Problematik: Die externen Umweltkosten des Verkehrs sind – will man tatsächlich die Verkehrswende – nicht mehr länger auf die Allgemeinheit abzuwälzen, sondern in einem ersten Schritt den sie verursachenden Verkehrsträgern anzulasten.
  • Die Politik hat sich auf die Setzung der wettbewerblichen Rahmenbedingungen zu beschränken und dabei bisherige Wettbewerbsbeschränkungen abzubauen. Das Verhalten und die Entscheidungen politischer Akteure in den kommunalen ÖPNV-Betrieben und der DB AG tragen vielfältig nicht zu einer zielgerichteten Mobilitätswende bei.
  • Nicht nur für eine durchgreifende „Mobilitätswende“ ist es unabdingbar erforderlich, das aufgezeigte „öffentliche Kartell“ der Verhinderer eine Mobilitätswende aufzubrechen und wie nahezu in allen sonstigen Bereichen des Verkehrs, auf die leistungssteigernden und innovationsfördernden Kräfte des unternehmerischen (!) Wettbewerbs zu setzen. Der Wettbewerb führt zu einem geringeren finanziellen Aufwand und in der Folge zu mehr Spielraum, einen preisgünstigeren ÖPNV zu ermöglichen. Selbst bei einer freundlichen Betrachtung gibt es keinen Rechtfertigungsgrund, die Verkehrsbetriebe der Öffentlichen Hand und die DB AG im Wettbewerb den privaten Unternehmen nicht gleichzustellen. Mit anderen Worten: Der innovationschädigende Verhinderer einer Mobilitätswende, der „wettbewerbliche Ausnahmebereich“ für die im ÖPNV tätigen Betriebe der Öffentlichen Hand und der DB AG, gehört nach hundert Jahren auf „die Müllkippe“ der deutschen Verkehrspolitik. Es ist dabei im Wettbewerb der Möglichkeit zur Bildung größerer privater lokaler und regionaler Verkehrsunternehmen einen größeren Raum zu geben – will man Ineffizienzen beheben und dem motorisierten Individualverkehr in ganzer Breite stärker ein Gegengewicht im Sinne einer besseren Verkehrswende gegenüberstellen. Nur zu modernisieren reicht nicht. Hohle Strukturen und Bürokratien sind zu schleifen.
  • Die staatliche Subventionierung des ÖPNV kennt weitestgehend keine Nutzer- und Kundenorientierung. Nicht mehr dem ÖPNV-Betrieb und der DB AG als Produzent, sondern ausschließlich dem ÖPNV-Kunden als Nachfrager/Nutzer, sind – gestaffelt z.B. nach dem Einkommen – Mobilitätsbudgets zur Finanzierung ihrer Mobilitätswünsche zur Verfügung zu stellen. Der öffentliche Verkehrsbetrieb hat nur so einen Anreiz, das Angebot bestmöglich an die Anforderungen der Kunden anzupassen. Der intransparente Dschungel der Finanzierung des ÖPNV ist mit einem Schlag gelichtet, weitestgehend auf einen einzigen Geldfluss zusammengeschrumpft und transparent.
  • Es bedarf für eine durchgreifende „Mobilitätswende“ im ÖPNV keiner bundesweiten, im hohen Maße Geld der Bürger verschleudernden Flatrate. Im Ausland hinreichend erprobte und erfolgreich eingesetzte Smartphone-Apps sichern auch jedem tarifunkundigen ÖPNV-Nutzer mit einer Best-Price-Funktion immer den günstigsten Preis. Über die App lassen sich zudem die komplizierten Fragen einer Erlöszuscheidung auf die befördernden Unternehmen praxisnah lösen. Die im Laufe der Zeit immer in Aufgaben und Personal aufgeblähten Verkehrsverbünde können reformiert, auf ihre Kernfunktionen (Tarif- und Angebotsabstimmung) und in ihrer Zahl erheblich reduziert und beschränkt werden. Grundsätzlich ist jedoch eine radikale Streichung aufgeblähter Hierarchieebenen anzustreben.
  • Netz und Betrieb sind strikt zu trennen. Das Netz ist außerhalb und ohne Einflussnahme der DB AG gemeinwohlorientiert vorzuhalten. Durch die Gründung der DB InfraGo unter dem Dach der DB AG, die sich bestenfalls als Minireform bezeichnen lässt, werden die grundsätzlich aufgezeigten Probleme des fehlenden Wettbewerbs nur weiter zementiert. Diese Vorgehensweise wird weiterhin mit zu erwarteten höheren Kosten und ineffizienten Abläufen einhergehen und in Folge zu höheren Preisen für die Verbraucher führen; dabei ist es – wie die Geschichte zeigt – weitgehend egal wie viel finanzielle Mittel der Steuerbürger der Staat einmal mehr in das marode System Bahn weiterhin pumpt. Nun soll ein Bau-Marathon das marode Schienennetz vor dem endgültigen Zusammenbruch retten und unter anderem auch mehr Pünktlichkeit garantieren. Beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass allein im Jahr 2023 die Pünktlichkeit im Fernverkehr mit 64 % ein neues Rekordtief erreichte.
  • Eine grundlegende Neujustierung des ÖPNV und der DB AG ist sicherlich nur mittel- bis langfristig möglich. Mit der Reform des ÖPNV sollte jedoch sehr zeitnah in vorab vereinbarten Schritten begonnen werden. Eine derartige Vorgehensweise böte den Vorteil, alle Betroffenen auf dem Weg zur Mobilitätswende mitzunehmen. Machen wir uns jedoch nichts vor: Als Hauptproblem der Mobilitätswende wird sich der Widerstand der um ihre Pfründe bangenden Personen und Institutionen erweisen. Dies in Erinnerung an die Frage von Heide Simonis: „Und was wird aus mir?“ Wir sollten fernerhin genauer hinsehen, wenn Subventionsempfänger – wie zum Beispiel in Baden-Württemberg – zur Sicherung ihrer Position wie im Schlaraffenland durch einen sogenannten Mobilitätspass die Bürger zusätzlich zur Kasse bitten wollen. Von hochbezahlten Managern in Betrieben der Öffentlichen Hand ist zu erwarten, dass sie sich ihrer Verantwortung nicht dadurch entledigen können, dass sie lediglich den Steuerbürger zusätzlich belasten.

Die Soziale Marktwirtschaft ist unbehaglich, aber in der Schaffung nicht nur von gesellschaftlichem Wohlstand, sondern auch konkret zur Erreichung eines größeren Erfolgs in der Verkehrswende, unschlagbar. Ein starker leistungsfähiger Staat mit einer klaren Regelsetzung zur Umsetzung der Verkehrswende im Wettbewerb wird belegen, dass es keiner aufgeblähten Betriebe im Staats- bzw. Kommunalbesitz braucht, um die Verkehrswende zu forcieren. Muss der Staat tatsächlich „selber Bus fahren“ um eine Daseinsvorsorge zu garantieren? Es wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dass der Wettbewerb im ÖPNV zur Einsparung von Ressourcen im zweistelligen Prozentbereich führen wird, es zudem zu einer größeren Kundennähe und damit zur Stimulierung von zusätzlicher Nachfrage im Sinne der Verkehrswende kommen wird.




Der Weg zur Knechtschaft

Mit diesem provozierenden Titel erschien im März 1944 das Buch Friedrich August von Hayeks, das unsere grundlegenden gesellschaftspolitischen Dimensionen bis heute prägt. Im vom Krieg geprägten London entstand ein Werk, das aus dem Getöse der Tagespolitik herausragte und den Menschen, seine Freiheit, seine Manipulierbarkeit und seine überwältigenden Chancen in eine grundlegende Ordnung brachte. Auch der freie Mensch in einer demokratischen Ordnung kann mit besten Absichten und ohne Revolution Schritt für Schritt in die Unfreiheit geraten. Planwirtschaften, die der ökonomische Ausdruck der Unfreiheit sind, können mit hehren Zielen herbeigeführt werden. Aber am Ende zerstören sie immer Freiheit und Wohlstand zugleich. Leider enthält der in der aktuellen Koalitionsvereinbarung unter dem Begriff „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ besorgniserregend viele Schritte in diese Richtung. Das rechtfertigt es, die Entwicklung mit einem längeren Textauszug Hayeks von vor 80 Jahren zu konfrontieren. Ich mute Ihnen in der Tat eine längere Passage – aus meiner Sicht einer der wichtigsten seines Buches – zu. Man kann einfach die aktuellen Themen von Heizungsgesetz, Verbrennerverbot bis Werbeverbote für bestimme Lebensmittel im Schatten mitlesen.

Friedrich August von Hayeks Werk

„Man erkennt leicht, welche Folgen eintreten müssen, wenn die Demokratie den Kurs der Planwirtschaft einschlägt, der mehr Übereinstimmung voraussetzt als in Wirklichkeit besteht. Es kann sein, dass ein Volk beschlossen hat, zu einem System der Wirtschaftssteuerung überzugehen, da man ihm eingeredet hat, dass dies den Wohlstand heben würde. In den entscheidenden Diskussionen wird das Ziel der Planwirtschaft mit einem Ausdruck wie „Gemeinwohl“ umschrieben worden sein, der das Fehlen einer wirklichen Übereinstimmung über die planwirtschaftlichen Ziele nur verschleiert. Übereinstimmung wird tatsächlich allein über den Mechanismus bestehen, dessen man sich bedienen muss. Aber dieser Mechanismus ist nur für ein gemeinsames Ziel brauchbar, und die Frage, auf welches genaue Ziel sich denn eigentlich die gesamte Tätigkeit konzentrieren soll, wird sich stellen, sobald die Exekutivgewalt die Theorie eines einzigen umfassenden Planes in die Praxis eines konkreten Planes umsetzen muss. Dann wird sich ergeben, dass die Übereinstimmung darüber, dass Planwirtschaft erwünscht ist, keine Stütze findet an einer Übereinstimmung über die Ziele, denen sie dienen soll.

Wenn Menschen dahin übereinkommen, dass es eine zentrale Planwirtschaft geben muss, aber über die Ziele verschiedener Ansicht sind, so läuft das ungefähr auf dasselbe hinaus, wie wenn eine Gruppe von Personen sich zu einer gemeinsamen Reise entschließen würde, ohne sich jedoch über das Reiseziel einig zu sein, was zur Folge hat, dass sie alle eine Reise unternehmen müssen, die die meisten ganz und gar nicht machen wollen. Dass die Planwirtschaft zu einer Situation führt, in der wir uns über weit mehr Punkte einigen müssen, als wir gewohnt sind, und dass wir in einem planwirtschaftlichen System die gemeinsame Aktion nicht auf Aufgaben beschränken können, in denen Übereinstimmung erzielt werden kann, sondern dass wir genötigt sind, sie in allem und jedem zu erzwingen, damit überhaupt eine Aktion unternommen werden kann – das ist eines der Merkmale der Planwirtschaft, das mehr als alle andern ihr Wesen bestimmt.“

Solche prinzipiellen Fragen werden aktuell nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft nur noch selten diskutiert. Das Dogma der „evidenzbasierten Forschung“ nährt das Risiko, dass der philosophische Aspekt der Wechselwirkung zwischen Wirtschaftsordnung und Demokratie aus dem Sichtfeld der Diskussion gerät. Ludwig Erhard, sowohl Wissenschaftler als auch Politiker, hat genau dieser Blick angetrieben.

Die wichtige Wechselwirkung von Wirtschaftsordnung und Demokratie

Der Leiter unseres Ludwig-Erhard-Forums in Berlin, Prof. Stefan Kolev, und Prof. Veronika Grimm und Prof. Jens Weidmann, Mitglieder unserer Stiftung, haben vor einigen Tagen genau zu dieser Frage einen wichtigen Text in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht (https://zeitung.faz.net/faz/wirtschaft/2024-02-27/6d042618950eadc915fab7f2f4609bd7/?GEPC=s5), aus dem ich die so wichtige Verbindung des achtzig Jahren alten Textes und unserer heutigen Zeit gut ableiten kann. Sie schreiben: „Für die liberalen Ökonomen in Hayeks Generation ist der allgemeingültige Charakter ordnungspolitischer Regeln wichtig, Regeln also — wie die der Straßenverkehrsordnung — die nicht dem Einzelnen vorschreiben, was das Ziel seiner Reise sein soll, aber Berechenbarkeit auf dem Weg gewährleisten. […]

Einer regelbasierten Wirtschaftspolitik wird oft vorgeworfen, sie sei starr und unfähig, wechselnden Problemen gerecht zu werden. Daher werden damals wie heute Rufe laut, die Regeln weitgehend zu ersetzen oder zumindest entscheidende Elemente außer Kraft zu setzen. Der revolutionäre Elan, mit dem gerade junge Menschen nach mehr Kontrolle und Planung rufen, lebt von der Ungeduld mit den Regeln von Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaat und vom fehlenden Vertrauen, dass die notwendige Anpassung von allgemeinen Regeln im politischen Prozess auch tatsächlich stattfindet. Und in der Tat gelingt es aufgrund von Beharrungskräften oft nicht, die Regeln schnell genug neu auszurichten. Hayek warf seinen sozialistischen Gegenspielern jedoch vor, der Verzicht auf den Preismechanismus mache es unmöglich, kurzfristig das dezentrale Wissen der Marktakteure zu verarbeiten, gerade wenn sie neue Ideen haben und damit Innovationen anstoßen könnten. Einen ähnlichen schädlichen Effekt sah Hayek in den unkalkulierbaren Eingriffen der Interventionisten. […]

Umfassende Planung bedeutet Anmaßung von Wissen

Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaat sind lernende Ordnungen. Das Lernen aus jeder Krise geschieht schrittweise. Demnach sind einzelne Regeln mit Bedacht auf die Rückkoppelungen mit anderen Regeln anzupassen. Beachtet man diese Wechselwirkungen nicht, besteht, so Hayek, Gefahr, dass das in den Regeln des Ordnungsrahmens gespeicherte Wissen aus früheren Lernmomenten verloren geht und die marktwirtschaftliche Ordnung erodiert. Umfassende Planung bedeutet demnach Anmaßung von Wissen. Vor allem aber überfrachten immer mehr planwirtschaftliche Elemente die Demokratie. Ein Parlament, das ständig über Einzelheiten interventionistischer Politik entscheiden muss, verstrickt sich in Streit und Widersprüchen, die Kompromisse enorm erschweren. Das Heizungsgesetz ist nur das jüngste Beispiel. …

Besser wäre es, Hayek zu folgen und die politische Kraft dafür einzusetzen, das geschaffene ordnungspolitische Regelwerk Stück für Stück zu verbessern – also den Emissionshandel zu stärken und seine Lücken zu schließen. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel sollten zugleich über ein Klimageld an die Bürger zurückfließen, um die Akzeptanz für ehrgeizigen Klimaschutz zu sichern. Außerdem gilt es, verlässliche Systeme für die Marktintegration erneuerbarer Energien einzurichten und wettbewerblich weltweit klimafreundlichen Wasserstoff zu beschaffen. So können Unternehmen abschätzen, ob sie rechtzeitig mit einer Versorgung mit grüner Energie rechnen können. Die Unternehmen könnten sich so darauf einstellen, dass klimafreundliche Geschäftsmodelle attraktiver werden und die Voraussetzungen für klimaneutrale Produktion in Deutschland geschaffen werden. Die Demokratie hätte Kapazitäten zur Verfügung und müsste nicht, wie bei der interventionistischen klimapolitischen Überbeanspruchung ihrer Institutionen, viele andere wirtschafts- und gesellschaftspolitische Probleme links liegen lassen.“

Ich hoffe, die Gegenüberstellung dieser Texte zeigt, wie wichtig ordnungspolitisches Denken ist und wie oft es leider fehlt. Zugleich wünsche ich Ihnen allen ein frohes Osterfest, der nächste Kommentar erscheint am 5. April.




Ludwig Erhard wieder in seinem Arbeitszimmer




So schafft das Bürgergeld sozialen Streit

Unsere politische Diskussion in Deutschland ist zur Zeit von großer Unzufriedenheit geprägt. Die Bereitschaft eines bedeutenden Teils der Wählerschaft, offen oder verdeckt verfassungsfeindliche Parteien zu wählen, ist ein Alarmzeichen und die sozialen Konflikte spielen eine große Rolle. Wer die Rigorosität sieht, mit der in den USA möglicherweise eine Mehrheit der Wähler alle offensichtlichen Bedenken gegen einen Kandidaten Trump bezüglich Integrität, Verfassungstreue und Berechenbarkeit fahren lässt, nur um das „System“ zu attackieren, muss die Unzufriedenheit ernst nehmen. Auch bei einem Vertreter offen faschistischen Gedankenguts, wie dem Thüringer AFD-Politiker Höcke, gibt es in Teilen der Wählerschaft eine – jedenfalls für mich – unerklärliche Bereitschaft, über sehr vieles hinwegzusehen.

Auf dieses Phänomen gibt es nicht die eine Antwort. Aber eine grundlegende Tendenz lässt sich durchaus rund um den Atlantik erkennen. Zu viele Menschen haben Sorgen, dass der Fortschritt, den sie in den Medien beobachten, für sie selbst nicht eintritt. Die amerikanische Mittelschicht hat in den vergangenen drei Jahrzehnten keine oder nur geringe Steigerungen des Realeinkommens erlebt. Auch in den neuen Bundesländern fühlen sich viele – wenngleich auf besserem Niveau – von der Zukunft abgehängt. Sowohl in den USA als auch in Deutschland wird versucht, diesem Phänomen mit zusätzlichen staatlichen Leistungen beizukommen. US-Präsident Biden hat unter Inkaufnahme einer weiteren dramatischen Staatsverschuldung Sozialleistungen gesteigert und öffentliche Infrastrukturprogramme aufgelegt, den Mindestlohn drastisch erhöht und Bildungskredite gelöscht. Dennoch wankt die Trump-Front nicht.

Allein Staatsgeld ist keine Garantie für sozialen Frieden

In Deutschland haben manipulative Erhöhungen des Mindestlohns, neues Bürgergeld, Rücknahme der fordernden Bedingungen der ehemaligen Agenda 2010 und beachtliche weitere soziale Verbesserungen bisher auch kaum Wirkung auf das Wahlverhalten. Viele definieren ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Situation als ein Ergebnis von Ungerechtigkeit. Protagonisten des linken Spektrums sehen darin vor allem eine Ungerechtigkeit zwischen den Normalverdienern und dem einen Prozent der vermeintlich oder tatsächlich „Superreichen“. Dabei ist die Empörung über die angeblich zu hohe Pension eines Abteilungsleiters in einem Ministerium oft größer als die schlechten Gefühle beim Lamborghini eines jungen Fußballstars.

Nach meinem Eindruck unterschätzen wir, welche Unzufriedenheit das Gefühl von Ungerechtigkeiten in der jeweils eigenen Vergleichsgruppe auslöst. Die prinzipielle Bereitschaft, die eigene Lage durch Anstrengung zu verbessern, ist umso höher, je weniger man den Eindruck hat, der vergleichbare Nachbar könne das gleiche Ergebnis mit keiner oder weniger Anstrengung erreichen. So war das bei der starken Ablehnung von Obama-Care in den USA. Und genau so ist es – auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen – mit der Debatte über Sozialleistungen in Deutschland. Das Bürgergeld ist dafür ebenso zum Symbol geworden wie es das Heizungsgesetz für die „Klima-Bevormundung“ wurde.

Die Soziale Marktwirtschaft ist solidarisch, verlangt aber Anstrengung

Dabei geht es nicht um die Verantwortung des Staates für diejenigen, die nur ein geringes Einkommen haben oder auf Grund einer Einschränkung nicht erwerbsfähig sein können. Der Geist der Sozialen Marktwirtschaft und der Solidarität mit denjenigen, die der Solidarität bedürfen, ist in Deutschland Konsens. Das ist eine große Errungenschaft! Die zunehmende Unzufriedenheit begann mit einer immer stärkeren juristischen Ausdifferenzierung der daraus resultierenden Ansprüche. Mit einem grundlegenden Urteil im Jahr 2010 verschärfte das Bundesverfassungsgericht die Maßstäbe und ihre Herleitung. Auch das heutige sogenannte Bürgergeld ist noch ein Ausfluss dieser Entwicklung. Mit dem Leitsatz, es solle nicht nur die physische Existenz gesichert werden, sondern auch ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe, lässt sich viel gestalten. Zusätzlich zum kompliziert zu berechnenden Existenzminimum kommen die gut begründeten Versuche, allen Kindern eine stabile Startchance zu verschaffen. Das Ergebnis ist ein schon der Höhe nach weltweit einzigartiges Sozialsystem. Das ist aber nicht nur eine große volkswirtschaftliche Anstrengung, die erst erarbeitet werden muss, sondern zugleich eine Herausforderung in Bezug auf eine als gerecht empfundene Ordnung. Hier entsteht ein Dilemma. Ein exzessiv interpretiertes Ziel der gleichberechtigten Teilhabe führt zu einem nur noch geringen Unterschied zwischen dem Lohn aus einer Erwerbstätigkeit im unteren Durchschnitt der Einkommen und der staatlichen Unterstützung. Ludwig Erhard warnte schon 1958: „Nichts ist (…) in der Regel unsozialer als der sogenannte „Wohlfahrtsstaat“, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken lässt.“

Der Lohnabstand geht verloren – das ist nicht gerecht

In der aktuellen Lage kann man diesen Konflikt daran erkennen, dass zurzeit eine Anpassung der unteren Beamtengehälter (das Musterbeispiel ist der Justizwachtmeister) geprüft werden muss, da das ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht kommende Lohnabstandsgebot von mindestens 15 Prozent gegenüber dem Bürgergeldempfänger nicht mehr gewahrt ist. Gleichzeitig führen die zusätzlich zum Bürgergeld zu zahlenden Zuschüsse zu Wohnungsmieten und Heizkosten tatsächlich zu Nettoeinkommen, die für Menschen mit 40stündiger Erwerbarbeit demotivierend sind. Wenn der Staat in diesem Maß eingreift, muss aus allgemeinen Gerechtigkeitsüberlegungen alles immer detaillierter werden. So kommt dann neben das Bürgergeld der Plan einer Kindergrundsicherung mit dem Zusatz einer Kinder-Wohnkostenpauschale ins Spiel, die das Lohnabstandsgebot erneut in Frage stellen wird.

All diese Versuche der Herstellung einer Einkommenssituation, die das Existenzminimum zu nahe an die unteren Einkommen heranführt und in jedem Einzelfall gerecht sein will, führen zu weiterer Bürokratie. So sollen nach der Meinung der Bundesregierung allein für die Einführung der Kindergrundsicherung weitere 5.000 Beamte nötig werden. Zugleich entstehen mit der vermeintlich größeren Einzelfallgerechtigkeit bei immer mehr ineinandergreifenden Systemen neue, kaum akzeptable Unterschiede. Eine vierköpfige Familie in Leipzig mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2915 Euro, die Wohngeld, Kinderzuschlag und Kindergeld bekommt, hat für die Deckung des täglichen Bedarfs 474 Euro mehr zur Verfügung als eine vierköpfige Familie mit dem gleichen Bruttoeinkommen in München.

Diese für jeden in den Medien nachvollziehbaren Ungleichheiten machen offensichtlich viele Menschen wütend. Wenn sich das mit der als ungelöst angesehen Frage des Zuzugs von Flüchtlingen und der in Deutschland besonders ineffektiv gelösten Frage der Beschäftigung ukrainischer Mitbürger verbindet, dann entsteht daraus ein politisch gefährliches Gemisch.

Wer glaubt, das Bürgergeld sei der Grund für das Aufkommen undemokratischer Wut-Parteien, greift zu kurz. Aber es ist in den Meinungsumfragen erkennbar: Die gefühlte Geringschätzung der eigenen Arbeit und des eigenen Fleißes ist ein Konstruktionsfehler des Bürgergeldes, der die Konflikte verschärft.




Zum Tode unseres Ehrenmitglieds Herbert B. Schmidt (1931 – 2024)

Die Ludwig-Erhard-Stiftung trauert um ihr am 7. März 2024 verstorbenes Ehrenmitglied Herbert B. Schmidt. „Mit ihm verlieren wir ein Stiftungsurgestein und einen Zeitzeugen, der mit unserem Stiftungsgründer Ludwig Erhard noch im aktiven Austausch stand und ihm zeitlebens, wie auch nach seinem Tod auf das Engste verbunden blieb“, würdigte ihn der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung, Roland Koch.

Herbert B. Schmidt war eine prägende Persönlichkeit, auch in seinem Einsatz für die Ludwig-Erhard-Stiftung. Er war im In- und Ausland im besten Sinne des Wortes ein Aktivist der Sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards. Seine beruflichen Aktivitäten als Bundesgeschäftsführer des Wirtschaftsrates der CDU, aber auch als Berater der sächsischen Landesregierung und später der Privatisierungsagentur in Estland waren immer mit diesen grundlegenden Gedanken eng verbunden. Er war ein treuer Wegbegleiter unserer Stiftung, die immer auch die seine war. Die starke Verbundenheit und Vertrautheit hinderten ihn jedoch nie daran, seine Stimme kritisch zu erheben, wenn er es für geboten hielt. Bisweilen hart in der Sache und forsch im Ton blieb seine innige Hingabe zur Ludwig-Erhard-Stiftung gleichwohl eine Konstante in seinem Leben. Zum Ausdruck brachte er sie nicht nur durch seine jahrzehntelange Treue und Mitgliedschaft, sondern auch durch sein Wirken als Impulsgeber und großzügiger Förderer bis kurz vor seinem Tod. Der Herbert-B.-Schmidt-Wettbewerb für junge Akademiker war dafür ein Beispiel.

Ein Leben für die Marktwirtschaft – so der Titel der Festschrift zum seinem 90. Geburtstag – ist zu Ende gegangen. Wir verlieren einen treuen Freund, einen großherzigen Menschen und einen freien Geist, der zu harter Arbeit willens und in der Lage war, sich nie vor Entscheidungen gescheut hat und sich bei allem der eigenen Verantwortlichkeit seines Tuns bewusst war.

Der Tod von Herbert B. Schmidt hinterlässt eine schmerzliche Lücke in der Stiftung.

Pressekontakt:

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Johanniterstraße 8
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Tel.: 0228/ 539880
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Rentenpolitik mit Illusionen

Die Bundesminister Hubertus Heil und Christian Lindner haben in dieser Woche eine aus dem aktuellen Koalitionsvertrag entwickelte Rentenstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Da begegnen sich in eindrucksvoller Weise zwei Minister und zwei Konzepte wie schwarz und weiß. Einerseits soll eine gesetzliche Mindesthöhe des Rentenniveaus von 48 Prozent festgeschrieben, andererseits erstmals ein Kapitalstock für eine kapitalgedeckte Teilfinanzierung der gesetzlichen Altersrente eingeführt werden. Leider ist das kein schlüssiges Konzept. Bitte folgen Sie mir ein wenig in eine komplexe Zahlenwelt.

Eine Rentengarantie ist nicht realistisch

Zunächst zu den Problemen. Seit vielen Jahren warnen alle Sachverständigen ohne Widerspruch davor, dass das gegenwärtige System ohne wesentliche Veränderungen auf Grund unserer Bevölkerungsentwicklung dauerhaft nicht finanzierbar ist. Zurzeit beträgt der gesetzliche Rentenbeitrag, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich jeweils zu Hälfte teilen, noch 18,6 Prozent. Das liegt auch daran, dass die große Koalition auf Druck der CDU zu Recht eine Begrenzung für alle Sozialausgaben von maximal 40 Prozent des Bruttolohns festgelegt hatte. Mit dem heute vorgelegten Plan wird diese Haltelinie auf Seiten der Beitragszahler im Jahr 2025 aufgehoben. Zugleich fällt damit der von Rot/ Grün (Kabinett Schröder) 2004 beschlossene „Nachhaltigkeitsfaktor“ weg, der die Dämpfung der Rentenanstiege zum Schutz der kommenden Generationen bewirkt hatte. Alleine das wird ab 2035 etwa 30 Milliarden Euro jährlich kosten. Nach den heutigen Berechnungen, so Heil, werde der Beitrag auf 22,3 Prozent im Jahr 2035 steigen. Betrachtet man die Kostendynamik in der Pflege und einer alternden Gesellschaft auch in der Krankenversicherung, dann werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber bald 50 Prozent des erarbeiteten Lohns (Bruttoarbeitskosten) an die Sozialkassen zahlen und dazu kommen noch die Steuern!

Falsch an dem Vorschlag ist die Annahme, man könne eine Rente für den „statistischen Eckrentner“ von 48 Prozent auf Dauer garantieren. Diese Zahl wäre zwar wünschenswert, ganz ohne Frage. Aber dafür hätte unsere Gesellschaft zwei Voraussetzungen erfüllen müssen: Zum einen hätten wir seit 40 Jahren mehr Kinder bekommen und zum anderen, so makaber es klingen mag, früher sterben müssen. Weil beide Optionen völlig unrealistisch sind, macht eine darauf basierende Rentenpolitik ebenfalls keinen Sinn.

Die Kapitaldeckung im Lindner-Fonds ist ein richtiger „kleiner“ Beitrag

Im eher richtigen Teil des Vorschlags präsentiert Bundesfinanzminister Lindner erstmals eine kapitalgedeckte Komponente zur Finanzierung des öffentlichen Rentenproblems. Das ist seit Jahrzehnten überfällig. Es ist ein Armutszeugnis, und gehört zu den Altlasten unserer Parteien, dass sie bisher nicht die Kraft hatten, das umzusetzen, obwohl es dafür gute Vorbilder wie zum Beispiel Schweden gibt. Dort wurde schon vor Jahrzehnten damit begonnen.

Warum ist dieser Ansatz richtig? Wir wissen seit einem Jahrhundert, dass die Einkünfte aus Kapital – ganz besonders aus Aktien – trotz allem Auf und Ab stärker steigen, als die Lohneinkommen. Der Verzicht auf Kapitaldeckung der Altersversorgung ist ein Ausschluss der Arbeitnehmer von Wohlstandsgewinnen und schwächt zugleich die Kapitalausstattung der Wirtschaft. Der von der FDP erzwungene Kompromiss hat aber zwei große Nachteile: Zum einen ist der bis 2035 erhoffte Gesamtbeitrag zu gering, die Erträge würden ab 2035 rechnerisch gerade für eine Woche Rentenzahlung reichen. Zum anderen wird eine Konstruktion gewählt, die vor dem Zugriff des Staates nicht sicher ist. Würde man am Kapitalstock ein Eigentumsrecht der einzelnen Rentner erlauben, wäre das Geld eine Ausgabe des Bundes, aber unterfiele eben auch der Schuldenbremse – da endet die Sache. Es ist also Staatsgeld, das jederzeit durch Gesetz rückholbar bleibt.

Die Regierung sieht den Charme dieses Rentenpakets darin, dass es keine Widerstände auslöst. Die staatliche Rentenversicherung zahlt in den Kapitalstock nicht ein, das vermeidet ideologische Polemik gegen Aktien von Seiten der Gewerkschaften. Es wird eine Stabilität der Rente vorgegaukelt, die die über 40-jährigen beruhigen soll. Es wird zudem keine Arbeitszeitverlängerung angegangen, weil auch das den Volkszorn weckt. Da der Preis für das Zugeständnis des neuen Fonds an die FDP die Verschlechterung einer ohnehin nicht nachhaltigen Rentenpolitik ist, ist dieser Preis zu hoch.

Wir waren schon weiter

Wir waren vor 20 Jahren schon weiter. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre war ein Schritt in die richtige Richtung. Anstatt die Lebensarbeitszeit in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Lebenserwartung mit ruhiger Hand auch in Zukunft steigen zu lassen, wurden immer wieder populistische „Zuckerstücken“ wie eine „Rente mit 63“ verteilt. Die vorsichtigen Ansätze der Kapitaldeckung durch die „Riester-Rente“, die immerhin zu fast 16 Millionen Verträgen führte, wurde durch irrsinnige Garantiebedingungen unattraktiv gemacht. Auch die jenseits des Rentensystems eingeführte Mütterrente macht die Last groß.

Jede künftige Regierung wird mit einer großen Hypothek starten. Sie wird mit den Bürgern über Lasten reden müssen. Der Vorschlag dieser Woche ist ja auch eine gewaltige Last für die heute junge Generation. Diese Generation wird wahrscheinlich nicht mit dem zufrieden sein, was wir bisher zur Lösung der Rentenproblematik beigetragen haben. Die nächste Regierung kommt nicht darum herum, den Menschen zu vermitteln, dass sie den vollen Rentenanspruch erst nahe des 70sten Lebensjahres haben werden. Eine künftige Rentenreform wird wegen der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf eine Deckelung der Sozialabgaben zurückkommen müssen, was Rentenerhöhungen der kommenden Jahre geringer ausfallen lassen wird. Die ebenfalls in dieser Woche in Aussicht gestellten Rentensteigerungen in 2024 und 2025 sind in dieser Höhe ein Fehler.

Wir haben immer noch Chancen

Die Lage wird schwierig, Ludwig Erhard hatte das schon 1956 befürchtet und der umlagefinanzierten Rente nur schweren Herzens zugestimmt. Langfristig reicht diese gesetzliche Rente nicht für einen dritten Lebensabschnitt. Die betriebliche Altersversorgung muss deshalb gestärkt werden. Hier liegt eine große Verantwortung bei den Gewerkschaften, die trotz mutiger Gesetzgebung zu Zeiten von Andrea Nahles bisher die großen Schritte blockieren, bei der IG Metall im Gegensatz zur IG Chemie sogar rigoros ablehnen. Und zum Dritten muss jeder selbst sparen. Den untersten Einkommensgruppen muss der Staat helfen, alle übrigen müssen einen Teil ihres Einkommens verantwortlich nutzen, die auf dem Markt verfügbaren Angebote kann jeder frei wählen und die Besteuerung muss das begünstigen. In einer solchen Konzeption gibt es drei Elemente der Kapitaldeckung, nämlich den jetzt startenden Lindner-Fonds, die betriebliche Altersversorgung und die private Eigenvorsorge. In der Kombination könnte die Chance liegen.

Schaut man auf die vergangenen Tage, wird nach meiner Überzeugung nur der Lindner-Fonds, auch wenn sein Beitrag fast symbolisch (eine Woche) sein wird, bleiben. Er ist richtig. Es ist zu hoffen, dass das laute und einhellige Urteil aller Fachleute die Bürger aufweckt und das falsche Versprechen der 48 Prozent Rentengarantie entlarvt. Das ist der Punkt, an dem eine demokratische Mehrheit für eine unbequeme, aber realistische Lösung gewonnen werden muss.